Hätte man beliebige Vertreter der Bootsbranche in Deutschland vor sechs Wochen zu den Aussichten für 2020 befragt: Die Antworten wären fast alle optimistisch gewesen, mit einem zufriedenen Blick zurück auf ein fabelhaftes letztes Jahr. Mit der Ausbreitung von Covid-19 in Europa ist alles anders. Deutsche Werften produzieren, Stand heute, immer noch Boote, mitten in der Coronakrise. Wie funktioniert das?
Wir haben bei deutschen Werften nachgefragt, die mehr als 80 Boote bei Jahr herstellen, wie die aktuelle Situation im Unternehmen ist. Was hat sich verändert? Denn schon in der vergangenen Woche hieß es: Die Franzosen stoppen die Bootsproduktion. Und seitdem folgten ihnen andere viele internationale Werften, die ihre Betriebsstätten vorübergehend geschlossen haben. Selbst Delphia stellt die Produktion zum 30. März vorübergehend ein.
Anders als bei den meisten deutschen Automobilherstellern läuft der Betrieb bei den Serienbootproduzenten hierzulande weiter. Und das gilt nicht nur Hanse Yachts in Greifswald und Bavaria in Giebelstadt, sondern auch für kleinere Hersteller.
„Kein unnötiges Risiko“ bei Bavaria
Die Produktion bei Bavaria Yachts am Hauptsitz in Giebelstadt läuft nach wie vor „ganz normal“, erklärt Firmensprecher Marcus Schlichting gegenüber float. „Natürlich unter den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen, um unsere Mitarbeiter keinem unnötigen Risiko auszusetzen.“
Die Lieferfähigkeit leidet bisher nicht, schließlich hat Bavaria Yachts als Großbetrieb entsprechende Kapazitäten. „Allein diese Woche werden etwa knapp 15 Boote die Werft verlassen. Und wir sind sehr zuversichtlich, alle bestellten Boote auch weiterhin termingerecht liefern zu können“, heißt es.
Lieferfähigkeit vor Produktentwicklung
Anfang des Jahres stellte Bavaria die ersten neuen Modelle nach dem Neustart 2018 vor. Die Entwicklung der neuen Modelle ist nach Werftangaben im Zeitplan „und diesen Zeitplan verfolgen wir auch weiter“, so der Sprecher.
Auf die 2020er-Premieren, die sportliche Motoryacht SR 41 und die Segelyacht C 42 sollen weitere Modelle folgen. Zudem übernimmt die bayerische Werft die Daycruiser-Serie Neo von Greenline und bietet damit erstmals Außenborder-Motorboote an.
„Wie jedes Unternehmen in diesen schwierigen Zeiten bewerten wir natürlich die Lage fast jeden Tag neu und leiten daraus mögliche Szenarien ab, um uns auf eventuell kommende Rahmenbedingungen vorzubereiten. Zurzeit liegt unser Fokus darauf, unsere Kunden auch weiterhin termingerecht zu beliefern.“ Im Zweifelsfall gilt also: Lieferfähigkeit first.
Hanse Yachts produziert in drei Ländern
„Alle vier Produktionsstätten von HanseYachts sind immer noch fleißig am Produzieren“, meldet das Unternehmen auf der immer wieder aktualisierten Website. Außer in Greifswald produziert die Werftgruppe auch im eigenen Werk in Polen und bei der französischen Multihull-Tochter Privilege. „Sogar in Frankreich, wo die höchsten Einschränkungen vom Staat verordnet wurden, wird produziert.“
Das ist gut für die Lieferfähigkeit des börsennotierten Unternehmens, das einen besseren Kurs vertragen könnte. „Derzeit sind alle Auslieferungen noch pünktlich“, so Hanse-CEO Jens Gerhardt, „und es existieren bis jetzt keine Verspätungen.“ Es ist, so die Firmenauskunft, bei HanseYachts auch – Stand 25. März 2020 – kein einziger Corona-Fall bekannt.
Grenzgänger kommen nicht mehr ins Werk
Dennoch wirkt sich die Coronakrise auch ohne Schließung direkt auf das Produktionstempo aus. „Wir können aber schon absehen, dass wir die heutige sehr hohe Produktionsgeschwindigkeit nicht mehr wie geplant weiter laufen lassen können. Wir werden weiter produzieren, aber mit langsameren Bändern.“ so Jens Gerhardt.
Es fehlten leider in allen Werken Mitarbeiter, im Wesentlichen deshalb, weil die Schulen geschlossen sind und auf die Kinder aufgepasst werden muss. Oder aber, weil die Grenzen nach Polen geschlossen wurden und Grenzgänger so nicht mehr zu Arbeit kommen können. „Wir analysieren gerade, wie stark sich das auf die Auslieferzeiten der einzelnen Bestellungen auswirken wird. Man gehe davon aus, dass diese für jedes einzelne Schiff „nicht gravierend“ sein werde.
Genug Holz bei Hanse
Die Materiallage ist dagegen weniger ein Problem bei HanseYachts. „Wir haben es diese Woche sogar noch geschafft, eine letzte Lieferung mit Holz aus Italien zu bekommen.“ So hat das Unternehmen nun Material für die eigene Tischlerei bis Ende Juni physisch auf Lager. Nun gehe man weitere wichtige Materialketten durch: Denn auch in anderen Ländern – also nicht nur in Italien und China – komme es im Moment zu Werksschließungen und so zu Versorgungsengpässen.
„Wir sind inzwischen ausverkauft bis Ende Juni und nehmen daher neue Bestellungen zum Sommer selbstverständlich gerne an“, so der Hanse-Chef. Werden Boote nach dem 1. Juli 2020 fertiggestellt, bedeutet das für die HanseYachts AG allerdings, dass der Umsatz ins nächste Geschäftsjahr fallen wird. Die Prognosen für das laufende Geschäftsjahr hat die Aktiengesellschaft daher zurücknehmen müssen.
Und wie steht es bei den kleineren Herstellern, die in den vergangenen Jahren in Deutschland erfolgreich Boote produziert haben?