Volvo Ocean Race, 26. März 2018, Etappe 7 von Auckland (Neuseeland) nach Itajai (Brasilien), rund 1.400 Seemeilen westlich von Kap Hoorn im Südpolarmeer. Das Boot der chinesischen Crew Scallywag segelt in aufgewühlter See bei Windstärke 8, in Böen 9 bis 10 Beaufort. Plötzlich fällt John Fisher als einer der erfahrensten Hochseesegler der gesamten Volvo-Ocean-Race-Flotte über Bord. Trotz sofort eingeleiteter und stundenlang andauernder Suchaktion wird „Fish“, wie er von seinen zahlreichen Freunden genannt wurde, nicht wiedergefunden. John Fisher bleibt auf See.
Eine Tragödie, die nicht nur die Segler auf der ganzen Welt erschütterte, sondern auch von Medien aufgegriffen wurde, die ansonsten eher zurückhaltend über Hochseeregattasport berichten. So wurden viele Menschen mit dem Thema „Gefahren auf See“ konfrontiert, die sich ansonsten durchaus für Wassersport interessieren, letztendlich aber kaum in vergleichbare Gefahrensituationen kommen und nur wenig Hintergrundwissen beisteuern konnten. Was wiederum zu viel Aufregung in Internet-Foren und in den Online-Kommentarbereichen bei einigen der berichtenden Medien führte.
Ohne den besserwisserischen Zeigefinger zu erheben, wollen wir einen Überblick über die neuesten Erkenntnisse zum dramatischen Unfall und Tod von John Fisher vermitteln – um das eine oder andere Missverständnis auszuräumen und einige der am häufigsten gestellten Fragen zu beantworten (Stand 10. April 2018).
Wie waren die Bedingungen, als John Fisher über Bord ging? War das nicht ein ganz normaler Tag im Southern Ocean?
Am 26. März hatte die Scallywag 4 bis 5 Meter hohe Wellen bei 30 bis 45 Knoten Windstärke, umgerechnet 8 bis 9 Beaufort. Die Sicht war durch Regenschauer eingeschränkt, Sonnenaufgang war in einer Viertelstunde, entsprechend diffus waren die Lichtverhältnisse. Erfahrene Südpolar-Seefahrer raten bei solchen Bedingungen zu verstärkter Vorsicht und umsichtiger Handlungsweise. Letztendlich handelt es sich bei Windstärken zwischen acht und neun Beaufort um nichts anderes als einen ausgewachsenen Sturm – auch wenn genau solche Bedingungen im Südpolarmeer relativ häufig vorkommen.
Was ist eigentlich genau passiert? Elite-Segler wie John Fisher fallen doch nicht einfach so über Bord!
Die „Scallywag“ surfte bei nahezu achterlichem Wind vier bis fünf Meter hohe Wellen hinab. Das sind immer prekäre Situationen. So faszinierend die gesteigerte Geschwindigkeit im Glitsch sein mag – der VOR-Racer dürfte ungefähr 20 bis 25 Knoten schnell gewesen sein –, so schwierig sind grundsätzlich alle Segelyachten in diesen Situationen auf Kurs zu halten. Dies gilt vor allem vor dem Wind.
Je platter man vor dem Wind unterwegs ist, desto größer ist die daraus resultierende Gefahr einer Patenthalse. Das Heck des Boots geht dann ungewollt durch den Wind, und das Großsegel (in Lee) schlägt unkontrolliert auf die vorherige Luv- bzw. neue Lee-Seite. Bei starkem Wind ist dies eine der gefürchtetesten Situationen auf allen Segelyachten, egal ob Racer oder Cruiser.
Als genau diese Patenthalse auf der „Scallywag“ passierte, war John Fisher auf dem Weg Richtung Bug, wo er offenbar etwas am (eingerollten) FR0-Vorsegel klarieren wollte. Er hatte also das Cockpit gerade verlassen. Während der Patenthalse wurde John Fisher schließlich entweder vom Baum, wahrscheinlicher aber vom Baumniederholersystem oder einem Großschotblock getroffen. Die Wucht des Schlags katapultierte den Segler direkt ins Wasser. Seine Crew nimmt an, dass John Fisher bereits ohnmächtig war, als er ins Wasser fiel.
Wieso war John Fisher nicht angeleint? Muss man beim Volvo Ocean Race keinen Lifebelt tragen?
Es steht außer Diskussion: Wer bei solchen Bedingungen ohne Lifebelt an Deck arbeitet, handelt sträflich leichtsinnig. John Fisher trug jedoch einen Lifebelt und war bis Sekunden vor dem Unfall nach Aussagen seiner Crew-Kollegen angeleint. Weitere Bekleidung: Überlebensanzug mit Neopren-Kapuze, Handschuhe, Schwimmweste.
Es gibt auf Rennern wie den VOR-Yachten oftmals Situationen, in denen schnell und intuitiv gehandelt wird. Zudem war die Scallywag-Crew bereits seit Tagen unter übelsten Bedingungen unterwegs, so dass sich unter allen Seglern ein gewisser Erschöpfungsgrad breit gemacht haben dürfte. Wenn also etwas rasch erledigt werden muss, handelt man eher intuitiv, ohne Plan.
So kann es passieren, dass man, etwa wenn ein Hindernis entlang der Reckleine umgangen werden muss, nicht an zwei Enden der Lifeline eingehakt ist, sondern nur an einem. Löst man nun den einen Haken und gleichzeitig überspült eine Welle das Boot, oder es kommt – wie in diesem Fall – der Baum mit Höchstgeschwindigkeit angerast…
Warum ist die Scallywag nicht einfach umgedreht und unter Motor zum Verunglückten gefahren?
Obwohl die „Scallywag“ nur unter Großsegel (ein Reff) und kleiner Fock segelte, ist so ein VOR-Racer nicht einfach „mal so“ abzubremsen. Ein gewollter Sonnenschuss, das Boot also durch rasches Anluven „aus dem Ruder“ laufen lassen, worauf sich das Boot „aufs Ohr“ legen würde, wäre ein zu großes Risiko für das Rigg – ein Mastbruch abseits aller Rettungsmöglichkeiten ein enormes Risiko für die Crew. Zudem könnte schon der nächste heranrollende Brecher die querliegende Yacht zum Durchkentern bringen.
Vielmehr dürfte, nach Absprache mit erfahrenen Hochseeseglern, die bereits auf VOR-Racern unterwegs waren, der Manöver-Ablauf wie folgt ausgesehen haben:
- MOB-Signal wird ausgelöst
- Die Jonbuoy wird dem Verunglückten hinterher geworfen
- All hands on deck – das dauert jedoch, da sich die Freiwache erst Überlebensanzug, Lifevest etc. überziehen muss!
- In der Zwischenzeit wurden die Schoten des Vorsegels gefiert
- Der Großbaum muss mittels Grinderarbeit (das Boot ist weiterhin vor dem Wind) möglichst mittig gebracht werden, um mehr Fahrt aus dem Schiff zu nehmen
- Canting Keel fieren in Normalposition, anluven, um das Großsegel zu reffen
- Motor anlassen
- Vorsegel einholen, Sturmfock setzen, Canting Keel neu positionieren
- Unter stark reduzierter Segelfläche und mit Hilfe des Motors Richtung MOB-Position kreuzen
Es dauerte etwa 40 Minuten, bis die Scallywag-Crew die Rennleitung per E-Mail darüber informierte, dass ein Mann über Bord gefallen sei und man mit dem Suchraster an der MOB-Position in Kürze beginnen werde. Bei zunächst 15 Knoten, später geschätzt 8 bis 10 Knoten Fahrt war die „Scallywag“ bereits mehrere Seemeilen vom Verunglückten entfernt, als sie sich auf den Weg zurück machte.
Weshalb hat man bei all’ dem Hightech-Gedöns John Fisher nicht gefunden?
Mittlerweile gehen alle Beteiligten davon aus, dass John Fisher nach dem Unfall nicht mehr das Bewusstsein erlangt hat. Hierfür sprechen mehrere Faktoren:
Die Jonbuoy, eine Rettungsboje, die dem Verunglückten direkt hinterher geworfen wurde und sich automatisch aufbläst, ist eigentlich ein vorerst einigermaßen sicherer Zufluchtsort. Der Verunglückte hängt sich in die Boje ein und wird von ihr sicher getragen. Vorausgesetzt, man kann sie schwimmend erreichen. Wird die Boje nicht von einem Körper beschwert, weht sie entsprechend schneller davon. Wurde sie deshalb nicht wiedergefunden?
Die Spinlock-Rettungsweste, die John Fisher nach Angaben seiner Crew-Kollegen beim Unfall trug, ist eine speziell für das VOR entwickelte Rettungseinheit. Die Weste bläst sich automatisch auf, die Kapuze legt sich dabei um den Kopf. Ertrinken durch brechende Wellen und Gischt ist so zunächst ausgeschlossen.
Die Spinlock-Weste ist zudem mit einem AIS-Beacon und im speziellen, zusätzlich angehängten MOB-Pack mit einem PLB-Beacon ausgestattet. Ein AIS-Signal hätte direkt vom VOR-Racer empfangen werden können, das PLB-Signal wäre über Satellit beim Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) eingegangen. Dort stand man übrigens während der gesamten Suchaktion mit „Scallywag“ in Verbindung. Doch beide Systeme, die manuell bedient werden, wurden offenbar nicht ausgelöst.
Dass John Fisher trotz stundenlanger Rastersuche durch die Scallywag-Crew nicht gefunden wurde, ist trauriges Seefahrer-Schicksal. In einem unendlich erscheinenden Chaos aus meterhohen Wellen, starken Windböen und unberechenbaren Strömungen ist die Suche nach einem Über-Bord-Gefallenen mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichzusetzen. Bleibt nur zu hoffen, dass John Fisher ein gnädiges Ende vergönnt war – R.I.P.
John „Fish“ Fisher ist bereits der zweite Tote, der bei diesem Volvo Ocean Race zu beklagen ist. Vor Hongkong raste nachts das Team Vestas wenige Seemeilen vor dem Ziel in ein chinesisches Fischerboot, auf dem ein Seemann den Crash nicht überlebte. Und vor zwei Monaten ereignete sich – in ungleich wärmeren Gefilden bei deutlich sanfteren Bedingungen – bereits ein weiterer MOB-Unfall. Dabei ging alles glimpflich aus. Der verunglückte Segler konnte unverletzt rasch geborgen werden. Ironie des Schicksals: Das geschah ebenfalls auf der „Scallywag“.