Anker unter Anker
Etwas umständlicher ist es, wenn beim Einholen als Beifang gleich der ganze Anker des Nachbarn mitkommt. Bei viel Wind ist das Manöver ziemlich tricky, vor allem für das Boot, das plötzlich keinen Halt mehr hat. Auch ist die eigene Ankerwinsch manchmal nicht kräftig genug, um zwei Anker, sobald die Schwerkraft oberhalb der Wasserlinie ihnen zusetzt, an Bord zu ziehen.
Dann muss entweder ein Crewmitglied mit Maske und Schnorchel in Wasser springen, um die Leine um den Anker zu legen, oder man nutzt das Dinghi. In jedem Fall müssen dann die beiden Enden der Leine an Bord gegeben werden. Von dort aus es einfacher, den schweren Anker des Nachbarn anzuheben, um den eigenen zu befreien. Sollte sich niemand an Bord der anderen Yacht befinden, sollte man so fair sein und warten – und gleichzeitig das andere Boot sichern.

Australischen Freunden wurde vergangenes Jahr ein tolles Spektakel geliefert. Sie lagen vor Knidos, einer atemberaubenden antiken Stätte, ganz im Südwesten der Türkei, vor Anker. Die enge Ankerbucht mit weichem, sandigen Boden ist der ehemalige Hafen der Ruinenstadt. Vom Amphitheater aus beobachteten sie, wie eine Chartercrew sich abmühte, ihren Anker von dem des Nachbarn zu befreien.
Hafenkino vom Feinsten
Es war Hafenkino vom Feinsten, noch dazu in der schönsten vorstellbaren Kulisse. Dumm nur, dass die Australier nicht nur Zuschauer waren: Unfreiwillig wurden sie auch zu Protagonisten des Spektakels. Denn der Anker, von dem die Chartercrew sich so mühsam befreite, gehörte zu ihrem Boot.
Doch anstatt ihren Anker möglichst weit mit dem Dinghi hinauszufahren, auf dass er eine Chance hätte, sich wenigstens ein bisschen einzugraben, ließ die Crew ihn einfach plumpsen. Und das, obwohl die Yacht unter australischer Flagge bereits ziemlich dicht ans Ufer getrieben war. Und so wurde das genüssliche Hafenkino zu einem sportlichen Triathlon vom Amphitheater zum Ufer, einem Dinghi-Rennen und einem hektischen Ankermanöver in letzter Minute. Die Charteryacht war da längst auf See.

Anker sitzt fest
Es sind nicht nur andere Anker, mit denen sich das eigene Eisen verhaken kann. Die natürlichen Feinde eines jeden Ankerliegers sind Felsspalten, Mooringblöcke und Halteketten für Bojenfelder. Sitzt der Anker fest und alles Manövrieren hilft nichts, dann wohl dem, der lange die Luft anhalten kann oder über eine Tauchausrüstung verfügt.
Viele Segler schwören auf eine Mini-Tauchflasche mit Mundstück, die zumindest ein paar Minuten Arbeit unter Wasser ermöglicht. Sollte man den Anker beim Tauchen nicht frei bekommen, so ist es ratsam, zumindest am vorderen Ende des Ankers eine Leine zu befestigen, wenn man nicht bereits im Vorfeld an die Sorgleine gedacht hat.

Zurück an Bord ist es wichtig, zunächst viel Kette zu geben und die Sorgleine entsprechend auf der Klampe zu belegen. Dann heißt es, das Boot vorsichtig mit dem Heck über den Anker zu fahren, ohne dass die Schraube in Kontakt zu Kette und Leine kommen kann. Über die Sorgleine wird dann der Anker unter dem Hindernis hervorgezogen.
Einen Profitaucher engagieren?
Hängt der Anker auf sehr großer Tiefe fest, ist es ratsam, einen professionellen Taucher zu engagieren. Bei einem Charterboot sollte auf jeden Fall die Basis informiert werden, aber auch für andere Segler sind die Charterbasen ein guter Vermittler zu Tauchern. Der Spaß ist nicht ganz günstig. Immerhin muss der Taucher erst zum Ankerplatz gebracht werden. Das ist aber immer noch billiger als sich vom Anker samt Kette zu trennen. Dann werden aus ein paar hundert Euro gleich ein paar Tausend.
Trotz aller Widrigkeiten, die beim Ankern passieren können, ist es aber sicherlich die schönste und abwechslungsreichste Art, die Nacht auf einem Boot zu verbringen, fernab von teuren Marinas mit dem Charme von Campingplätzen. Und noch einen Vorteil haben Ankerplätze: Ist der Anker einmal vernünftig eingefahren, liegt ein Boot vor Anker bei Sturm sicherer als in vielen Häfen.
Das gilt zumindest für viele Stadthäfen am Mittelmeer, in denen es immer wieder zu katastrophalen Szenen kommt, wenn plötzlich – oder auch mit Ansage – heftige Winde auftreten. Der oft zitierte „sichere Hafen“ ist wird dann oft zur Falle. Nicht aber die Ankerbucht.
Lies mehr von Jens Brambusch auf float oder in seinem Blog Brambusch macht blau.