Wie Neptun steigt er aus den Fluten in Düne auf Helgoland. André Wiersig ist der Erste, der die Insel Helgoland vom Festland aus schwimmend erreicht. 48,5 Kilometer in 18 Stunden, also knapp drei Kilometer pro Stunde, ist er bei 16 Grad Wassertemperatur durch die Nordseewellen gekrault – nonstop. Ärmelkanalschwimmer müssen „nur“ 33 Kilometer zwischen Frankreich und England überwinden.

Gegen Mitternacht war Wiersig, nur mit Badehose und Badehaube bekleidet, in St. Peter-Ording in die auflaufende Flut der Augustnacht gestiegen. Ein Kajak und ein Helgoländer Börteboot begleiteten den 49-jährigen, reichten ihm Wasser und Proteinnahrung in den Pausen. An Bord des Börteboots war auch ein Strömungsexperte des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH). Er berechnete die beste Strecke für den Langstreckenschwimmer.

Im Rausch des Ozeans
Die Strömung war aber deutlich stärker als die vorausberechnete. Und Wiersig, der bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zwei Knoten über Grund schwimmt, kam die letzten 12 km vor Helgoland mit nur 300 bis 400 Metern pro Stunde Vortrieb voran. „Man muss einfach die richtige Einstellung finden, dann geht das“, sagt Wiersig lachend im Interview mit float.
Belohnt wurde er nachts Richtung Helgoland mit Meeresleuchten. Stundenlang schwamm er durch das bläulich schimmernde Wasser, das bei jeden Schlag glitzernd aufgewirbelt wurde. „Und dann hatte ich unter mir Quallen, die bei Berührung grün aufleuchteten. Das war fantastisch!“

Das ist wie ein Rausch. Wiersig hat eine sehr direkte Verbindung zum Meer. „In deiner Badehose bist Du sehr verletzlich und Temperaturunterschieden, Strömung und Meerestieren komplett ausgeliefert. Auf Helgoland war das recht harmlos. Aber ich bin schon nachts zwischen zwei Hawaiiinseln mit Haien geschwommen. Und in Gewässern, die ein paar tausend Meter tief sind. Da muss man sich drauf einlassen.“
Ich kann so lange schwimmen, bis ich meine eigene Mutter nicht mehr erkenne.

Was sind die Gefahren, will ich wissen: „Gerade bei extremer Kälte, wie im North Channel bei 13 Grad in Badehose kann es gefährlich werden“, weiß André Wiersig. „Ab einem gewissen Punkt bekommt man die Unterkühlung nicht mehr mit, und der Übergang zur Bewusstlosigkeit ist fließend. Da muss man extrem aufpassen.“ Nur Jaimie Monahan ist als Extremschwimmerin in eisigeren Gewässern unterwegs. Die Amerikanerin bewältigte schon die „Ice Sevens“ von Sibirien bis zur Antarktis.
Alle Ocean’s Sevens geschafft
Ein Jahr lang hatte der Paderborner auf Mallorca für die Durchquerung trainiert. André Wiersig ist der erste deutsche Extremschwimmer, der als Sechzehnter die „Ocean’s Seven“, die sieben wichtigsten Meeresengen auf fünf Kontinenten, durchquert hat. Er ist einer von nur 20 Personen überhaupt. Es begann mit dem Ärmelkanal 2014, gefolgt von der Straße von Gibraltar – beides gefährliche und vielbefahrene Schifffahrtsstraßen. Helgoland ist die bisher längste Strecke gewesen.

Sein nächstes Ziel für 2022 ist das Vortrapptief, die Meerenge zwischen Sylt und Amrum. Wie Otto Kemmerich, der in den 1920er-Jahren als bester Langstreckenschwimmer der Welt galt und als „Wunderschwimmer“ die Touristen in den Seebädern unterhielt, will auch er diese – wegen der Strömungen schwierige – Meerenge durchqueren.

Reinhold Messner der Meere
Bei seinen Aktionen sieht sich Wiersig eher als ein Reinhold Messner der Meere denn als Sportler. Es sei vor allem Kopfsache. Nur 40 Prozent sind Kraft und Technik, der Rest ist mentale Stärke, sagt er.
Was ich liebe, ist die Verschmelzung mit dem Element.
Wiersig ist Meeresbotschafter der deutschen Meeresstiftung, und hat auch mit dieser Aktion die UN Ocean Decade unterstützt. „Ich sehe mich als Sprecher des Ozeans und will gerade jungen Leuten vermitteln, wie toll und wie erhaltenswert die Ozeane sind.“