Sie haben eine kleine Odyssee hinter sich: 27 Jugendliche, die seit einem halben Jahr mit dem Dreimaster „Pelican“ auf dem Atlantik unterwegs sind. Corona hat ihren Törnplan umgeworfen.
Das 45 Meter lange Schiff ist seit Oktober als „Ocean College“, als segelndes Klassenzimmer auf See. Sechs Monate im Jahr dient es Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 17 als segelndes Internat, unterwegs von Europa in die Karibik und wieder zurück.
Während durch Corona sämtliche Schulen in Deutschland zwangsweise geschlossen sind, wird hier – auf hoher See – noch tagtäglich Unterricht gegeben. Doch in den vergangenen Wochen wurde der Lehrplan etwas durcheinander gebracht: Durch Corona hatten viele Häfen geschlossen, Landgänge waren unmöglich geworden.
Frankreich verbot die Einreise
Ursprünglich sollte die Reise in Bordeaux enden, wo „Pelican“ auch im Oktober 2019 abgelegt hatte zu ihrem Törn in die Karibik. Doch Frankreich erlaubt die Einreise nicht mehr.
Also hat das Ocean College umdisponiert, nach einer stürmischen Atlantik-Überquerung wird nun die deutsche Nordseeküste angesteuert. Zuvor konnte auf den Azoren immerhin noch Proviant und Diesel übernommen werden – selbstverständlich unter strengsten Hygiene-Bestimmungen.
Jetzt ist Schulleiter Johan Kegler froh, das die Reise doch noch ein gutes Ende nehmen kann: „Allein für die österreichischen und Schweizer Eltern Sondererlaubnisse zur Einreise zu erlangen, war ein ziemlicher Stress.“

Montessori auf dem Wasser
Das Ocean College ist die Erfindung des 40-Jährigen: Die Übertragung des Montessori-Konzepts auf eine schwimmende Schule. Kegler hält nicht viel vom staatlichen Schulsystem: „Ich habe in der Schule schreiben gelernt, viel mehr aber auch nicht.“ Er hält Noten und Sitzenbleiben für „Schwachsinn“.
Sein Gegenentwurf: Gemeinsam lernen, aber jeder selbstbestimmt und mit seinem eigenen Tempo. Und vor allem: möglichst viel in der Praxis. Dafür eignet sich das Prinzip Segelschulschiff seiner Einschätzung nach ideal: „Der Reiseaspekt: Unterwegs sein, das Schiff gemeinsam führen und dabei wirklich alles selbst machen.“
Zumal die Kinder richtig ‘ran müssen: Auf der Rückreise übernehmen sie das stählerne Schiff, gehen in die Masten, setzen und brassen die Segel, steuern und navigieren. Die Erwachsenen – ein Kapitän mit drei Mann Crew – schauen nur zu und übernehmen, wenn es brenzlig wird. Putzen müssen die Jugendlichen auch, täglich eine Stunde. „Das nennen wir ,Happy Hour‘, natürlich ohne Alkohol.“

Erlebnispädagogik für Reiche?
Wer die Website sieht mit den exotischen Fotos vom Schiff im Sonnenuntergang und vergnügten Jugendlichen beim Kopfsprung vom Klüverbaum, könnte die Veranstaltung für eine Art Erlebnispädagogik der Upper Class halten. Kegler meint, dass würde er selten hören.
„Wir sind teuer im Vergleich zu einem Auslands-Schuljahr“, gibt er zu. Zumal es nur ein halbes Jahr ist. Doch das segelnde Klassenzimmer habe einige Vorteile gegenüber dem klassischen Year Abroad: „Die Kinder verlieren kein Jahr, weil unser Unterricht auf dem Festland anerkannt wird.“ Sie könnten direkt wieder einsteigen in ihre alte Schulklasse.
Hinzu kommt: Unterrichtssprache ist Englisch, nach Dienst wird Deutsch gesprochen. Die Jugendlichen sehen nicht ein einziges fremdes Land, sondern zehn. „Und machen zwei Atlantiküberquerungen.“
Navigation im Matheunterricht
Der Unterricht soll möglichst viel Praxisbezug herstellen: Die Kinder besuchen eine Kaffeefarm, leben in Gastfamilien, lernen nachhaltige Landwirtschaft kennen, die Lebensbedingungen der Menschen in anderen Erdteilen hautnah. „Wir versuchen, Fächer übergreifend an die Sache heranzugehen.“ In Mathe wird Navigation gelernt, in Biologie die Meeresfauna und -flora untersucht.
Das alles für 25.000 Euro all inclusive. „Nachfrage ist da. Es wird nicht als Wucher wahrgenommen. Klar, viele können sich das nicht leisten – aber wenn man alles durchrechnet, ist es geradezu ein Schnäppchen.“ Allein für die komplette Verpflegung gehen 70.000 Euro für den gesamten Törn über den Tisch, sagt Kegler.