Schön residieren sie, die Hamburger Hafenlotsen. Von ihrem historischen Gebäude am Bubendey-Ufer haben sie den besten Blick auf die Villen der Elbchaussee gegenüber und elbabwärts Richtung Wedel. Aber wer rund um die Uhr für eine ordnungsgemäße und sichere Bewegung von Seeschiffen im Hamburger Hafen zu sorgen hat, guckt nicht die Elbe rauf und runter, sondern hauptsächlich auf die Bildschirme am Arbeitsplatz – Radar, Schiffsmeldedienst, Port Monitor und Einsatzplaner.
Götz Bolte, Kapitän und Ältermann von 64 Hafenlotsen, gibt in seinem Büro Einblick in ihre Arbeit. Über diverse Bildschirme haben die Lotsen die aktuelle Lage auf der Elbe und im weitläufigen Hafen im Blick. Auf dem Bildschirm des Einsatzplaners sieht man, welche Schiffe aktuell einen, zwei oder auch drei Lotsen benötigen. Hier sind u.a. die Schiffsmaße aufgeführt – Tiefgang (sehr wichtig!), Länge, Liegeplatz.
Es gibt zwei Listen, nach denen die Einsätze der 64 Lotsen in Hamburg organisiert sind: Die Bereitschaftsliste und die Abstreichliste. Jeder Lotse muss während seiner Schicht drei Schiffe hintereinander fahren. Ist man schnell, kriegt man noch ein viertes Schiff zugewiesen. Die Schicht dauert sechs Stunden, doch im groben Durchschnitt ist man auf der Station rund acht Stunden im Einsatz. Wer fertig ist, landet wieder unten auf der Liste.

Erfahrung und Können
Das Hafengebiet ist zwar weitläufig, aber eng. Sehr eng. Es gehört schon eine gehörige Menge Erfahrung und Können dazu, um einen der riesigen, gut 400 Meter langen Frachter mit 24.000 Container Kapazität sicher durch das Gewirr der Fleete und Hafenbecken ohne Beule an den Kai zu bringen. Vor allem dann, wenn auch starker Wind herrscht. Dann sind aber schon mal drei Lotsen im Einsatz – zwei an Bord, einer am Radar.

Die gesamte Kommunikation läuft über Funk auf den verschiedenen UKW-Funkkanälen. Der erste Lotse, der Fahrlotse, manövriert das Schiff und kommuniziert mit dem Kapitän. Der zweite kümmert sich um das ganze Äußere, die Anmeldungen und den umliegenden Verkehr. Zusätzlich sitzt bei den großen Schiffen noch ein Lotse am Radar. Die Arbeit am Radar ist landgestützt und erfolgt aus der Nautischen Zentrale, dem modernen Gebäude direkt neben dem Lotsenhaus. Der Lotse am Radar kommuniziert mit dem Fahrlotsen und unterrichtet ihn, was gerade drumherum passiert.
Wehe, es weht
Bolte beschreibt, was alles zu beachten ist: „Je größer das Schiff, umso weniger Wind darf sein. Ein 24.000-TEU-Schiff hat bummelige 24.000 Quadratmeter Windangriffsfläche.“ Das entspricht der zwölffachen Segelfläche der Gorch Fock. Bolte weiter: „Das ‚segelt‘ dann auch schon ganz schön. Und nun die Schlepper. Man kann ja nicht unbegrenzt viele Schlepper ranhängen. 70 Tonnen bringt der Schlepper, 50 Tonnen das Bugstrahlruder …“ Das ist, was man ungefähr halten kann.
Und dann stehst der Lotse am Schanzkleid, um zu peilen. „Bei dem Wind versteht dich kein Mensch mit deinem Funkgerät. Du musst dich für jeden Funkspruch hinter das Schanzkleid ducken, damit man dich versteht. Und es müssen noch die Leinen zum Festmachen herüberbekommen werden. Gegen den Wind schmeißen klappt auch nicht immer, wenn die keine Leinen-Schussgeräte haben.“


Außerdem muss man als Lotse gewaltig aufpassen, damit „der Dampfer nicht zu doll ranschießt, wenn die Crew anfängt richtig zu hieven. Bis man was gesagt hat und der im Schlepper dann die Hebel runtergedrückt hat, der hat auch noch eine Verzögerung da drin. Und auf einmal lässt der Wind nach und du schießt auf die Pier zu … ABTAUEN! … so geht das die ganze Zeit.“
Rückwärts einparken
In den Waltershofer Hafen, dem Container-Hotspot Hamburgs, werden die Riesen rückwärts hineingebracht – so wie an der Ems, wenn mal wieder ein neues Kreuzfahrtschiff die Meyer-Werft verlässt. Zunächst wird vorgefahren und vor dem Parkhafen über Backbord gedreht. Hier ist am meisten Platz für die großen 400-Meter-Containerriesen. Wenn das Schiff dann am Kai festgemacht hat, kommt ein Lotsenboot und holt die Lotsen wieder ab. Meist über die Leiter, das geht am schnellsten.
Gefahren wird bis in den Reiherstieg, „ganz weit in die ‚Eingeweide‘ des Hafens, oder auch bis Harburg 1. Da ist man besonders bei Ebbe schon eine ganze Zeit unterwegs“, so Bolte. Zu den anderen Terminals gibt es auch einen Hol- und Bringdienst mit dem Taxi. Was zur Zeit schwierig sei, weil es zu wenig Taxen gäbe. Auch die Ortskundeprüfungen, die eigentlich verlangt wird, sei bei vielen entfallen. „Dann suchen die.“

Hafenlotse ist nicht gleich Elblotse
Die Hafengrenze liegt bei Stromkilometer 640 am Kraftwerk Wedel/Tinsdal. Es sei, so Bolte, aber nicht zwingend so, dass dort der Elblotse aussteigen und der Hafenlotse übernehmen würde. Da sei man durchaus variabel. Bei großen Schiffen sollte man sehen, dass man so früh wie möglich, schon in Blankenese, an Bord ist, um genügend Zeit zu haben, um alles mit dem Kapitän zu besprechen: das Manöver, den Schleppereinsatz, wo machen wir den/die Schlepper fest, welche Last vertragen die Poller und Klüsen. „Oder der Fahrstuhl ist mal weg und du kommst nicht schnell genug auf die Brücke. Die Wege auf den großen Schiffen sind ja schon länger.“
Und er rechnet vor: „Die Pötte fahren immer noch mit zehn Knoten, also fünf Meter die Sekunde. Wenn du dann fünf Minuten auf den Fahrstuhl wartest, ist man schon 1.500 Meter dem Ziel näher gekommen. Dann hast du aber noch keinen Schlepper fest und noch gar nichts. Deshalb ist es gut, schon sehr rechtzeitig an Bord zu kommen.“
Freizeitkapitäne, aufgepasst!
Besonders viel los ist auf der Elbe im Sommer. Im Bereich von Airbus werden oft die Schlepper angespannt, die sehr dicht an das Schiff heranlaufen müssen. In dieser Phase sei es gerade für Freizeitskipper ratsam, reichlich Abstand zu halten, so Bolte. Da sich die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge dabei nur wenig ändere, sei selbst in den meisten Fällen ein als „langsam” empfundenes Großschiff immer noch schneller als eine Yacht und wird diese überholen.

Außerdem hätten Containerschiffe, oft aber auch andere Typen, große tote Winkel im Vorausbereich, die nicht von der Brücke eingesehen werden könnten. „Yachten, die sich in diesem Bereich aufhalten, führen immer zu erheblicher Unruhe an Bord, besonders wenn aufgekreuzt wird, da der Lotse nicht wissen kann, wann das Segelboot auf den anderen Bug geht.“ Deshalb, so rät Bolte, sollten Wassersportler ihr UKW-Gerät eingeschaltet haben und im Hamburger Hafen auf Kanal 74 ansprechbar sein, da die Schiffe fortlaufend auf UKW 74 Positions- und Manövermeldungen abgäben.
Der lange Weg zum Ältermann
„Wer den Beruf des Lotsen als Ziel verfolgt, muss zunächst die Ausbildung zum Kapitän in der weltweiten Fahrt durchlaufen“, heißt es auf der Webseite des Bundesverbandes der See- und Hafenlotsen in Hamburg. So musste auch Götz Bolte diesen Weg gehen. Er kommt ursprünglich vom Steinhuder Meer.
Während einer Segeltour auf einem Dreimastgaffelschoner von Elsfleth aus lernt er einen Schiffsmechaniker kennen. Diese Begegnung hat ihn dazu inspiriert, zunächst bei einer Reederei aus Elfsfleth eine Ausbildung zum Schiffsmechaniker, später bei der Hamburg Süd zu beginnen. Die Seefahrtschule hat er in Hamburg besucht und dort sein Patent gemacht. Heute lebt er in der Hansestadt.

Weltweit war Bolte unterwegs, „auch einmal ums Kap rum“, erzählt der Ältermann, und fügt nicht ohne Stolz hinzu, dass er „selber mal einen Großkreis gezeichnet hätte. So wie man es gelernt hat im Studium, da bin ich einer der ganz wenigen, der das gemacht hat.“ Auf Empfehlung bewarb sich Bolte beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg. Allerdings: Jeder, der dort Kapitän und 1. Offizier werden wollte, sollte vorher noch einmal Vermessung studieren. Zunächst Landvermessung und Grundstücksgrenzen … Beim BSH dann Seevermessung, Wracksuche, Forschung – auf Dauer war das nicht sein Ding.
Während seiner Zeit beim BSH riet ihm eine Bekannte, doch Hafenlotse zu werden, und zählte seine ehemaligen Kommilitonen dort auf. Der bereits verbeamtete Kapitän entschloss sich dann zu einer „Volte im Leben“. Seine Fahrzeiten hatte er trotz seiner zwei Studien schon zusammen, da er auch in seinen Semesterferien immer gefahren ist. Ab 2005 hat Bolte dann als Hamburger Hafenlotse angefangen. Zunächst fährt man nur Schiffe bis 120 Meter. Nach sechs Jahren darf man alle Schiffe fahren – aktuell gut 400 Meter lang, 63 Meter breit und beladen mit bis zu 24.000 TEU, also 20-Fuß-Standardcontainern.

Wie wird man Ältermann?
So kam Bolte dazu, Vorsitzender der Lotsenbrüderschaft zu werden: „Alle fünf Jahre wird gewählt. Da wird bestimmt, wer die Brüderschaft nach außen vertritt. Auch müssen die Lotsengelder, die wir einnehmen, verteilt werden. Für ein großes Schiff kommen schon mal ca. 4.500 Euro zusammen. Das ist schon eine Hausnummer. Darüber hinaus sind Fortbildungen, Ausbildung zu organisieren, die Aufsichtsbehörde gutachterlich zu beraten sowie sich mit den weiteren Akteuren wie bspw. den Schleppreedereien im Hamburger Hafen abzusprechen. Für bestimmte Verkehrsabsprachen bei Schiffsanläufen müssen wir das zusammen mit der Nautischen Zentrale organisieren, prüfen und gucken, ob das geht.“
Auf die Frage, ob es auch Frauen in dem Beruf gäbe, kommt eine ziemlich ernüchternde Antwort. Nur eine Frau sei bei ihnen in der Ausbildung zur Hafenlotsin. „Es gibt halt nicht so viele Kapitäninnen. Auf der Elbe gerade mal zwei weibliche Lotsen.“ Nur zwei Frauen von rund 300 selbständigen Elblotsen in Hamburg, Brunsbüttel und Cuxhaven in einer der größten Lotsenbrüderschaften der Welt. Da wäre also noch viel Luft nach oben. Vielleicht sollte man mit einer Umbenennung in Lotsengemeinschaft beginnen?
Dieser Text erschien am 8. Mai 2023 erstmals auf float. Aktualisiert am 12. November 2023.