Sieht man in einem Ostseestädtchen jemanden im Blaumann, ist es ein Bauarbeiter oder Autoschrauber. In Les Sables d’Olonne ist es garantiert ein Schiffs-Mechaniker. Die kleine Stadt am Atlantik atmet Seefahrt. Das Centre Ville grenzt gleich an den Hafen, Segeln ist Trumpf.
Hinter dem industriellen Fischereihafen liegt das Becken der Freizeitschiffer. Die Vendée Globe hat hier ihr Zuhause. Drei in die Jahre gekommene Imocas präsentieren drei unterschiedliche Bugformen am Steg. Innovation rast im Sektor der Hightech-Rennyachten.


Davor haben drei Schiffe festgemacht, die jegliche Innovation der letzten 35 Jahre verweigern. Simon Curwens Clara, Kirsten Neuschäfers Minnehaha und Abhilash Tomys Bayanat. Unscheinbar wirken die Langkieler mit ihren angeschabten elf Metern und den verblichenen Tuchfahnen der Selbststeueranlagen. Aber immer wieder sammeln sich Trauben von kundigen Bürgern der Stadt am Steg: Das also sind die nahbaren Yachten, mit denen man die Erde umsegeln kann!
Ein Australier in der Bretagne
Das Golden Globe Race kann auf dem Seefahrer-Humus von Les Sables d’Olonne bestens gedeihen. Hier begreift man die Faszination einer Einhandweltumseglung. Hier wird die Siegerin Kirsten Neuschäfer von Bürgermeister Yannick Moreau mit großem Blumenbouquet zu nachtschlafender Zeit begrüßt, umringt von 300 Atlantikanwohnern, die nicht nur schaulustig, sondern verständig sind.

Der australische Sport-Impresario Don McIntyre hat 2018 das erste Neo-Golden-Globe-Race nach der Ursprungsveranstaltung von 1968 ausgerichtet. Schon 2018 hatte er den Heimathafen der Regatta von England nach Frankreich verlegt, nach Les Sables d’Olonne.
In der Hafenstadt war bereits der Nachfolger des Golden Globe Race, die Vendée Globe, zu Hause. Don McIntyre konnte an ihre Infrastruktur und ihr Prestige andocken. Die Vendée Globe mag die ausstrahlendere Veranstaltung sein. Aber das Golden Globe Race ist die Ursprungsveranstaltung.

Don McIntyre holt sie nach Les Sables d’Olonne – quasi eine Familienzusammenführung. Die Stadt hat einen „Walk of Fame“ für die Vendée-Globe-Sieger angelegt. Der „Walk of Fame“ für die Golden-Globe-Sieger kann nur eine Frage der Zeit sein.
All good, K.
Menschen lieben Menschen. Bei ihrer Ankunft nach sieben Monaten Isolation fremdeln weder Kirsten noch Simon noch Abhilash mit der Willkommensmenge. Kirsten wird Donnerstagnacht auf der Golden-Globe-Bühne flankiert von ihren Helden Catherine Chabaud und Jean Luc van den Heede, dem Sieger des Golden Globe Race 2018. Aus dem Publikum schwenkt ihr ein Küchentuch entgegen, großmütterlich bestickt mit ihrem ikonischen Tweet: „All good, K.“
Auf der Pressekonferenz am nächsten Morgen gibt sie Einblicke in ihren Bordalltag: Tasse Kaffee, Peilung mit dem Sextanten, Deck checken, Segel ausrichten, lesen. Klingt langweilig, ist es aber nur in den Flautezonen. Gegen den Flaute-Frust springt sie von Bord und schwimmt ein paar Runden. Wenn sich dann ein Hai (nur ein kleiner) zu ihr gesellt, ist die Langeweile definitiv verflogen.

Nachts hatte sie Alpträume von Seepocken am Rumpf. Am nächsten Morgen kratzte sie den Rumpf sauber. Einer ihrer Tipps ist: „Beweise dir, dass du handlungsmächtig bist.“ Ein anderer: „80 Prozent einer Weltumseglung macht die Vorbereitung vor dem Start aus.“ Und ein letzter: „Urvertrauen hilft.“ Die erste Nacht in Les Sables d’Olonne schläft sie an Bord: „Das Schiff ist mein Zuhause.“
I’m a sailor
Kirsten Neuschäfer ging am südafrikanischen Freedom Day über die Ziellinie. Als Protagonistin des modernen Südafrika fühlt sie sich nicht fehlplatziert. Gleichberechtigung in allen Facetten habe einen Höchststand erreicht. Was ihr ermöglicht wurde, hätte niemals im Horizont ihrer Mutter liegen können.