Kurz vor dem Start zur Route du Rhum kündigte jetzt auch die britische Paralympics-Seglerin Hannah Stodel eine Vendée Globe-Kampagne an. Die erfolgreiche 33-jährige Profiseglerin gewann dreimal Gold, dreimal Silber und zweimal Bronze bei den Disabled World Championships Jetzt will sie die erste Seglerin mit Behinderung werden, die an der Vendée-Globe-Regatta teilnimmt. Ihr Ziel ist 2020.
Einhand-Regattasegeln auf hoher See liegt voll im Trend: Solo auf einer Rennyacht den Naturgewalten trotzen und wochen- oder sogar monatelang mutterseelenallein über die größten Wüsten unseres Planeten zu rasen, gilt als eine der größten seglerischen Herausforderungen der Moderne. Große Einhand-Regatten wie die Transat-Bakerly (Plymouth nach New York), die Route du Rhum (St. Malo nach Guadeloupe), das Golden Globe Race (nonstop um die Welt im Retro-Modus) oder die Vendée Globe (nonstop auf IMOCA um die Welt) haben längst Kultcharakter.
Wobei das letztgenannte Event von seinen Protagonisten gerne vollmundig als das „größte Abenteuer der Menschheit“ bezeichnet wird – nicht zuletzt wegen der immensen physischen Strapazen und mentalen Belastungen, die Vendée Globe-Solosegler meistern müssen.
Nehmen wir den Begriff Einhandsegeln mal wörtlich: Alleine und tatsächlich nur mit einer Hand auf einem 60 Fuß langen, hoffnungslos übertakelten, zickigen Regattaboliden über die Weltmeere rocken – kann das überhaupt klappen? Nun, es klappt! Der französische Paralympics-Segler Damien Seguin hat es unlängst auf seiner IMOCA bei der Einhand-Transatlantik-Regatta Route du Rhum auf beeindruckende Weise bewiesen.
Nachdem bereits der unterarmamputierte Chinese Xu Jingkun 2015 erfolgreich die Mini Transat beendete, zeigte nun Seguin mit einem erstaunlichen Rang 6 bei der Route du Rhum in der IMOCA-Klasse, dass man keine zwei Hände braucht, um Stürmen, haushohen Wellen, Einsamkeit und totaler Erschöpfung zu trotzen.
Hannah Stodel im Interview mit float
float: Hannah, wir sind begeistert von Ihren Erfolgen als Seglerin im paralympischen Bereich wie auch gegen nichtbehinderte Segler. Bisher spielte sich Ihre Regattakarriere aber ausschließlich auf Jollen und kleineren Kielbooten ab. Wie sind Sie jetzt zum Hochseesegeln gekommen?
Hannah Stodel: Ellen MacArthur war für mich während meiner gesamten Karriere eine große Inspiration. Ich habe sie 1998 kennengelernt, als ich „Young Sailor of the Year“ wurde und man sie zum „Yachtsman of the Year“ kürte. Sie inspirierte mich schon damals zur Teilnahme an der Vendée Globe.
Ich bin bereits viel offshore gesegelt, meistens allerdings im Team. Beim Admirals Cup 2003 war ich in Sir Peter Harrisons behinderter Crew dabei, um Großbritannien zu vertreten. Außerdem bin ich viel mit Ellen auf ihrem Trimaran unterwegs gewesen.
Nach unserem Kenntnisstand sind Sie noch relativ neu in der Hochsee-Langfahrt-Regatta. Wie sind Ihre bisherigen Hochseeerfahrungen? Sind Sie immer im Team oder auch einhand gesegelt?
Bisher habe ich unter anderem Figaro, Class 40 und die Sunfast 3600 einhand gesegelt. Von Überführungstörns über hartes Training gegen andere Boote bis zur Regatta war alles dabei. Dabei hatte ich eine steile Lernkurve. Anfangs hatte ich nicht einmal meinen Day-Skipper-Schein, aber mit Hilfe enthusiastischer und erfahrener Trainer und Unterstützer habe ich es mittlerweile bis zum Yacht-Master-Schein gebracht.
Nun haben Sie Ihre Vendée Globe-Kampagne 2020 bekanntgegeben. Unabhängig von Ihrer Behinderung: Ist das nicht im mehrfachen Sinn ein Sprung ins kalte Wasser? Gerade für Seglerinnen, die noch nicht allzu viele Hochseemeilen auf der Logge haben. Schließlich gilt die Vendée auch für Seglerinnen mit viel Erfahrung als die größte Herausforderung des Hochseesegelsports.
Es ist natürlich ein Sprung ins kalte Wasser, wie Sie sagen, aber das ist das Schöne an dieser Herausforderung. Ich tue das alles ja nicht nur für mich selbst. Mein ganzes Projekt dreht sich darum, etwas Positives mit dem Rennen zu gestalten. Wie etwa die Partnerschaft mit einer der führenden Anti-Mobbing-Wohltätigkeitsorganisationen Ditch the Label und die Verbreitung der Botschaft, dass die Menschen keine Angst haben sollten, große Herausforderungen anzunehmen. Ich glaube ebenfalls fest an die Kraft des positiven Denkens, und ich möchte die Menschen durch meine Reise ermutigen, durch all ihre Höhen, Tiefen und die Täler dazwischen zu gehen. Das ist mir das Wichtigste!
Bei der IMOCA-Class sind Sie noch nicht als Skipperin aufgeführt. Insofern sind wir neugierig, welches Boot Sie segeln werden. Ein Gebrauchtboot, ein neues, mit oder ohne Foils? Und wo werden Sie mit ihrem Team stationiert sein?
Wir haben einige Boote auf der Einkaufsliste. „Erprobt und getestet“ ist ein Schlüsselkriterium für die IMOCA, nach der wir suchen. Wir sind derzeit in Gosport stationiert, da mein Team mehrheitlich von dort kommt und mein Bootsbauer hier seine Werft betreibt. Es ist auch eine ziemlich gute Basis fürs Training mit einfachem Zugang zum Ärmelkanal und weiter weg.
Sie werden mit Damien Seguin bei der Vendée Globe 2020 einen Konkurrenten haben, der unter gleichen Voraussetzungen wie Sie – also nur mit einer Hand – an den Start gehen wird. Ist das ein wettkämpferischer Ansporn für Sie?
Damien hat sich wirklich gut um die Finanzierung bemüht und diesen Part schon mal in trockene Tücher gebracht. Und nein, ich sehe seine Teilnahme nicht als Herausforderung oder Ansporn. Damien hat eine etwas andere Behinderung als ich. Er hat Glück in der Hinsicht, dass er mehr Arm hat, mit dem er auch arbeiten kann. Ich will jedenfalls bei der Vendée Globe vor allem finishen – das wird an sich schon ein Sieg für mich sein. Ich denke, dass wir zu zweit in jedem Fall besser zeigen können, was mit einer Behinderung möglich ist. Und darauf kommt es an!
IMOCA gelten als extrem physische Boote, die ihre Skipperinnen bis zur Erschöpfung fordern. Dass Sie körperlich in Bestform sind, haben Sie ja bereits mehrfach gezeigt. Und dennoch: Werden Ihnen zum Ausgleich für die fehlende Hand an Bord während der Vendée Globe spezielle mechanische Hilfsmittel wie etwa Elektrowinschen zugestanden?
Ich bin sehr darauf bedacht, keine speziellen Anpassungen zu verwenden. Es gibt keinen Grund, Elektrowinschen oder dergleichen einzusetzen, weil das die Herausforderung schmälert. Ja, die IMOCAs sind unglaublich schwer und hart zu segeln. Aber mein Team arbeitet derzeit Systeme und Sicherheitsvorkehrungen aus, die speziell auf mich adaptiert sind. Sie sollen mich im Vergleich zu anderen Vendee-Globe-SeglerInnen aber nicht bevorteilen.
Hochsee-Einhandsegeln, speziell auf IMOCA, ist bekanntlich sehr trainingsintensiv. Ihnen stehen bis November 2020 noch zwei Jahre für Training und Bootstrimm zur Verfügung. Die reine Einhand-Segeltrainingszeit wird deutlich kürzer ausfallen. Andere Rookies, die zur Vendée Globe 2020 gemeldet haben, sind bereits mitten im Training für dieses Event – wie etwa bei der Route du Rhum oder bei anderen IMOCA-Regatten. Fürchten Sie nicht, 2020 mit zu wenig Training an den VG-Start zu gehen?
Ja, klar ist das eine ständige Sorge. Wir haben in meinem Trainings- und Rennplan einen Sicherheitsausstieg eingebaut, sodass Sie mich bei Unwägbarkeiten für 2020 sicher bei der darauf folgenden Ausgabe am Start sehen werden. Ich bin auch enttäuscht, dass ich die Route du Rhum in diesem Jahr verpasst habe. Bei diesem Rennen wäre ich liebend gern am Start gewesen. Aber es sollte nicht sein.
Viele Novizen der Vendée Globe haben einen Tutor, mit dem oder der sie gemeinsam trainieren oder der/die sie berät wie etwa die Deutsch-Französin Isabelle Joschke mit Alain Gauthier oder eben Damien Seguin mit Jean le Cam. Wer berät Sie? Und: Haben Sie einen „Sparringspartner“ – vielleicht Alex Thomson auf seiner Hugo Boss?
Ja, als ich meine Kampagne aufbaute, erkannte ich gleich den Nutzen, wenn frau sich mit wirklich starken Seglern, Mentoren, Trainern und einem Support-Team umgibt. Ich habe Sir Robin Knox-Johnston in meinem Beratergremium, der bekanntlich nicht schüchtern ist, wenn es um seine Meinungsäußerungen geht. Und energisch genug ist, um mich anzuleiten. Gleichzeitig ist sein Wissensschatz vielleicht konkurrenzlos, sodass es eine echte Ehre ist, ihn im Team zu haben.
Zudem haben wir kürzlich meinen Yacht-Master-Prüfer Philippe Falle, den Bootskapitän von Alex Thompson auf Hugo Boss, eingestellt. Der Mann hat mehr Seemeilen als die meisten, die ich kenne, auf dem Salzbuckel. Und er ist ein fantastischer Trainer auf dem Wasser.
Ich habe auch wirklich Glück, Zugang zu solchen Größen wie Mike Golding zu haben, und natürlich ist Ellen für Ratschläge in Sachen Vendée Globe von unschätzbarem Wert.
Dann ist da noch mein tolles Team: Alex, mein Bootsbauer, war an drei IMOCA-Neubauten beteiligt, darunter Hugo Boss und Artemis, und hat auch eine Menge Seemeilen auf der Logge. Dann das Damen-Kraftpaket, wie ich es gerne nenne: Adrianna und Hannah 2. Adriana ist die Sponsoringmanagerin und Hannah leitet das Logistikprogramm. Beide haben einen sehr viel Erfahrung in ihren jeweiligen Bereichen. Dann gibt es noch mein Team von Jungs, die ihre Arbeit hinter den Kulissen erledigen: Adam, Quentin, Tim und Will, die uns unglaublich unterstützen.
Last, not least: Haben Sie bereits einen Zeitplan? An welchen Regatten werden Sie in den nächsten zwei Jahren teilnehmen? Wann planen Sie Ihre Qualifikationsseemeilen Einhand und nonstop zu segeln?
Im Moment haben wir zwar einen Zeitplan, aber alles hängt bekanntlich von der Finanzierung und dem Sponsoring ab, was wie überall der schwierigste Teil einer Kampagne ist. Im Idealfall sehen Sie uns im nächsten Jahr in der RORC Caribbean 600, im Fastnet und im Transat Jacques Vabre, beim Sammeln von Qualifikationsmeilen.
Hannah, dann wünschen wir Ihnen alles Gute für Ihre Kampagne und toi toi toi für die Sponsorensuche.