Ein Segel nähert sich dem Hafen: Zwei Menschen auf einem Boot, mehr ist im abendlichen Zwielicht nach einem langen Trainingstag nicht zu erkennen. Erst als die Jolle in Borgwedel an der Schlei am Steg liegt und die Crew ihr kippeliges Fahrzeug verlassen hat, ist unverkennbar: Die beiden an Bord sind noch sehr jung.
Die Segler sind der 15-jährige Mats-Ole Krüss an der Pinne und die 14-jährige Vorschoterin Vivien Joost vom Plöner Schüler-Ruder- und Segel-Verein. Ihr Boot ist die Jugendjolle Feva. Wie 20 andere Teams bereiten die beiden sich im Trainingslager auf ihre gemeinsame große Aufgabe vor: die Teilnahme an der Feva-WM in Travemünde in dieser Woche, im Rahmen der am 23. Juli beginnenden Travemünder Woche.
Mats stammt wie der Dichter James Krüss von Helgoland – beinahe jedenfalls. „Er ist mein Großonkel“, sagt der junge Segler im Gespräch mit float. Sein Vater ist noch auf Deutschlands einziger Hochinsel geboren, er selbst kam in Cuxhaven zur Welt, da es auf der Insel keine Geburtsstation mehr gibt.
Das Segeln liegt Mats mit seiner Insulaner-Abstammung naturgemäß im Blut. Als Nachwuchstalent kennt die Szene den Jungen längst: 2019 berichtete float über seinen Erfolg auf der Alster bei der Meisterschaft der Meister.

Mit Vivien Joost bildet er das Überraschungs-Paar der Saison: Erst vor kurzem haben sich die beiden Jugendlichen gefunden – natürlich ausschließlich „sportlich“, als Crew. Mats kam kürzlich sein Segelpartner abhanden. Gemeinsam hatten sie 2019 in der Teeny-Klasse den Meistertitel errungen.
Das Überraschungspaar
Nun schaute er sich bei seinen Vereinsfreunden vom Plöner Schüler-Ruder- und Segelverein (SRSV) um und entdeckte Vivien. Ob sie mal eine Regatta mit ihm zusammen segeln wolle? Sie wollte, und auf Anhieb harmonierten die beiden an Bord. So gut, dass die beiden Anfang Juni bei der Elbe-Damm-Regatta des Mühlenberger Segel-Clubs klar gewonnen haben. Noch dazu mit dem ältesten Boot im Feld.

Zur diesjährigen Kieler Woche im September werden die beiden auch starten, noch im alten 420er. Ein werftfrischer Regatta-420er, finanziert durch Vereinsgelder, Fördermittel des Landessportverbands und Spenden eines ortsansässigen Geldinstituts, liegt noch unbenutzt im Bootsschuppen des SRSV. Der soll aber erst in der kommenden Saison seine Feuertaufe erhalten.
Vivien und Mats fühlen sich auf beiden Bootsklassen zu Hause – wenn sie auch unterschiedliche Präferenzen haben: Vivien Joost liebt das Tempo der Feva, vor allem mit viel Wind unter Gennaker. Das 2002 von Paul Handley konstruierte Jugendboot mit Großsegel, Fock und Gennaker ist seit 2003 durch die ISAF als internationale Klasse anerkannt und auch hierzulande zu haben.

Mats bevorzugt das Platzangebot auf dem 420er. „Das Boot ist nicht so eng“, sagt er mit breitem Grinsen. Da sind sich beide einig. Und Vivien hängt sich beim vor mehr als 60 Jahre entwickelten 420er gern ins Trapez, fügt sie hinzu.
Auf beiden Bootsklassen zu Hause
Dass die klassische Zweimannjolle nur ein relativ niedriges Tempo entfalten kann, erhöht für den Nachwuchs nur ihren Reiz: „Der macht mir mehr Spaß. Bei der Feva geht es größtenteils erst einmal darum, möglichst schnell zu sein“, sagt Mats. Beim 420er dagegen sei das Geschwindigkeitspotential schnell erreicht, da müsse man in Regatten mehr taktisch agieren. „Das finde ich spannender.“

Mit dieser Einstellung liegt er ganz auf der Linie des Deutschen Segler-Verbands. Der DSV zielt mit der internationalen Jugendbootklasse nämlich auf die „Ehrgeizigen“ im Seglernachwuchs ab. Wörtlich heißt das: „Für diese weltweit sehr beliebte Bootsklasse mit Trapez und Spinnaker musst Du auf jeden Fall Segelerfahrung mitbringen. Hier sind Trimm und Taktik für den Erfolg auf der Regattabahn ausschlaggebend.“ Und Ehrgeiz haben die beiden vom SRSV.
Aber sie sehen auch deutlich den entscheidenden Unterschied beider Klassen vor allem bei den tieferen Kursen. Das gelte vor allem beim Vorwind-Kurs im 420er, so Mats. „Bei Leichtwind spitzt man die Kurse halt ein bisschen an, um Geschwindigkeit und Fahrt beizubehalten und Tiefe zu erlangen.“
Auf die internationale Konkurrenz vorbereitet
Und den Riesenunterschied sieht er deutlich: „Bei leichtem Wind fahren wir den Downwind-Kurs nahezu genauso tief wie im 420er. Erst bei Gleitbedingungen spitzen wir bei der Feva unter Gennaker extrem an und werden dadurch erheblich schneller.“ Diese Balance auf dem Lee-Weg gilt es auszuloten.

Vom Trainingslager, wo wir die jungen Segler besuchen, erhoffen sich beide noch Antworten: „Der Trainer im Kieler Yacht-Club ist früher auch Feva gesegelt. Über Trimm haben wir uns noch nicht so wirklich Gedanken gemacht. Und da kann man sicher noch einiges mitnehmen.“
Bei den kurzen Übungsläufen haben die beiden dann aber schnell festgestellt, dass sie trimmtechnisch und taktisch die nationale Konkurrenz nicht unbedingt fürchten müssen. „National können wir wohl gut mithalten. Wenn die starken Holländer und Engländer dabei sind, muss man das sehen.“ Auf jeden Fall freut er sich aber auf die internationale Konkurrenz. „Eine Regatta über so lange Zeit gehen wir auch anders an als die üblichen Wochenend-Regatten.“
Der St.-Petersburg-Schreck
Für Vivien ist es zu WM-Vorbereitung wichtig, „möglichst viel Zeit auf dem Wasser zu haben“. Denn lange ist es nicht mehr hin bis zur Weltmeisterschaft Ende Juli in Travemünde. Und in den Schulferien geht es für sie demnächst erst einmal mit der Familie in den Urlaub – ausgerechnet nach St. Petersburg.
Der Schreck ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Da wurde nämlich Russland kurz nach der Abreise als „Virusvariantengebiet“ eingestuft, sodass vom Bund besonders strenge Wiedereinreiseregeln verordnet wurden.