Jeder Törn hat das Potenzial zum Stresstest für die Partnerschaft. Vor allem, wenn Wellen, Wind und Wetter die Komfortzone in ein menschliches Tiefdruckgebiet verwandeln. Hinzu kommen die selbst gemachten Faktoren, die für Stress an Bord sorgen können. Wenn der Fön mal wieder die Bordbatterie leer saugt oder die Anzeige des Frischwassertanks nach der dritten warmen Dusche am Tag schneller sinkt als ein Kieselstein im Meer. Oder der Skipper in grenzenloser Selbstüberschätzung die Partnerin lautstark im Hafen zusammenstaucht, weil sie es nicht rechtzeitig schafft, seine Fehler auszumerzen.
Jeder Segler kennt die in Messing geprägten Weisheiten, die auf vielen Booten das Glaubensbekenntnis des Skippers verkünden: „§1 Der Kapitän hat immer Recht. §2 Sollte der Kapitän einmal nicht Recht haben, tritt automatisch §1 in Kraft.“ Lustig, solange man es nicht ernst nimmt. Was also ist das Geheimnis einer guten Beziehung an Bord?
Happy wife, happy life?
„Ich mache heute mal die Türkin“, sagt Arzum, meine Freundin, deren Namen ja bereits an ihrer Nationalität nicht zweifeln lässt. Was sie aber meint ist: „Ich mache heute mal gar nichts an Bord!“ Dann lacht sie laut auf und schließt die Augen im Cockpit. Die Sonne streichelt das Gesicht, sanfte Wellen schaukeln das Boot wie eine Kinderwiege.
Bei drei Beaufort gleitet die Moody durch das kristallklare Wasser an der türkischen Südküste. Postkartenidylle pur. Wie aus dem Charterkatalog. Der Mann heroisch am Steuer, die Frau im Badeanzug an Deck. Fehlt nur noch der Cocktail.
In der Türkei, wo ich seit drei Jahren auf einer Moody 425 lebe, ist diese stereotype Rollenverteilung an Bord in der Tat immer noch weit verbreitet. Allerdings sieht man hier auch bei besten Segelbedingungen viele Yachten unter Motor, dafür baumeln klischeehaft die Fender wie Weihnachtskugeln an der Bordwand – und das nicht nur im Advent. Das Boot dient eher als Statussymbol denn als Hobby. Der Mann führt selbstverständlich das Boot, die Frau ist degradiert zum schmückenden Beiwerk.
Selbst bei stressigen Hafenmanövern bleiben die Borddamen stoisch sitzen, schießen lieber noch ein Selfie oder schauen dem Göttergatten seelenruhig zu, wie er hektisch vom Ruder erst zur Mooring, dann nach Achtern hechtet, um das Boot zu vertäuen. Leinen werfen, Klampen belegen, Fender setzen? Nein, das ist Männersache.
Partnerschaft auf Augenhöhe
Umso glücklicher kann ich mich schätzen, dass mit Arzum eine Frau an Bord und in mein Leben gekommen ist, die mit ihrer Rolle als „Türkin an Bord“ kokettiert. Als ich sie in Kaş kennenlernte, arbeitete sie bereits seit einigen Jahren in der Marina und wurde somit regelmäßig Zeugin des merkwürdigen Verhaltens stereotyper Segler zur Anlegezeit. Es sei ihr also vergönnt, es alle paar Wochen einmal ihren Landsleuten gleich zu tun und „die Türkin zu machen“.
Anders würde eine Beziehung an Bord auf Dauer wohl auch nicht funktionieren. Denn eine Partnerschaft an Bord gelingt langfristig nur auf Augenhöhe. Man muss sich aufeinander verlassen können, an guten wie an stürmischen Tagen. Sie bedarf viel Vertrauen. Vertrauen in die Fähigkeiten des anderen. Und die müssen gefordert und gefördert werden.
Ein befreundetes Paar aus England lebt seit fast zehn Jahren auf ihrem Boot. Der gemeinsame Traum war, die Welt zu umsegeln. Er, der erfahrene Segler. Sie, eine Büroangestellte aus Manchester. In einem Pub hatten sie sich kennengelernt und Pläne für den Ausstieg geschmiedet. Schon bald hatten sie ein passendes Boot gefunden. Doch der Traum, die Welt zu bereisen, wurde reduziert auf einen Platz am Tresen. Seine Vorliebe zur Nähe der Hafenbar vertrug sich aber nicht mit ihrem Fernweh. Sie wollte segeln! Und so beförderte sie sich vom Crewmitglied zum Skipper.
Sobald er für einige Wochen zurück nach England kehrte, um die Bordkasse aufzupäppeln, legte sie ab und segelte entlang der türkischen Küste. Alleine oder mit Freundinnen. Ihre Unabhängigkeit und Selbstsicherheit als Skipperin tat den beiden sichtlich gut, der Bruch der bisherigen Rollenverteilung war der Kitt für ihre Beziehung. Mittlerweile sind die beiden auch wieder viel zusammen unterwegs. Meist steht sie am Steuer, er genießt es, die Verantwortung teilen zu können. Selbst die Weltumsegelung ist plötzlich wieder ein Thema.
Der Decksaffe
Der Schlüssel zum Glück an Bord hat viel mit Vertrauen zu tun, anscheinend aber auch mit Emanzipation. Viele Segler – nicht nur in der Türkei – ähneln auch heute noch den Autofahrern der 70er-Jahre. Der Mann sitzt selbstverständlich am Steuer, die Frau auf dem Beifahrersitz mit dem Schminkspiegel in der Sonnenblende. Bei erfahrenen Paaren, die auf Booten leben oder auf Langfahrt sind, ist das überraschend oft anders. Da hat sie das Ruder in der Hand.
Claire und Zac sind mit ihrer „Champagne“, einer Dufour 35, bereits von Florida über den Atlantik bis in die Türkei gesegelt. Das junge Paar – sie aus Australien, er aus Alaska – hatte sich vor einigen Jahren in den Florida Keys kennengelernt. Für eine Handvoll Dollar kauften sie die alte Dufour, refitteten sie und stachen in See. Bis heute hat keiner der beiden einen Segelschein, auch wenn Zac von Kindesbeinen an segelt.
Alle Entscheidungen gemeinsam treffen?
Wer der Kapitän an Bord ist? Beide zucken mit den Schultern. „Zac hat mehr Erfahrung, also hat er wahrscheinlich das letzte Wort“, sagt Claire. Aber eigentlich würden alle Entscheidungen gemeinsam getroffen. Zac, ein begnadeter Handwerker, hält das Boot an Deck in Schuss, Claire unter Deck. Außerdem ist sie für die Segel verantwortlich, flickt und näht und fertigt wie im letzten Winter mit ihrer Nähmaschine Lazyjacks, Bimini und Sprayhood.