Die Taschen waren schon gepackt. Seit sechs Tagen hatten Lena und Rainer kein Land mehr gesehen. Die Wellen schlugen hoch. Auf See wie emotional. Lena war am Ende. Seit sie Ende März die Türkei auf ihrer Lagoon 42 verlassen hatten, um sie nach Mallorca zu überführen, tobte das Mittelmeer. Lena war seekrank. Nicht ein bisschen, sondern richtig. 48 Stunden konnte sie gar nichts zu sich nehmen. Nicht einmal Wasser. Ein Zwischenstopp in Griechenland war keine Option. Wegen Corona waren die Grenzen für Boote aus der Türkei dicht. Sie musste durchhalten. Mindestens bis Malta.
Nach drei Tagen Leiden ging es ihr körperlich etwas besser. Aber der Seegang, der Sturm, die schlaflosen Nächte nagten an den Nerven. Eines Nachts starrte sie auf das schwarze Wasser, weinte, betete, schrie und raufte sich die Haare. Lena wollte weg, aber das ging nicht. „Ich hatte nicht unbedingt Angst“, sagt Lena heute. „Aber ich hatte das Gefühl, ich muss sofort das Boot verlassen.“

Rainer, ihr Partner, selbst übernächtigt, gestresst und gereizt, behielt die Ruhe, spendete Trost und gab Hoffnung. „Ich dachte, Lena springt über Bord“, sagt Rainer. Zusammen haben sie Lieder gesungen, sich umarmt. „Das hat mich beruhigt“, sagt Lena. Die Tage auf rauer See waren eine emotionale Achterbahnfahrt – und eine harte Prüfung für die Beziehung und den Traum, gemeinsam auf einem Boot zu leben.
Auf Malta angekommen stand Lenas Entschluss immer noch fest. Sie würde das Boot verlassen. Und damit auch Rainer. Zumindest temporär. Erst seit einigen Monaten wohnten die beiden – sie stammt aus Moskau, er aus Bayern – auf dem Katamaran. Die Saison über würde die Lagoon auf Mallorca im Charter laufen, Rainers Traum aber war es, anschließend wieder auf dem Boot zu leben.
War dieser Traum bei der Überführung auf die Balearen bereits geplatzt? Auch wenn die beiden sich seit Jahren kennen, hatten sie noch nie zusammen gelebt. Es sollte der Start in ein neues, gemeinsames Leben werden.

Das Schicksal gab den beiden eine zweite Chance. Sie durften Malta zwar anlaufen, wegen der Corona-Bestimmungen aber das Boot nicht verlassen. Lena musste bis Mallorca an Bord bleiben. Und als sie die Balearen schließlich erreichten, hatten sich nicht nur die Wogen auf dem Meer geglättet. „Der Törn war der beste Test für unsere Beziehung“, sagt Lena. „Sieben Tage auf See sind wie sieben Jahre an Land.
In Extremsituationen und auf engem Raum lernt man den Charakter des anderen wirklich kennen.“ Rainer habe ihr immer das Gefühl von Sicherheit gegeben. „Ich habe gemerkt, da ist einer, der sich kümmert.“ Und auch Rainer ist des Lobes voll. Trotz Lenas Seekrankheit konnte er in brenzligen Situationen immer auf sie zählen, für keine Aufgabe war sie sich zu schade. „Das hat mich enorm beeindruckt“, sagt Rainer.
Stresstest für die Partnerschaft
Beziehungen an Bord sind schwierig. Nicht jede hält das aus. Oder positiv ausgedrückt: Wer es auf einem Boot miteinander aushält, den dürfte auch in jeder anderen Situation nichts auseinanderbringen. Denn ein Boot ist wie ein Brennglas, das alle Probleme, menschliche Marotten, die guten, aber mehr noch die schlechten Allüren und Attitüden vergrößert.
An Land kann man sich aus dem Weg gehen, in einer Wohnung das Zimmer wechseln oder das Haus verlassen – aber auf dem Boot ist man gefangen. Man muss, ob man will oder nicht, sich den Situationen und dem Partner stellen. Aussitzen geht nicht. Denn man sitzt dem anderen fast auf dem Schoß. Und so fallen die Masken schneller, als die Fallen in den Masten in einer Sturmnacht klappern.

Das Leben auf einem Boot hat etwas von einem freiwillig auferlegten Lockdown. Es erinnert an Hausarrest. Und das 24/7. Man hockt ständig zusammen. Das muss eine Beziehung erst einmal aushalten. Eingeschlossen mit den Liebsten, rund um die Uhr auf wenigen Quadratmetern, verdammt dazu, miteinander klarzukommen. Koste es, was es wolle. Nicht selten kostet es zunächst das vorzeitige Rückflugticket. Drum prüfe, wer sich für eine Langfahrt oder das Leben auf einem Boot bindet.