Und so filmt ein Segler das Ablegemanöver eines gegenüberliegenden Bootes. Mit geschultem Auge sieht er, dass die Crew vergessen hat, die Holeleine der Mooring von der Klampe zu lösen. Doch statt zu rufen und zu warnen, hält er schadenfroh kommentierend auf das nahende Szenario drauf, bis das Unvermeidbare passiert. Erst windet sich das Boot, touchiert ein anderes, dann reißt die Leine mit einem lauten Knall. „Da, habe ich doch gesagt“, triumphiert der Videoskipper stolz.
In einem anderen Video filmen Schaulustige, die anscheinend in einer Bar am Hafen sitzen, jedes ankommende Boot in der Hoffnung, dass etwas schiefgeht. Der Wind weht heftig, natürlich von der Seite. Selbst für erfahrene Segler eine Herausforderung. Selbst ihre Enttäuschung, als Marineros in ihrem Beiboot ein misslungenes Manöver gerade noch retten, haben sie ins Netz geladen. Wie blöd kann man eigentlich sein?

Den Wellen schutzlos ausgeliefert
Geradezu befremdlich ist ein anderes Video aus Kroatien, das kürzlich im Netz kursierte. Mehrere Boote liegen an einer ungeschützten Mole im Sturm. Nachdem anscheinend ein Motorboot die Anker oder Mooringleine herausgerissen hat, sind einige Segelboote den auflandigen Wellen schutzlos ausgeliefert. Es gibt mehrere Versionen dieses Videos, mal länger, mal kürzer.
In den kürzeren Versionen sieht man lediglich, wie die Segelboote gegen die Hafenmauer geschleudert werden, was Dutzende Besserwisser und Pöbler auf den Plan ruft. „Typisch Chartersegler!“ Oder: „Denen muss man den Segelschein entziehen!“ sind die harmlosen Kommentare, die erst einmal abgefeuert werden, ohne den Sachverhalt zu kennen.
Schlimmer aber noch sind die Videoaufnahmen selbst, denn darauf sieht man, dass nur wenige Leute an der Mole helfen, viele aber filmen oder tatenlos zusehen, wie die Familien an Bord erst sich und dann das Boot versuchen zu retten. In einem Video wird stattdessen in die Kamera geprostet, in einem anderen gelacht.
Manchmal frage ich mich, was eigentlich bei einigen vermeintlichen Seglern schief gelaufen ist, dass sie solche Ego-Probleme haben? Hat ihr Geschwisterchen damals ihr Papierschiff in der Wanne zum Kentern gebracht? Wurden sie in einem Planschbecken ohne Wasser im Garten von anderen Kindern isoliert?
Oder warum brüsten sie sich mit angeblichen Anekdoten, in denen sie zu einem Skipper nach einem misslungenen Manöver gehen und aufmunternd sagen: „War doch gar nicht mal so schlecht. Für Dein erstes Anlegen.“ Und dann hinterher schieben: „Das gibt denen den Rest!“ Woraufhin ein anderer natürlich einen noch besseren Rat hat: „Du musst so tun, als ob Du die Leine annehmen willst und Dich in den Moment, wo geworfen wird, wegdrehen.“

Fehler analysieren, Erlebnis abhaken
Ich bin überzeugt davon, dass jeder zum Protagonisten im Hafenkino werden kann. Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass ein misslungenes Manöver an einem nagt. Das darf es auch. Das ist der Lerneffekt. Man sollte den Fehler analysieren und dann das Erlebnis abhaken. Nicht aber alle können das. Ich kenne erfahrene Skipper, die vor jedem Anlegen nervös werden, die so sehr damit beschäftigt sind zu schauen, wer schaut, die so sehr bemüht sind, das beste Manöver zu fahren, dass sie es natürlich vergeigen und nicht den Mut haben, einen aussichtslosen Versuch abzubrechen. Was sollen schließlich die anderen denken?
Wohltuend sind da die Kommentare einiger Segler im Netz, wie sie mit der Angst des Skippers vor dem Anlegen umgehen. „Ich habe mal beim Anlegen nach dem dritten Versuch gerufen: Einen Versuch mache ich noch umsonst. Danach kassiere ich für das Hafenkino!“ Oder: „Ich habe mit meinen jeweiligen Partnern oft schon für bestes Hafenkino gesorgt.“
Hier mein Hausmittel gegen die Angst davor: Sich einfach vorstellen, dass man anderen Menschen damit ein unglaubliches Vergnügen bereitet, von dem sie noch lange erzählen können. Und schon ist es nicht mehr so schlimm.“ Oder wie eine Seglerin es auf den Punkt bringt: „Ich sage immer: Tanze und lege an, als ob keiner zuschaut!“
4 Kommentare
Ja, großartig: auf den Punkt und nicht hasserfüllt anklagend. Die Gaffer werden sich leider nie schämen, aber lernen kann man aus einigen Filmchen schon etwas. Lampenfieber beim Anlegen mag ich auch nicht – habe immer versucht, alles nicht Notwendige zu ignorieren. Ich bin auch immer unschlüssig, ob ich fremde Hilfe von Land annehmen soll: ich kenne den Menschen nicht und weiß nicht was er drauf hat…..muss ich als Skipper von Mal zu Mal entscheiden. Danke Jens!
Einige der geschilderten Vorfälle erfüllen durchaus den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung und können strafrechtlich relevant sein! Wer Zeit für Videoaufnahmen hat, hat auch Zeit zumindest zu warnen, wenn nicht gar zu helfen.
Ich bin als Anfängerkapitän vorne mit dabei und habe meist die Hauptrolle im neusten Blockbuster des örtlichen Hafenkinos.
Meiner Meinung nach gibt es viel zuwenige “Docking Fails” auf Youtube, denn davon kann ich sehr viel lernen 😉
Die Sofakapitäne bekommen im Kommentarbereich aber auch einiges an Kontra von vernünftigen Seglern. Witzig ist immer, wenn in der Mitte der Diskussion der im Film nicht sichtbare Kontext den vermeintlichen Fehler relativiert. Z.B. kann wegen fehlender Tiefe nicht mit Heck an die Hafenmauer, Antriebsprobleme, im Video nicht sichtbare Strömmung, …
Top Artikel! Du sprichst mir aus der Seele!
Und auch ich habe schon “lustiges” (je nach Sichtweise) Hafenkino geliefert… Zum Glück auch ohne filmische Beweise; zumindest habe ich sie noch nicht gefunden 😉