„Tränenolympiade“ wird das Format beim Norddeutschen Rundfunk intern genannt. „Sehnsuchtsradio“ nennen es andere, oder schlicht „eine Brücke zwischen Seeleuten und den Lieben an Land“. Um 19 Uhr deutscher Zeit erklingen an Heiligabend die Kirchturmglocken des Hamburger Michels, gefolgt vom lauten Tosen etlicher Schiffshörner.
Der Hamburger Hafen lässt grüßen, und ein Stück Heimat wabert per Kurzwellenfunk über den Äther. Dann folgen Liebesbotschaften, Grüße und Sehnsüchte. Mal stockt die zitternde Stimme, oft rollen Tränen. Reeder bedanken sich bei ihren Crews, alte Seebären berichten aus vergangenen Zeiten. Viele tausende Meilen entfernt sitzen die Empfänger der Botschaften gebannt vor dem Radio. Irgendwo auf den Weltmeeren auf Containerschiffen, Kreuzfahrtriesen, auf Marinekreuzern, Sportbooten oder auch auf Fahrtenyachten.

Der „Gruß an Bord“ sendet seit 1953 von Hamburg aus per Kurzwelle Weihnachtsbotschaften an Seeleute in der ganzen Welt. Damit ist das Format eine der ältesten Radiosendungen der Welt, die noch immer kontinuierlich ausgestrahlt werden – jedes Jahr an Heiligabend.
Der NDR gibt seit knapp 70 Jahren Familien und Freunden von Seeleuten die Möglichkeit, ihren Liebsten auf hoher See ein frohes Fest zu wünschen. Für die Macher ist die Sendung eine Tradition, die „für unsere Hörer elementar und nicht durchs Internet zu ersetzen ist“.

Geschenke für die Seeleute
Weihnachten hat in der Seefahrt eine besondere Bedeutung. Für viele Seeleute ist es nicht nur eine besinnliche, sondern vor allem eine traurige Zeit. Dagegen helfen viele Traditionen an Bord. Die Sehnsucht nach der Familie multipliziert sich mit Heimweh. Das wissen auch die Mitarbeiter der Deutschen Seemannsmission. In der Vorweihnachtszeit haben sie alle Hände voll zu tun. Sie sammeln Spenden und verpacken kleine Geschenke für die Seeleute, die die Feiertage in deutschen Häfen verbringen müssen. Allein in Cuxhaven hat die Seemannsmission 900 Weihnachtstüten vorbereitet.
„Was wäre der Weihnachtsmann ohne Seeleute?“, sagt Diakon Martin Struwe. Fernseher, Kaffeemaschinen, T-Shirts, Hemden, Spielzeug oder Zutaten zum Festessen – alles wird schließlich übers Meer angeliefert. Für die Crews seien Heimweh, die Trennung von der Familie, die stete Gefahr durch Wind und Wasser und nicht zuletzt das Corona-Virus auch 2021 stets als Begleiter mit an Bord gewesen.
„Bei den kleinen Präsenten für die Seeleute, die keine Lobby haben, gehe es daher nicht nur darum, eine kleine Freude zu machen“, sagt Struwe. Sondern auch darum, „ein Zeichen zu setzen: Wir an Land wissen um euch“.

Weihnachtstelefonat in die Heimat
Für die meisten Seeleute sei die Sehnsucht nach ihren Liebsten gerade in diesen Tagen besonders groß, weiß der Diakon der Seemannsmission. Deshalb sei in jeder Geschenktüte unter anderem auch eine Telefonkarte im Wert von fünf Euro für das Weihnachtstelefonat in die Heimat. „Die Freude und oftmals auch die Überraschung bei den Seeleuten über ein Weihnachtsgeschenk sind jedes Jahr von Neuem berührend“, sagt Diakon Struwe.
Und dieses Jahr ist Weihnachten, wie 2020 auch, ein besonders schwieriges Fest. Corona hat die Situation noch verschärft. Gestrichene Flüge, geschlossene Visastellen und Quarantäne-Maßnahmen erschweren weltweit die Crew-Wechsel.