Das schäbige Rolltor öffnet sich langsam, während aus dem Off metallische Taktschläge á la Einstürzende Neubauten die Spannung schüren. Dahinter wird ein Wirrwarr aus metallischen Strukturen sichtbar. Schließlich kommt ein schwarzes Etwas zum Vorschein. Seine Spitze taucht langsam ins Licht. Schwarz glänzend wie ein Meerungeheuer, das soeben den Fluten entstiegen ist: die neue Rennyacht von Alex Thomson.
Der prominente Segler hofft, dass ihn dieses Schiff bei der Vendee Globe 2020/21 zum Sieg führen wird. Endlich, so müsste man sagen, denn Alex Thomson ist bislang der ewige Zweite. Bei der letzten Vendee Globe zerlegte ein Stück Treibgut eines seiner Foils. Und das, als er souverän in Führung lag. Er kam nur auf den zweiten Platz. Bei der Route du Rhum reichte es zum Dritten, nachdem er ein Penalty für die Motornutzung erhalten hatte.
Zwei Jahre akribische Entwicklungsarbeit
Die neue Imoca 60 ist das Ergebnis von mehr als zwei Jahren akribischer Konstruktions- und Entwicklungsarbeit des Offshore-Rennstalls gemeinsam mit mehr als 100 Schiffbauern, Ingenieuren und Bootsbauern.

„Was uns zu einem der spannendsten Teams in diesem Sport macht, ist, dass wir den Mut zur Führung zeigen“, sagte Alex Thomson vollmundig, als die „Hugo Boss“ zum ersten Mal zu Wasser gelassen wird. „Wir entwickeln Neues, überschreiten Grenzen und scheuen uns nicht, Dinge anders zu machen. Wir akzeptieren, dass wir auch Fehler machen. Angst zu Forschen haben wir aber keine.“ Große Worte.
Nur Foils und Kiel im Wasser
Das neue Boot wurde in Zusammenarbeit mit dem technischen Team von Alex Thomson Racing unter der Leitung von Pete Hobson mit den französischen Marinearchitekten von VPLP in Südengland gebaut. Der britische Bootsbauer Jason Carrington leitete im Juni 2018 gestarteten Bau – insgesamt mehr als 50.000 Arbeitsstunden.
Wie schnell das neue Rennboot sein wird, ist noch unbekannt. Gewiss sehr schnell: Sein tropfenförmiges Oberdeck ähnelt der Tragfläche eines Jets. Da es ausschließlich über Kiel und Foils mit dem Wasser in Berührung sein wird, ist anzunehmen, dass beim Design des Rumpfs den aero- vor hydrodynamischen Eigenschaften der Vorzug gegeben wurde.

Bleibt nur zu hoffen, dass der rund 20 Meter lange Renner nicht zu schnell wird für Thomson. Kollisionen erlitt der stets elegant auftretende Segler, der auch schon mal im Anzug auf der Kielbombe posierte, schließlich schon mehrfach.
Solarpaneele auf Deck und Dach
Hugo Boss, so der Name auch aller sechs früheren IMOCA-Boote des Teams, ist eine 7,6 Tonnen schwere Kohlefaseryacht. Das 60 Fuß lange Schiff nutzt modernste Tragflügeltechnik. Sie wurde nur für ein einziges Segel-Event gestaltet, konstruiert und gebaut: die kommende Vendee Globe.
Das Bootsdeck und das Cockpitdach besitzen eine Solarverkleidung. Allerdings wird das – als alternative Stromquelle zum Diesel – den Energiebedarf während der Regatta alleine nicht decken können. Es werden außerdem Hydrogeneratoren installiert, um alle Bordsysteme mit Strom zu versorgen.

Thomson-Team mit Führungsanspruch
Der markante schwarze Carbon-Rumpf des Boots – mit seinem stromlinienförmigen Bug und dem tropfenförmigen Decksdesign – steht für den Führungsanspruch des Thomson-Teams. In der PR-Poesie der Pressemitteilung liest sich das so: „Die hochglänzend schwarze Oberfläche spiegelt die schlanke Markenidentität des Team-Titelpartners Hugo Boss wider, dessen Markenlogo geschickt aus silberner Kohlefaser gefertigt und in den Rumpf selbst eingebettet wurde.“ Industriedesigner Karim Rashid ist der Mann, der sich die Markenidentität des Boots ausgedacht hat.

Schwarzes Ungetüm auf höchstem Niveau
„Bei diesem Sport geht es nicht mehr nur um qualifiziertes Yacht-Design und kompetentes Segeln“, sagt Stewart Hosford von Alex Thomson Racing. Es sei auch eine Herausforderung an die Ingenieurskunst auf höchstem Niveau. Es gehe folglich darum, „die Besten der Welt in jedem einzelnen Bereich zusammenzubringen.“ Wenn man mit seinem Boot denn auch ankommt.
Alex Thomson und sein Team werden das schwarze Ungetüm nun ausgiebig testen, bevor es im September offiziell vorgestellt und getauft wird. Von dort aus wird das Boot im Oktober 2019 bei einem doppelhändigen Rennen, der Transat Jacques Vabre, debütieren. Alex Thomson will dann, im Juni 2020, sein erstes Solorennen von New York nach Frankreich bestreiten. Es gilt als die Generalprobe vor dem eigentlichen Rennen, das im November 2020 beginnt. Gut aussehen wird dafür nicht reichen.