Überhaupt wird der Strom zumindest auf der ersten Hälfte der Strecke eine bedeutende Rolle spielen. Der Yucatan-Strom ist der Zufluss des Golfs von Mexiko, der Golfstrom sein Abfluss. Und genau da, wo der eine endet und der andere beginnt, geht meine vorläufige Route durch. Ein Blick auf die Strömungsvorhersagekarte für die nächsten Tage zeigt mir den Verlauf und die Stärke an, und ich notiere mir ein paar Wegpunkte aus der Strömungskarte, denn diesen kostenlosen Boost möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen!

Normal instabil
Die ersten zwei bis drei Tage wird es also eher zügig vorangehen, während es auf der zweiten Hälfte der Strecke eher gemächlich wird. Signifikante Strömungen gibt es dort nicht mehr und das stabile Hochdruckgebiet sorgt für schwache, umlaufende Winde.
Allerdings zeigt mir der hohe CAPE-Index (der Convective Available Potential Energy Index ist eine Kennzahl, welche die atmosphärische Instabilität beschreibt), dass verstärkt mit Gewittern und Squalls zu rechnen ist. Das ist zwar für den Golf von Mexiko im Sommer normal, aber trotzdem nicht schön.
Ich werde mich auf viele Segelmanöver einrichten müssen, da die Gewitterböen durchaus innerhalb von Minuten Sturmstärke erreichen können. Ich erinnere mich an den Texaner, der neben mir geankert hatte und den ich fragte, wie seine Überfahrt von Houston war: „All or nothing. 4 or 40“, war seine trockene Antwort, die viel aussagt über dieses Seegebiet. Mit „4 or 40“ meinte er nämlich, dass entweder 4 Knoten Wind waren oder 40 Knoten Wind, dazwischen eher nichts.
Jähes Ende der transatlantischen Harmonie
Auch die kurz- und mittelfristige Wettervorhersage trage ich in meine Kladde ein. Als ich die beiden wichtigen Modelle, das US-amerikanische GFS (Global Forecast System) und das europäische EMCWF (European Centre for Medium-Range Weather Forecasts) miteinander vergleiche, sehe ich sofort, dass in den ersten drei Tagen eine große Übereinstimmung herrscht, in der Zeit darauf diese transatlantische Harmonie jedoch jäh zum Ende kommt.
Während ich in niedrigen Breiten im Zweifel eher dem GFS Glauben schenke, ist die Unstimmigkeit der beiden Wettervorhersagemodelle ein weiteres Indiz für die instabile Situation im nordöstlichen Golf. In meiner Kladde bekommt der Wetterbericht daher einen Blitz: Achtung!
Den nächsten Punkt, den der Gezeiten, kann ich schnell abhaken: nicht signifikant. Sie werden auf meiner Passage von Cancun nach Mobile, von ein bisschen Strömung bei der Einfahrt in die Mobile Bay abgesehen, keine Rolle spielen.

Mit einem Blick auf die Warnungen des NHC, des National Hurricane Centers in Miami, schließe ich meine Wetter- und Strömungsanalyse ab. Für mein Seegebiet gibt es im Moment keine Warnungen. Allerdings wurde weiter im Süden eine tropische Depression gerade zum Tropensturm gekürt. Es dürften allerdings noch zehn Tage vergehen, bis dieser meine vorgesehene Route kreuzen sollte.
So ganz wohl fühle ich mich zwar nicht, so zwischen zwei ausgewachsenen Tropenstürmen. Aber so ist das wohl, wenn man auf der Hurricane Alley zum Spielen rausgeht. Das NHC sieht es auf jeden Fall gelassen, und das beruhigt mich.
Übers Riff in die Freiheit
Während bisher eher kleinmaßstäbige Karten mein Handwerkszeug waren, geht es jetzt mit großem Zoomfaktor weiter. Denn jetzt bin ich auf der Suche nach Gefahren für die Navigation. Auf dem Weg aus meiner Ankerbucht muss ich eine weiträumige Untiefe umfahren, später in ein mit zwei Tonnen markiertes, überschaubares Fahrwasser einbiegen. Dann kann ich mit genügend Raum zum flach auslaufenden Strand das langgezogene Riff überqueren.
Die Karte markiert dort Grundseen und Brecher, es wird dort also ungemütlich, bevor ich das ruhigere, tiefere Wasser des Karibischen Meeres erreicht haben werde. Dann wird nur der weite Ozean vor mir liegen, ohne Untiefen, ohne Felsen, ohne Riffe. Verkehrstrennungsgebiete gibt es hier auch nicht.

Erst bei der Ansteuerung auf die Mobile Bay scheint es wieder interessant zu werden. Es wimmelt von Fischfarmen und Bohrinseln, die vorgeschriebenen Fahrwege lassen auf viel Verkehr schließen. In der Mobile Bay ist es empfohlen, im Fahrwasser zu bleiben, da sie insgesamt sehr flach ist, in Stürmen fällt sie sogar trocken. Die Ansteuerung des Dog Rivers, wo ich mir in einer Marina einen Liegeplatz reserviert habe, ist nur bei Tageslicht möglich.