Dieses mulmige Gefühl segelte immer mit. Zumindest unterschwellig. An windarmen Tagen schien es fast verschwunden, aber wenn der Wind das Mittelmeer aufwühlte, war es wieder da. Stärker als zuvor. Vor knapp zwei Jahren habe ich meine Moody 425, die Dilly-Dally, in der Türkei gekauft. Seitdem lebe ich auf ihr, abgesehen von zwei kurzen Besuchen in der alten Heimat. Der letzte ist, coronabedingt, bereits ein Dreivierteljahr her. Schon beim Kauf war die solide Centercockpit-Yacht mit ihren 30 Lenzen eine „alte Lady“. Aber sie hat sich stets bewährt, gerade bei Sturm.
Selbst wenn es mit über 40 Knoten über dem Mittelmeer weht, das Wasser fliegen lernt, sich meterhohe Wellen aufbauen, dann bleibt das schwere Schiff gelassen. „Moody-Wetter“ nennen Freunde Windvorhersagen jenseits der 30 Knoten. Wenn die Schoten unter der Last der Segel ächzen, das Meer wie mit einem Hammer dumpf gegen den Rumpf schlägt, die Gischt meterweit spritzt, dann zeigt die alte britische Lady ihre ganze Stärke.

Trotzdem ist da dieses Gefühl. Ich weiß, wie alt das Boot ist. Ich habe aber keine Ahnung, wann die Wanten und Stage, die dem Mast geben, das letzte Mal erneuert wurden. Ich befürchte, sie sind der gleiche Jahrgang wie das Boot. „Kann der Mast eigentlich umkippen“, fragte mal eine Freundin, die zu Besuch an Bord war, mitten auf dem Meer. Das Land am Horizont war klein und die Sorge in ihren Augen groß. Also sagte ich voller Inbrunst: „Nein!!!“ Dabei waren die Ausrufezeichen Fragezeichen. Ich selbst hatte mich das schon oft gefragt.
Alptraum eines jeden Seglers
Zugegeben, ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Fahrtenyacht gesehen zu haben, die ihren Mast verloren hat. Aber ich kenne die Horrorgeschichten und die Bilder. Eine Yacht, enthauptet mitten auf dem Meer, ist so ziemlich das Schlimmste, was ein Segler sich vorstellen kann. Beim Strandsegeln hatte ich mehrmals das Vergnügen. Natürlich sind da die Begebenheiten anders, die Stöße härter und zum aggressiven UV-Licht und Salz kommt noch Sand dazu. Nicht die beste Mischung für verschleißanfällige Materialien.

Definitiv ist es nicht schön, wenn plötzlich und ohne Vorwarnung die Wante reißt und der Mast bei über einhundert Stundenkilometern wie eine gefällte Eiche auf die Sandbank stürzt. Strandseglern passiert das häufiger, der Unfall ist eher ein Vorfall. Nur selten ist das Malheur gefährlich. Steht der Segelwagen einmal, ist die Gefahr gebannt.
Meist reichen ein paar Meter Abstand, um die anderen Piloten auf der Strecke nicht zu gefährden. In der Regel bin ich aus dem Wagen gestiegen, bin einmal um den Strandsegler gelaufen (somit signalisiert man den Helfern, das man unverletzt ist), habe dann mit Schmackes den Visierhelm in den Sand geworfen, Ausdrücke gebrüllt, die im amerikanischen Fernsehen weggepiepst würden – und auf den Abschleppwagen gewartet. Auf hoher See sieht das schon anders aus.
Als ich die Dilly-Dally von einem Südafrikaner kaufte, konnte mir der Vorbesitzer die Frage nach dem Alter des Riggs nicht beantworten. Er selbst lebte nur eineinhalb Jahre auf dem Boot, dann starb sein Traum, zusammen mit seiner Frau für mehrere Jahre das Mittelmeer zu bereisen, an Visaformalitäten. Er selbst hatte an dem stehenden Gut nichts gemacht. Ich vermute mal, sein Vorbesitzer auch nicht, zumindest nicht kürzlich, denn dann hätte der das sicherlich als Verkaufsargument angeführt.
Auf den ersten Blick machten die Wanten und Stage einen guten Eindruck. Ich überprüfte die Wantenspanner an Deck und die Terminals im Mast. Alles, was ich fand, war eine leichte Stauchung des Achterstags knapp über dem Spanner. Aber kein Grund zur Besorgnis, fand ich. Freunde sahen das ähnlich.

Doch anders als in Deutschland üblich werden Yachten im Mittelmeerraum meist mit stehendem Mast aus dem Wasser geholt. Das heißt, die jährliche Überprüfung im Winterlager fällt aus – oder findet in schwindelerregender Höhe statt. Mir zumindest verursacht ein Ausflug in den Mast Schwindel, weshalb ich ihn so gut es geht vermeide. Was blieb, war dieser Beigeschmack, bitter wie ein Nikotinkaugummi. Aber je konkreter meine Pläne für die Langfahrt wurden, um so größer wurde auch mein Sicherheitsbedürfnis.
Wechsel alle 10 bis 15 Jahre
Das stehende Gut ist schlicht und ergreifend Verbrauchsmaterial. Es hält nicht ewig. Wie oft man es tauschen muss, hängt von der Beanspruchung ab. Versicherer raten daher zu einem Wechsel alle zehn bis 15 Jahre – oder spätestens nach 25.000 Seemeilen. Nicht selten steht im Kleingedruckten der Policen, dass im Falle eines Mastverlustes die Ansprüche verfallen, sollte das Wartungsintervall nicht eingehalten geworden sein.
In der Regel bestehen Wanten und Stage bei Fahrtenyachten aus sogenanntem 1×19 Nirostadraht. Das Material hat den Vorteil, dass es leicht dehnbar ist. Somit werden die starken Ruckbelastungen bei Wind und Welle abgefedert. Das ist auch der Grund, warum Wanten und Stage immer wieder nachgespannt werden müssen. Im Laufe der Jahre schwindet aber die Elastizität. Es kann zu Haarrissen und zum Bruch der Beschläge kommen. Und im schlimmsten Fall: zum Mastverlust!

Im Frühjahr hatten befreundete Segler einen Rigger aus Marmaris nach Kaş kommen lassen, der als einer der besten seiner Zunft an der türkischen Südküste gilt: Mustafa von Moss Rigging. Jennifer und Corrie, zwei Australier auf Weltumsegelung, gönnten ihrer gealterten Sun Odyssey 40 neue Wanten und Stage. Im kommenden Jahr wollen sie über den Atlantik. Das leuchtete ein.