Jennifer und Corrie Schutte stinken nach Diesel, als sie ihre „Wilson Street“ das letzte Mal sehen. Mit jedem Meter, den die Yacht aus dem Windschatten des Tankers auf die offene See treibt, wird sie zum Spielball des Orkans. Die Gischt peitscht horizontal über das Meer, raubt die Sicht. Kurz darauf ist das Boot mit dem ungewöhnlichen Namen verschwunden, verschluckt von einer grauen Kulisse aus rauer See, 90 Seemeilen nordöstlich von Malta.
Jennifer und Corrie – sie 61 Jahre alt, er 68 – stehen auf der Brücke der „Team Osprey“, dem Tanker unter maltesischer Flagge, der sie aus Seenot gerettet hat. Klitschnass von den Wellen, die über die Sun Odyssey 40.3 rollten wie Planierwalzen über Straßenschotter, entkräftet und erschöpft. Es ist der 16. September, der Tag, an dem die Australier ihr Boot verloren, aber ein neues Leben geschenkt bekommen haben. Und alles, woran Jennifer in diesem Moment denkt, ist der Dieselgeruch, der hartnäckig an ihren durchnässten Klamotten klebt.
„Entschuldigen Sie bitte, wir stinken!“, sagt sie zu dem Kapitän von den Philippinen, der die Schiffbrüchigen hat auf die Brücke bringen lassen, kaum waren sie über die glitschige Strickleiter die meterhohe Bordwand hinaufgekraxelt. Und das bei Böen über 80 Knoten. Zu viel ist in den vergangenen Stunden passiert, als dass die beiden Australier ihre Gedanken ordnen könnten.
Katastrophe biblischen Ausmaßes
11.43 Uhr steht auf dem letzten Foto, das ein Besatzungsmitglied des Tankers von der verlassenen Wilson Street geschossen hat. Ein Rettungsring treibt hinter dem Boot in aufgewühlter See, man kann noch die Leine der Rettungsinsel erkennen, die versagte. Das Ende eines jahrzehntelangen Traums, zerstört von einem Orkan – dem Medicane „Ianos“. Der mediterrane Wirbelsturm wird drei Tage später auf Griechenland treffen und mehrere Todesopfer fordern. Lokale Medien sprechen von einer „Katastrophe biblischen Ausmaßes“.
Corrie ist ein begeisterter Segler seit Kindesbeinen an. Der Traum von der Weltumsegelung geistert in seinem Kopf umher, seit er denken kann. Mit Mitte 20 baut er an seinem ersten eigenen Boot. Den Rumpf der Stahlyacht hat er noch fertig gestellt, dann geht das Geld aus. In Jennifer findet Corrie eine Frau, die seine Leidenschaft für das Segeln teilt. Sie haben drei Kinder, leben in Perth an der australischen Westküste.
Corrie ist Berater für Minen-Gesellschaften. Er arbeitet in Finnland, der Mongolei und Indonesien, in Vietnam und Venezuela und vielen afrikanischen Staaten. Je mehr Länder er kennenlernt, um so größer wird sein Traum, die Welt mit einem Segelboot zu erkunden. Spätestens wenn er sich zur Ruhe setzt und die Kinder aus dem Haus sind. Doch kurz vor der Rente bekommt er noch ein Angebot aus Panama. Für zwei Jahre ziehen die Schuttes nach Mittelamerika. Aber anschließend, das beschließt das Ehepaar, soll es endlich losgehen.
Barfuß über den Atlantik
Und so sitzen Jennifer und Corrie im Januar 2019 mit all ihren Habseligkeiten im Flieger nach Kroatien. Der Plan: vom Mittelmeer bis nach Australien zu segeln. Das Startkapital für ihr Abenteuer haben sie aus dem Verkauf einer Wohnung, die sie vor vielen Jahren in der Wilson Street in Newcastle gekauft haben. Daher der ungewöhnliche Name des Bootes, das bereits ihr viertes ist.
Die Bootssuche an der Adria dauert länger als gedacht. Viele der im Internet angebotenen Yachten haben mit den Inseraten wenig gemeinsam. Es vergehen Wochen, bis das Paar bei Pula die Sun Odyssey 40.3, Baujahr 2005, findet. Ein Boot, das ihnen gefällt.
Im Frühjahr stechen Jennifer und Corrie in See. Das Abenteuer, dem sie seit Jahrzehnten entgegenfiebern, kann beginnen.