Interview mit Marlene (15), als Schülerin auf der „Pelican“

float: Auf der Website von Ocean College ist von echten Herausforderungen die Rede – was war für Dich auf dieser Reise die größte Herausforderung?
Marlene: Einer der schwierigsten Aufgaben bei der Reise ist das Umgehen mit der psychischen Belastungen, welche wir alle erfahren haben. Ausgelöst wird es beispielsweise durch Platzmangel oder fehlende Privatsphäre. Ich selber habe für fast vier Monate in einer Kabine mit fünf weiteren Mädchen gelebt; und auch wenn es manchmal chaotisch war, weitere fünf Mädchen in unserem Zimmer standen oder wir unsere Wäsche waschen mussten, würde ich niemals die Zeit in meiner 6er Kabine gegen eine in der 4er Kabine eintauschen.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Wache, welche wir täglich machen müssen. Zu Beginn der Reise hatten wir alle vier Stunden Wache mit je vier bis fünf Personen. Als wir uns zuhause wieder genähert haben, sind wir allerdings zu acht Stunden gesprungen. Wenn der Wind stärker weht, hoher Seegang ist, das Schiff sich durchgehend bewegt und schief liegt, kältere Temperaturen herrschen und Du zusätzlich seekrank bist, kann es sowohl körperlich als auch psychisch sehr anstrengend sein. Durch den Platzmangel hängen wir alle eng aneinander und verbringen sehr viel Zeit zusammen. Auf der einen Seite kann das sehr gut sein, auf der anderen jedoch führt es auch zu Streit und Heimweh.
Dein todsicherer Tipp gegen Seekrankheit?
Das ist leider das Problem mit Seekrankheit, es gibt keinen „todsicheren“ Tipp. Bei jedem hilft etwas anderes. Da man aber meistens nicht in der Lage ist, irgend etwas zu machen wenn Dir schlecht ist, ist es die beste Idee ins Bett zu gehen.
Allgemein ist Dir weniger schlecht, wenn Du Dich ausgestreckt hinlegst und tief in Deine Decke einkuschelst. Bananen, Brot, Nudeln, Salzbrezeln, Cola und viel Wasser sind die besten Lebensmittel, die Du während Deiner Seekrankheit essen kannst.
Ich erinnere mich, dass unsere Crew uns in der Biscaya, wo das Wetter besonders schlecht war, den Tipp gab, Bananen zu essen – da sie „rein und raus“ lecker schmecken würden.
Was war der härteste Schock für Dich an Bord?
Während unserer Reise waren weltweit Menschen unter Corona erkrankt. Wir lebten zwar in Quarantäne auf See und waren nicht betroffen von dem Virus, mussten aber leider trotzdem mit den Auswirkungen leben. Wir waren auf dem Weg von Bermuda auf die Azoren. Einen Tag vor unserer Ankunft haben wir dann erfahren, dass es uns nicht erlaubt ist das Land zu betreten oder wenigstens zu berühren.
Ich dachte im ersten Moment, dass das ein Scherz wäre. Während der Zeit unserer zweiten Atlantiküberquerung hatte sich die Lage stark verschlimmert, wir waren also nicht auf dem neusten Stand. Es hat uns alle enttäuscht und geschockt, es fühlte sich unwirklich an. Ebenfalls sollte unsere Ankunft sich dadurch ändern. Zuerst wurde unser Ankunftshafen nach Deutschland verlegt, dann war es unklar, ob unsere Eltern überhaupt kommen dürfen, ob wir am Kai anlegen dürfen, ob wir erst noch in Quarantäne müssen.
All diese Fragen und mehr mussten wir auf einmal verarbeiten. Für einige war die Vorstellung von der Einfahrt nach Bordeaux das, woran sie sich bei Heimweh festgehalten haben. Auf einmal sollte es ganz anders kommen. Es war eine beeindruckende Erfahrung, mit der wir, finde ich, sehr gut umgegangen sind.
Was wirst Du als erstes tun, wenn Du in Cuxhaven an Land gegangen bist?
Das ist für mich ganz klar! Meiner erster Schritt wird sein, meine Eltern und meine Schwester ganz fest in den Arm nehmen. Meine Familie wird mit dem Auto anreisen und ich möchte, dass wir meine Heimkehr so verbringen wie die Fahrt zu meinen unglaublichen Erlebnissen.
Ich erinnere mich, wie ich mit meiner Schwester auf der Rückbank saß, unsere Musik durch die Boxen dröhnte und ich einfach nur glücklich war. Dabei möchte ich das Essen verputzen, das mir meine Familie mitgebracht hat. Ich sehe die Szene vor mir und kann es kaum erwarten.

Welche Unterschiede zum Schulunterricht an Land gefallen Dir am besten? Und welche findest Du eher unpraktisch?
Schule auf dem Schiff ist einfach nur genial! Stellen Sie sich vor, Ihre Schule beginnt um 8.00 Uhr – und Sie stehen um 7.55 auf und sind trotzdem pünktlich. Mein Schulweg bestand aus einmal Treppen steigen. Dabei können wir im Schlafanzug uns gemütlich hinsetzen oder halb hinlegen, wobei man sich meiner Meinung nach besser konzentrieren kann.
Ab und zu in die Küche gehen, einen Tee machen oder Essen vom Vortag aufessen, ist auch möglich. Ich habe diese Art von Schule geliebt. Dadurch, dass wir mit unseren Lehrern zusammenleben, ist das Verhältnis viel besser und der Unterricht ist leichter zu bewältigen.
Das Problem bei Unterricht an Bord liegt allerdings beispielsweise in der Seekrankheit. Häufig, wenn wir aus einem Hafen ablegen, sind wir nicht mehr so gut an die See gewöhnt und viele von uns werden erneut seekrank.
Ebenfalls ist es schwierig, Unterricht zu haben, wenn das Schiff schief liegt. Erstens fallen die Lehrer fast die ganze Zeit hin. Und wenn wir Pech haben, steht das Schiff in die falsche Richtung schief und wir fallen von unseren Sitzen. Was dabei aber ganz witzig ist: Dass Du auf Deinen Platz rutschen kannst, da die Schwerkraft dich nach unten zieht.
Wie hältst Du Kontakt zu Eltern und Freunden? Wie oft ist das möglich?
Während wir auf See sind, ist es uns nicht möglich mit unseren Familien oder Freunden zu kommunizieren. Wir können ihnen höchstens eine Nachricht in einen unserer Berichte schreiben. Da aber immer wieder neue Mitglieder an Bord gekommen sind, war es unseren Familien möglich, Briefe zu schicken.
Zum Beispiel konnten wir an Weihnachten Post von unseren Familie öffnen, welches eine der schönsten Geschenke war. Wenn wir für Landgänge unser Handy bekommen, suchen wir uns immer WLAN in Cafés, Restaurants, Hotels oder wo auch immer es Internet gibt. Dann ist es uns möglich, mit Verwandten über Whatsapp zu telefonieren.
Ich erinnere mich nach 19 Tagen Atlantiküberquerung, als ich das erste mal wieder die Stimmen von Zuhause hörte. Diese Zeitspanne von Afrika in die Karibik war die längste Zeitperiode, in der wir keinen Kontakt haben konnten.
Normalerweise ist es uns aber möglich, zwei- bis dreimal im Monat zu telefonieren. Als wir in Costa Rica für drei Wochen an Land waren, durften wir unser Handy behalten. Die ersten zwei Wochen lebten wir in Gastfamilien, und wir hatten durchgehend Kontakt zu unseren Familien in Europa.
Gibt es Typen, denen Du von so einem Erlebnis eher abraten würdest?
Ich würde sagen, dass man starke Nerven braucht, wenn man an so einer Art von Reise teilnehmen will. Es kann durch den engen Raum häufig dazu kommen, dass Du in einen Streit gerätst, keinen Raum bekommst, wenn du ihn brauchst, Du Deine Familie sprechen möchtest und es vielleicht erst in zwei Wochen möglich ist, Du keine Pause bekommst wenn Du eine wünschst, Du bestimmte Speisen vermisst oder einfach nur frische Wäsche.
Du musst sowohl körperlich als auch psychisch über Deine Grenzen gehen können. Während der ganzen Reise ist es doch echt wichtig, mit Menschen umgehen zu können und mit vielen verschiedenen Emotionen umgehen zu können. Das ist, würde ich sagen, einer der wichtigsten Faktoren. Wir alle laufen über Gefühle und an Bord sind sie verstärkt.
Was machst Du, wenn Dich akutes Heimweh überfällt? Gibt es eine abgesprochene „Routine“ dafür, und wird sie oft erprobt?
Auch wenn es nicht möglich ist, mit der Familie daheim zu reden, ist die neue Familie ganz nah. Das habe ich recht früh gemerkt. Es ist so schön, wie wir uns umeinander gekümmert haben und es wird sehr früh erkannt, wenn es einem nicht gut geht.
Dann werden die Vorräte hervorgeholt, zum Beispiel Schokolade oder Chips und dazu ein warmer Tee. Dabei wird dann geredet oder ein Film geguckt und tief in die Decke eingekuschelt. Wenn Du einmal nicht reden möchtest, greifst Du Dir Dein Tagebuch und schreibst Deine Gefühle so oft auf, bis Dein Tagebuch sie aufgesogen hat. Es ist auf jeden Fall garantiert, dass Dein Heimweh nicht bleibt, dafür sorgen die Freunde.
Was wirst Du vermissen, wenn Du von Bord gegangen bist?
Alles, bis auf das Putzen vielleicht. Es ist so schön, durch die Tür zu treten und nichts außer einen blauen Ring aus Wasser um sich zu sehen. Dazu die Spiegelung der Sonne tanzend auf den Wellen, Freunde albern ‘rum, gesetzte Segel über meinem Kopf und das Plätschern des Meeres um mich herum. Die ganze Routine unterscheidet sich stark von Zuhause und ich weiß, dass ich mich in meine Routine an Bord zurückwünschen werde.
Ich bin mir bewusst das ich alles vermissen werde, was mich gerade nervt – wie ständige Besuche im Zimmer, Kampf ums Essen, manchmal die Lautstärke, unterbrochenen Schlaf durch die Wache und so weiter. Dazu kommt, dass zuhause momentan Corona herrscht und Körperkontakt verboten ist.
Hier allerdings sind wir frei und umarmen uns ständig. Die ganze Stimmung unterscheidet sich stark von Zuhause, sie ist unbeschreiblich. Es ist für mich gerade unvorstellbar, dass ich mal auf eine andere Art und Weise gelebt habe, als auf der Reise.