Der Atlantik begrüßt uns mit einem Farbenspiel. Wie glühende Fackeln türmen sich über der Meerenge von Gibraltar rote Wolken in die Höhe. Genau dort, wo das Mittelmeer endet und der Ozean beginnt. Es ist ein atemberaubender Augenblick kurz nach Sonnenuntergang. Er hat etwas Apokalyptisches. Wäre es ein Film, die Szene wäre mit dramatischer Musik unterlegt. Aber alles, was wir hören, ist das dumpfe Stampfen des Diesels in einer unangenehmen Welle und das Spritzen der Gischt.
An Backbord schimmern noch die Ausläufer des afrikanischen Atlasgebirges in mattem Rot, an Steuerbord schiebt sich bereits ein schwarzer Schatten über den schroffen Affenfelsen von Gibraltar. Das Szenario am Himmel erinnert an ein flammendes Inferno. Bedrohlich und faszinierend zugleich. Rund 130 Seemeilen liegen auf dieser Etappe von Almerimar im Kielwasser der Dilly-Dally, zehn zähe Meilen bis zum westlichsten Punkt des Mittelmeeres noch vor unserem Bug. Unser Ziel ist La Línea de la Concepción, ein trister spanischer Ort, den nur die Landebahn des Flughafens von Gibraltar trennt.
Gegen den Strom
Durchs Wasser machen wir immer noch knapp sechs Knoten Fahrt. Über Grund sind es aber nur 2,8. Dazu eine Welle, die gegen den Strom ankämpft und sich zu unangenehmen Kreuzseen aufbaut. Unsere Moody 425 tanzt unruhig von Kamm zu Tal zu Kamm, die Kälte der feuchten Nacht frisst sich durch unsere klammen Mützen, der heiße Atem verdampft wie der Qualm einer Zigarette in der anbrechenden Nacht. Je schwärzer der wolkenverhangene Himmel wird, um so heller leuchten die Lichter der Tanker und Frachter, die durch die Meerenge fahren wie LKW auf einer Autobahn. Stoßstange an Stoßstange, oder besser: Bug an Heck.

In der Antike sollen hier, zwischen Mittelmeer und Atlantik, die mythischen Säulen des Herkules gestanden haben. Der Sage nach markierten sie das Ende der Welt, hinter ihnen lauerte der Abgrund. Wie der griechische Dichter Pindar schrieb, brachte Herkules am Ausgang des Mittelmeeres die Warnung „Nicht mehr weiter“ an. Platon glaubte, dass das versunkene Inselreich Atlantis jenseits der Säulen liegen würde. Das Motiv der Säulen des Herkules fand weite Verbreitung. Der Philosoph Francis Bacon sah darin ein Symbol für das bewusste Durchbrechen der Wissensgrenzen von Antike und Mittelalter. „Viele werden hindurchfahren und die Erkenntnisse der Wissenschaft werden sich vermehren“, sagte er.
Rare Wetterfenster
Wann wir endlich die Meerenge passieren werden, wissen wir nicht. Die Erkenntnisse der Meteorologie lassen an einer baldigen Weiterreise auf die Kanaren zweifeln. Das Wetter steht Kopf. Das Azorenhoch ist derzeit einem Tief gewichen, das Tief über Skandinavien einem Hoch.

Auf dem Atlantik tobt ein Sturm nach dem anderen und pfeift seine Böen aus Süden gen Norden. Für uns bedeutet das einmal mehr: Warten auf das passende Wetterfenster.
Wir hassen diesen Begriff, der sich dieses Jahr in unserem Wortschatz verfestigt hat: Wetterfenster. Über 2.500 Seemeilen sind wir durch das Mittelmeer gesegelt. Oder konkreter: einen großen Teil davon motort. Wir hatten Sturm in der Ägäis, Unwetter in der Adria, stundenlange Gewitter bei Nachtpassagen. Oder eben Flaute. Die schönen Tage unter Segeln waren rar gesät. Oft blieben die Wetterfenster, die sich laut Vorhersage öffnen sollten, verschlossen.

Nur das Fenster, durch das unser Budget wirbelwindartig verschwand, stand ständig offen. Mehr als 15.000 Euro mussten wir in das Boot investieren. Für überraschende Reparaturen wie vorhersehbare Anschaffungen als auch technische Upgrades, deren Notwendigkeit erst ersichtlich wurde, da waren wir schon Wochen unterwegs. Wie Lithium-Batterien beispielsweise oder ein neuer Autopilot.
Was kostet die Welt?
Aber gerade auf den bevorstehenden Atlantikpassagen zu den Kanaren, von dort auf die Kapverden und schließlich in die Karibik wollen wir gut vorbereitet und ausgerüstet sein. An Sicherheit, so haben wir vor unserer Abreise beschlossen, wollen wir nicht sparen. Und so waren auch eine neue Rettungsinsel und ein neues Epirb fällig. Dass ein funktionsfähiger und vertrauensvoller Autopilot mit das Wichtigste für die Sicherheit an Bord ist, wurde uns erst bewusst, als wir 120 Seemeilen am Stück ohne den elektronischen Steuermann auskommen mussten.