Wer jemals Segelstunden nahm, wird sich an den Ruf „Mann über Bord!“ meist mit Vergnügen erinnern. Denn beim Besuch einer Wassersportschule gehört das Manöver für die Bergung über Bord gefallener Personen zum unterhaltsamen Teil der Praxisausbildung. Endlich passiert einmal etwas! Heute wird das Manöver „Mensch über Bord“ oder „Person über Bord“ genannt. Natürlich fällt dabei nie wirklich jemand ins Wasser. Zumeist ist es ein Fender oder eine Boje – oder Karlchen, die schwimmfähige Puppe der Segelschule Well Sailing in Neustadt.
Sie alle helfen dabei, das Mensch-über-Bord-Manöver zu üben. Segelschüler kennen es bald wie im Schlaf: Als Skipper teile ich jemanden von der Crew zur Beobachtung der Boje/Person ein. Dann steuere ich einige Bootslängen vom Wind weg („abfallen“), um Schwung und Raum zu gewinnen für die gefahrlose Drehung mit dem Bug durch den Wind („Wende“). Dann erst halte ich auf das Objekt zu. Bei Kontakt wird gestoppt, indem ich in den Wind steuere („Aufschießer“).
Jetzt fischt ein Mitsegler die Boje mit dem Bootshaken auf, meldet den Vollzug – und schon gerettet! Alles kaum schwieriger, als einen Knopf anzunähen oder rückwärts einzuparken. Ich muss nur noch das Boot aus dem Wind drehen, die Segel dicht holen, dann geht es weiter – bis der Segellehrer wieder die Boje ergreift und der Alarmruf „Boje über Bord!“ erschallt. Lerninhalt abgehakt.
Dieses MoB-Manöver, wegen des beschriebenen Kurses, der ein Q beschreibt, auch „Q-Wende“ genannt, lehren Segelschulen vom Bodensee bis nach Rügen. Inzwischen gibt es noch ein, zwei weitere Manöver, die ähnlich geübt werden.
Wenn es plötzlich ums Leben geht
Doch ähnlich wie die Herzmassage-Übung bei der Ersthilfe gibt unser MoB-Manöver die Realität offenbar nur unzureichend wider. Das zeigen Fälle, in denen es nicht um eine läppische Boje, sondern ums Leben ging. Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) analysiert auch solche Unfälle und bringt in dem ihr eigenen, erschütternd sachlichen Stil Fehler und Versagen auf den Punkt.

Ende April 2011 passierte es zum Beispiel vor Fehmarn: Auf der Segelyacht „Special One“ war bei frischer Brise durch Unaufmerksamkeit die Großschot außer Kontrolle geraten. Skipper und Stellvertreter stiegen aus dem Cockpit nach vorn und behoben das Problem.
Der Baum haute den Skipper über Bord
Auf dem Rückweg, vermutlich fiel eine Böe ein, ging der Co-Skipper über Bord. Er hielt noch das Ende der Schot in der Hand, so war sofort Kontakt da. Doch beim Versuch, den Mann zu greifen, zog ihm ein Mitsegler versehentlich die Rettungsweste über den Kopf. Das Opfer trieb ab, erst ein Fischkutter sichtete es wieder. Doch da hatte es bereits den Kopf unter Wasser.
Nach knapp 45 Minuten in der 10 Grad kalten Ostsee war der Mann ertrunken. Eine siebenköpfige Crew, die Mehrheit mit guten Segelkenntnissen, hatte ihn trotz mehrerer MoB-Versuche nicht an Bord holen können. O-Ton BSU: „Mit einem gut durchgeführten Manöver an die Person heranzukommen, genügt alleine nicht, sondern weitaus schwieriger ist die Bergung aus dem Wasser.“
Ein anderer Fall, dasselbe Ergebnis: Spätsommer 2007 in der Elbmündung, beim Bergen des Großsegels von „Kleiner Lump“ haute der Baum den Skipper über Bord. Auch hier gelang der Kontakt über eine Leine, doch sein Mitsegler bekam ihn nicht ins Boot – das Freibord der acht Meter langen Yacht liegt ein Meter hoch. Nach eineinhalb Stunden im Wasser schafften Dritte die Bergung, doch der Skipper war ebenfalls bereits ertrunken. Nüchternes Fazit der BSU: „Eine Ausrüstungspflicht, die das Wiedereinsteigen aus dem Wasser ins Boot erleichtert, besteht nicht.“