Wie beim Zahnarzt
Aber auch an den beiden anderen Booten, einer sechs Jahre alten Dufour 445 und einer erst zwei Jahre alten Sun Odyssee 44 DS, brachte der Rigg-Check Ernüchterung. Bei der Rissprüfung nach dem Farb-Eindringverfahren stellte der Rigger bereits erste Ermüdungserscheinungen und Haarrisse fest. Kein Drama, aber ein Warnsignal. Erfahrene Segler wissen: Checkt ein professioneller Rigger die Wanten, dann ist das wie ein Besuch beim Zahnarzt. Er findet immer etwas.
Mit Zahnärzten kenne ich mich aus, weniger mit Wanten. Aber ich weiß, dass Karies nicht durch Warten kleinzukriegen ist. Als Karsten, der dänische Eigner der Dufour 445, nach Marmaris aufbrach, um den Rigger zu treffen, hängte ich mich in sein Kielwasser. Zumindest anfangs. Schon nach wenigen Seemeilen war die Dufour nicht mehr als ein kleines Segel am Horizont. Marmaris liegt etwa 80 Seemeilen westlich von Kaş. Bei der vorherrschenden Windrichtung heißt das: Kreuzen. Nicht nur, dass die größere und leichtere Dufour generell anderthalb Knoten schneller läuft als meine Moody. Besonders ärgerte ich mich, dass sie auch rund zehn Grad höher am Wind segelt.

Der „Zahnarzt“ in Marmaris kommt barfuß an Bord, im Schlepptau zwei Assistenten. Nach einem kleinen Vorgespräch geht er auch schon in die Luft. Im Bootsmannstuhl baumelt er von Saling zu Saling, wie bei einem Äffchen krallen sich seine Zehen in die Wanten, auf dass er seine Hände für die Kontrolle nutzen kann. Meine Freundin übersetzt, was er seinen Kollegen auf Deck zuruft. Sie braucht nicht viele Worte. Ein Kopfschütteln reicht.
Schlechte Nachricht
Als Mustafa wieder Deck unter den Füßen hat, beginnt die Diagnose. Er hat eine gute und eine schlechten Nachricht. Die gute: Der solide Selden-Mast ist sehr gut in Schuss. Die schlechte: Wanten und Stage sind wahrscheinlich genauso alt wie das Boot. Also 32 Jahre. Auch wenn er bei der Sichtprüfung keinerlei Schäden entdecken konnte, empfiehlt er, sie zu wechseln. Natürlich könne er alles genauer analysieren, aber das sei… „Ich weiß“, sage ich, „wie bei einem Zahnarzt.“ Mustafa lächelt.
Es gibt viele Möglichkeiten, bei einem Boot zu sparen. An der Sicherheit sollte man es nicht. Wenige Minuten später baumelt Mustafa bereits wieder hoch oben im Mast, in der Hand ein Metermaß, als er laut lacht und seinen Mitarbeitern etwas zuruft. Wieder schaue ich zu meiner Freundin, die übersetzt. Ich ahne bereits, was Mustafa entdeckt hat: Mein Toplicht. Das Gehäuse hatte irgendwann den Kampf gegen das UV-Licht verloren, schutzlos ragte die Birne in den Himmel. Kai-Uwe, ein guter Freund und zudem schwindelfrei, hatte vergangenen Herbst eine neue Abdeckung gebaut – aus einer PET-Wasserflasche. Selbst die Winterstürme mit über 60 Knoten Wind hat die Eigenkreation also überlebt.
Wantechnwechsel bei stehendem Mast
Nachdem Mustafa Maß genommen hat, besprechen wir das Material. Auf seinen Rat hin entscheide ich mich für Markenprodukte aus Europa. Die türkischen, sagt der Rigger, seien zwar günstiger, aber wer billig kauft, zahlt am Ende gegebenenfalls doppelt. Die Wanten und Stage kommen von dem dänischen Produzenten Bluewave, ebenso wie die Wantenspanner aus rostfreiem Edelstahl, die Terminals, mit denen die Wanten im Mast eingehakt werden, sind britischer Bauart des Herstellers Hi-Mod Petersen. In seiner Werkstatt will er über das Wochenende alles vorbereiten, um in der kommenden Woche die Wanten und Stage bei stehendem Mast zu wechseln.

Eine heikle Aufgabe, schließlich muss während der Arbeiten ein Rigger in den Mast gezogen werden. In vielen Häfen ist es Vorschrift, dass solche Arbeiten nur an Land erfolgen dürfen. Doch das würde enorme Mehrkosten für den Kran und die kurzzeitige Lagerung bedeuten. Auch in der Türkei ist das so. In Marmaris ist Mustafa bekannt, seiner Arbeit wird vertraut. Sofern es windstill ist, darf er die Arbeiten am stehenden Mast durchführen, quasi eine Operation am offenen Herzen.
Weil auch das laufende Gut einige Jahre auf dem Buckel hat und mittlerweile spröde wie trockene Lippen ist, tausche ich auch gleich alle Fallen und Schoten aus – insgesamt über 200 Meter Tauwerk. Wieder entscheide ich mich für Markenware aus Europa. Und da das Budget ohnehin stark strapaziert ist, kommt es auf ein paar Euro mehr oder weniger auch nicht an.
Wie ein schweizer Uhrwerk


Alle sieben Winschen sollen überholt werden und auch das Furling-System des Rollgroß im Mast. Natürlich kann man das auch selbst machen, aber als ich einmal die Winsch an meinem Strandsegler zerlegte, war ich überrascht, dass das Innenleben einem Schweizer Uhrwerk ziemlich nahe kommt. Zwar hatte ich die Winsch wieder zusammengesetzt bekommen, anders als bei einem Ikea-Regal musste ich aber feststellen, dass übrig gebliebene Teile durchaus eine Daseinsberechtigung im präzisen Zusammenspiel der Zahnräder haben.
Also kaufte ich damals eine neue. Da aber allein eine der 52er Lewmar-Zweigangwinschen an Bord der Dilly-Dally über 3000 Euro kostet, wollte ich nicht ohne fachkundige Anleitung die Winschen auseinandernehmen. Mit Mustafa dealten wir aus, dass sie nicht nur die Winschen reinigen, sondern uns eine Anleitung geben, damit wir den nächsten Service selbst übernehmen können. Mit „wir“ meine ich natürlich meine Freundin.Nachdem die Wanten und Stage vorbereitet und die Fallen fachmännisch gespleisst sind, legen wir die Dilly-Dally seitlich an einen sogenannten Arbeitssteg. Zum Glück ist es ein windstiller Tag. Die Arbeiten können beginnen. Wante für Wante wird zunächst mit Seilen verstärkt, dann eine nach der anderen ausgetauscht.

Vor- und Achterstag sind die heikelsten Momente, da der Rigger einerseits hoch oben im Mast schwebt, andererseits kein anderes Stag außer dem gespannten Seil den Mast hält. Aber schon nach wenigen Stunden steht das neue Rigg, der Mast ist frisch getrimmt und alle Fallen und Schoten sind ausgetauscht.