Seit 2017 ist Leo Sampson dabei, die Tally Ho, den Albert-Strange-Rennkutter von 1909, neu aufzubauen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis sie ihrem Element übergeben wird. Vieles ist einfacher geworden seit den Anfangstagen. Leo arbeitet mit einem Team von Profis und Volunteers, die langfristig dabei sind. Er muss nicht mehr so viel Zeit investieren, um freiwillige Helfer einzuarbeiten, die das Projekt nach ein paar Wochen wieder verlassen.
Eine weltweite Fangemeinde unterstützt ihn und die zigtausendfach geklickten Youtube-Videos sorgen für eine gesicherte Finanzierung. Dass er sehr umtriebig ist und zielstrebig arbeitet, hat Leo in den letzten Jahren bewiesen. Der Rumpf der Tally Ho ist geschlossen, das Deck liegt.
Es fehlen nur noch die „Fische“ oder King Planks aus wertvollem Teakholz, die die Enden (die Nips) des gelben Zederndecks aufnehmen. Eine filigrane Fummelarbeit, wie wir schon aus der letzten Folge wissen, als Zeal und Pete die Leibhölzer (die coverboards) angepasst haben.
Zeitplan durch die rosarote Brille
Nun geht es daran, den Innenausbau fertigzustellen, Luken und Skylights an Deck zu bauen und das Cockpit. Dabei muss Leo aber auch darauf achten, dass Tanks, Aggregate, Leitungen und Kabel installiert werden können, ohne Einbauten wieder zu entfernen. Dann wäre der Rumpf fertig. Erst dann kann das Rigg angegangen werden. Und erst, wenn das alles fertig ist, sollen die Segel angepasst werden Das Holz für den Mast und die anderen Rundhölzer hat er schon besorgt: allerbestes Sitka Spruce aus Alaska.
Ein weiterer großer Zeit- und Geldfaktor sind die Versorgungssysteme. Wasser, Kühlung, Heizung, Strom und Navigation. Da er mit dem Schiff auch nach Europa cruisen und dabei möglichst autark sein will, braucht er Stromerzeugung mit Wellengenerator und Sonnenkollektoren. Es gibt insgesamt vier Stromspannungssysteme: 12 V und 24 V Gleichstrom (DC), dazu 110 V und 220 V Wechselstrom (AC). Auch an eine Meerwasser-Entsalzungsanlage hat er gedacht.
Komplexes System
Das ist alles sehr komplex und macht Leo Sampson nachdenklich. Er hat zwar diesbezüglich genaue Vorstellungen, ist aber auf die Hilfe von Fachleuten angewiesen. Alles muss zusammenpassen, darf nicht zu schwer sein und muss möglichst eingebaut werden, bevor die Schränke und Kojen keinen Zugang mehr zulassen.
Es gibt eine alte Regel für den Zeitaufwand beim Schiffbau: ein Drittel der Zeit für den Rumpf und das Deck, ein Drittel für den Innenausbau und ein Drittel für Rigg und Segel. Der Rumpf ist fast fertig, an Deck ist noch reichlich Arbeit zu erledigen.
Der Innenausbau steckt in den Anfängen und für das Rigg liegt gerade mal ein Stapel Holz da. Bis hierhin hat Leo fünf Jahre gebraucht. Wenn er sagt, noch etwa zwei Jahre bis zum Stapellauf, klingt das sehr optimistisch.
Deutsche Software gegen Kopfsalat
Leo führt uns in sein Büro unter dem Dach. Hier hat er seine Rechner stehen und das große Zeichenbrett. Hier konstruiert er, schreibt E-Mails, macht Material-Bestellungen, schneidet seine Videos und haut auch mal seinen Kopf an die Wand, wenn ihm nichts mehr einfällt. Bisher hatte er den ganzen Plan im Kopf, was ihm immer mehr Stress bereitete, je komplexer das Projekt wurde.
Ein Project-Management-Profi aus good old Germany, der Leos Projekt schon lange verfolgt, ist mit ihm per Zoom in Verbindung getreten. Gemeinsam haben sie eine Software entwickelt, die den Arbeitsfluss visualisiert. „Aus meinem Kopf auf Papier“, wie Leo Sampson sagt. Das stimmt nicht ganz, er meint auf den Bildschirm.
Jeder Job hat ein Kästchen und seine Zeit, Beginn und Ende. Zum Beispiel „Einbau der Türen: 13.-15. März 2023“. Alle Kästchen sind miteinander verbunden und alle Jobs, die aufeinander aufbauen, entsprechend markiert. Sehr professionell und ganz anders, als die Bootsbauer 1909 gearbeitet haben, als das Schiff das erste Mal gebaut wurde.
Zwei Jahre – oder zwölf?
Pete erzählt von der Zeit der großen Werften. Als Tally Ho damals unter dem Namen Betty bei Stow & Son of Shoreham in England gebaut wurde, haben bis zu 40 Schiffbauer an dem Projekt gearbeitet. „Wie eine geölte Maschine, jeder wusste, was er zu tun hatte.“ So konnte solch eine Yacht innerhalb eines Jahres fertiggestellt werden.
Als der Autor dieser Zeilen in den 1980er-Jahren bei der Schippstimmerie Bierritz in Friedrichskoog Holzschiffe gebaut hat, haben zwölf Bootsbauer die „Wappen von Bremen III“, die heutige „Freya¶, innerhalb eines Jahres vom Kielbalken bis zur letzten Schraube aus Kambala fertig gebaut.