Das „Hafenkino“ hat seine Unschuld verloren. Schon immer wurde in Marinas geschaut, getuschelt und natürlich auch ein bisschen gelästert. Aber trotzdem geholfen. Seit missglückte Manöver im Internet zur Klickhure avancieren, ist das Hafenkino zum hämischen Gaffertum verkommen. Was heute zählt, sind Klicks statt Tipps. Besonders besserwissende Sofa-Kapitäne offenbaren ihre hässliche Fratze. Eine Abrechnung.
Bin ich froh, dass es damals noch keine Smartphones gab! Wer weiß, ob ich sonst heute auf einem Segelboot leben würde, ob ich Spaß an einem Hobby gefunden hätte, das mittlerweile zu meinem Lebensmittelpunkt geworden ist? Seit meinem Studium hatte ich immer Segelboote, von kleinen Jollen über Jollenkreuzer bis zum Dickschiff.
Pöbelnde Proleten mit großer Klappe
Im Strandsegeln habe ich an einigen Europa- und Weltmeisterschaften teilgenommen. Man kann sagen: Segeln hat mich immer schon begeistert. Ich wünschte, ich könnte sagen, auch die Segler hätten mich immer begeistert. Aber immer öfter beobachte ich, dass es unter den Seglern auch eine Menge Spinner gibt: Pöbelnde Proleten mit kleinem Geist, aber großer Klappe.
Zum Glück trifft man sie gar nicht so oft in Häfen an, sondern eher im Internet, da fühlen sie sich stark. Trotzdem haben sie eine gewisse Macht. Die Macht, eines der tollsten Hobbys, die es gibt, zu versauen. Ich kann gut verstehen, dass Einsteiger aus dem Wassersport gleich wieder aussteigen, wenn bei ihrem ersten Anlegemanöver bei Wind etliche Smartphones auf sie gerichtet sind, in der Hoffnung eines kapitalen Crashs.

Wenn dann die Videos auch noch im Netz auftauchen, tausendfach geklickt, dutzendfach hämisch kommentiert, ist der Urlaub bereits versaut. Und wieso sollte man noch einmal aufs Wasser gehen, wenn die vermeintliche Gemeinschaft der Segler aus Gemeinheit andere der Lächerlichkeit preisgibt?
Anlegemanöver mit Paukenschlag
Von daher bin ich froh, dass mein wohl spektakulärster Auftritt im Hafenkino vor leeren Rängen stattfand. Der Regen auf dem Deck hörte sich an wie der Stechschritt einer halben Armee, grellgelbe Blitze zuckten vom schwarzen Himmel, die Ostsee spuckte Gischt und die Falle und Wanten der Hafenlieger klatschten und pfiffen bereits Szenenapplaus, da hatten wir die Hafeneinfahrt von Fynshav auf der dänischen Insel Alsen noch nicht einmal passiert. Hätten wir unser leicht verkorkstes Anlegemanöver nicht mit einem lautem Paukenschlag beendet, wohl niemand hätte unsere Ankunft bemerkt.
Wir, das waren zwei Freunde von mir, und natürlich ich. Es war mein letztes Schuljahr, also das 14., während mein ehemaliger Klassenkamerad Marko bereits bei der Marine seinen Wehrdienst leistete und singend mit den „Blauen Jungs“, dem Marinechor aus Wilhelmshaven, durch das Land pilgerte. Höhepunkt seines militärischen Drills war ein beschwingter und beschwipster Auftritt beim Musikantenstadl, damals noch moderiert von Karl Moik, bei dem der Shantychor der Bundesmarine seinem Namen alle Ehre machte. Der zweite Freund war Holger, mit dem ich mich jahrelang zusammen im Ruderboot geschunden habe. Wir waren gerade noch Teenager und wollten die Ostsee erobern.
Als verantwortungsvoller Skipper hätte ich in Anbetracht des Sturms, der über der dänischen Südsee tobte, an diesem Tag aus Åbenrå gar nicht auslaufen dürfen, schon gar nicht mit einer kleinen Neptun 22, die meine Eltern uns für 14 Tage zur Verfügung gestellt hatten. Aber die Umstände schienen das Risiko zu rechtfertigen.
Das flüssige Gold in der Backskiste
Der Grund dafür lag im Abend zuvor. In einer Bar freundeten wir uns mit der weiblichen Hälfte einer Gruppe junger Dänen an, luden sie nach einiger Zeit auf das Boot ein, um ihnen den Schatz zu zeigen, den wir auf der „Bianca“ in der Backskiste horteten: Unzählige Barren aus Gold, die sich bei näherer Betrachtung als goldglitzernde Blechdosen der hauseigenen Aldi-Biermarke entpuppten. Es war Anfang der 90er Jahre und das flüssige Gold war in Dänemark ob des enormen Preisunterschieds heiß begehrt.
Langer Rede kurzer Sinn: Ein Teil der Crew verbrachte den Rest der Nacht an Land, erst geweckt durch den Freund der Holden, der morgens an der Tür pochte. In der Langversion dieser Anekdote würden jetzt noch eine Verfolgungsjagd – Mann gegen Mofa – und ein elektrischer Weidezaun sowie sehr viel Gülle eine Rolle spielen, aber es geht ja um das Hafenkino am späten Nachmittag.
Spätestens als eine der Bekanntschaften des vergangenen Abends plötzlich auf dem Boot erschien und freudestrahlend mitteilte, dass sie mit ihrem Freund Schluss gemacht hätte, war klar: Wir müssen auslaufen – und zwar schnell. Als Kiel Radio im „Ooostsee-Wedderbericht“ vor den aufziehenden Gewittern warnte, schnurrte ich noch verkatert im Schlafsack. Wetter-Apps gab es damals noch nicht. Und der Blick in den Himmel war von Panik in Anbetracht einer kräftigen Abreibung verklärt.
Schnell in den rettenden Hafen gebrettert
Die Wellen schlugen hoch, kaum hatten wir die Landabdeckung von Jütland verlassen. Ein Zurück gab es aber nicht mehr. Gegen die aufsteigende Übelkeit trank Marine-Marko ein Bier, das solle helfen, glaubte er gehört zu haben. Aber schon kurze Zeit später wurde seine These widerlegt, als das Bier farbenfroh angereichert mit einer Menge Goldbärchen über das Deck waberte.
Nach einer stürmischen Fahrt durch ein Gewitter und bangen Minuten in der Brandung an der Nordspitze Alsens erreichten wir nach einige Stunden endlich Fynshav. In Erwartung der nächsten Gewitterfront, die sich bereits über dem Meer entlud, preschte ich viel zu schnell in den rettenden Hafen. Schon die dritte oder vierte Box empfing uns mit einem einladenden grünen Schild, die Poller links und rechts erschienen uns wie ausgebreitete Arme, die uns schützend aufnehmen wollten.
Mitschiffs standen Marko und Holger, an Steuerbord wie Backbord, um mit einem geschickten Wurf den Palstek über die Poller zu legen. Ich riss die Pinne hart um, während eine Sturmbö dem Heck der Neptun noch einen kräftigen Schubs in Richtung Box verlieh. Um das Boot aufzustoppen, musste ich kräftig Gegengas geben. Also beugte ich mich zu dem Innenborder, legte den Hebel aus dem Leerlauf in den Rückwärtsgang und drehte kräftig auf.
4 Kommentare
Ja, großartig: auf den Punkt und nicht hasserfüllt anklagend. Die Gaffer werden sich leider nie schämen, aber lernen kann man aus einigen Filmchen schon etwas. Lampenfieber beim Anlegen mag ich auch nicht – habe immer versucht, alles nicht Notwendige zu ignorieren. Ich bin auch immer unschlüssig, ob ich fremde Hilfe von Land annehmen soll: ich kenne den Menschen nicht und weiß nicht was er drauf hat…..muss ich als Skipper von Mal zu Mal entscheiden. Danke Jens!
Einige der geschilderten Vorfälle erfüllen durchaus den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung und können strafrechtlich relevant sein! Wer Zeit für Videoaufnahmen hat, hat auch Zeit zumindest zu warnen, wenn nicht gar zu helfen.
Ich bin als Anfängerkapitän vorne mit dabei und habe meist die Hauptrolle im neusten Blockbuster des örtlichen Hafenkinos.
Meiner Meinung nach gibt es viel zuwenige „Docking Fails“ auf Youtube, denn davon kann ich sehr viel lernen 😉
Die Sofakapitäne bekommen im Kommentarbereich aber auch einiges an Kontra von vernünftigen Seglern. Witzig ist immer, wenn in der Mitte der Diskussion der im Film nicht sichtbare Kontext den vermeintlichen Fehler relativiert. Z.B. kann wegen fehlender Tiefe nicht mit Heck an die Hafenmauer, Antriebsprobleme, im Video nicht sichtbare Strömmung, …
Top Artikel! Du sprichst mir aus der Seele!
Und auch ich habe schon „lustiges“ (je nach Sichtweise) Hafenkino geliefert… Zum Glück auch ohne filmische Beweise; zumindest habe ich sie noch nicht gefunden 😉