Unsere erste Anlaufstelle war „Charlie’s Bar“ im Hafen von Gibraltar, weil sich dort viele Segler aufhalten, unsere zweite das Hafenbüro, wo wir unsere Kontaktanzeige ans schwarze Brett pinnen konnten. Wir hatten das Büro eben verlassen, als uns ein Boot auffiel, an dem eine Flagge der Atlantic Rally for Cruisers (kurz ARC) wehte. „Vielleicht haben die noch einen Platz frei, lass es uns versuchen!“, schlug ich vor.
Und tatsächlich: David, der Kapitän der Yacht, war uns vom ersten Augenblick an sympathisch und wir ihm offenbar auch. Er lud uns gleich auf sein Schiff ein: „Wenn ihr für die Crew kocht und euch an den Lebensmittelkosten beteiligt, nehmen wir euch gerne bis auf die Kanaren mit.“ Deal! Keine zwei Tage später stachen wir mit David, Marcello und Fred in See und segelten per Anhalter über den Atlantik.

Einfacher als gedacht
Wie oft standen wir sehnsuchtsvoll am Meeresufer und haben die Seefahrer um ihre Freiheit beneidet! Jetzt glitten wir selbst über den Atlantik, staunten über Delphine, fliegende Fische und leuchtendes Plankton. Nach einer Woche erreichten wir Las Palmas auf Gran Canaria und verabschiedeten uns von der bereits lieb gewonnenen Crew.
Schon beim ersten Rundgang durch den Hafen wurde uns klar, dass wir diesmal nicht die einzigen Bootstramperinnen sein würden. Las Palmas hat sich längst als bester Ausgangspunkt für eine Atlantiküberquerung unter den Trampern herumgesprochen. Der ganze Hafen war voll von Anhaltern jeden Alters, die aus unterschiedlichen Gründen über den Atlantik wollten: um ihre Segelkenntnisse zu vertiefen, um in der Karibik beim Wiederaufbau zu helfen. Oder einfach, um das Abenteuer Atlantiküberquerung einmal zu erleben. Die Pinnwände in den Bars und Shops hingen voll mit viel versprechenden Anzeigen von Leuten, die ein passendes Boot suchten.

Beim Rundgang über die Stege lernten wir gleich am ersten Tag Emma, eine schwedische Soloseglerin, kennen, die zwar auch wie wir den Atlantik überqueren wollte, aber eben solo. „Kommt doch trotzdem heute zum Abendessen vorbei“, schlug sie vor.
Aus dem Abendessen wurden drei Wochen im Hafen
Aus dem Treffen zum Abendessen wurden drei verrückte Wochen im Hafen von Las Palmas. Wir wohnten auf Emmas Boot, halfen bei den anfallenden Reparaturarbeiten, machten zusammen Musik auf der Straße, um die Hafengebühren zu bezahlen, kamen mit tollen Leuten in Kontakt – und vergaßen dabei fast unsere eigentliche Mission: ein Boot nach Südamerika zu finden!
In der dritten Woche packte uns die Ungeduld. Auch Emma wollte Segel setzen und nach Brasilien aufbrechen. Da sich bisher niemand auf unsere Kontaktanzeige gemeldet hatte, sprachen wir die Segler direkt an. Das erfordert Offenheit und Ausdauer, ist aber unserer Erfahrung nach die beste Taktik, um ein Boot zu finden.
Wir erfuhren dabei interessante Geschichten: Familien, die mit ihren Kindern um die Welt segelten, Eigenbrötler, die aus ihrem alten Leben geflohen waren, und Pärchen, die ihre Häuser verkauft hatten, um sich den Traum vom Leben auf See zu verwirklichen.
Nach vier Wochen hatten wir eine Zusage!
Endlich lud uns eine Familie aus Frankreich ein, mit ihnen nach Kap Verde zu segeln. Unterwegs malten wir mit den Kindern Bilder, bauten Lego-Figuren, aßen Mengen an Popcorn und selbst gebackene Schokokekse und lernten, den Kurs zu berechnen. Eine Woche später erreichten wir die Insel Sal.

Von dort trampten wir mit zwei weiteren Segelbooten westwärts von Insel zu Insel, bis wir den Hafen in Mindelo auf St. Vincente erreichten. Hier stießen wir auf einige bekannte Gesichter, die wir schon aus Las Palmas kannten.
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Drei Tage verbrachten wir im Hafen, als wir von Karl, einem jungen Kapitän, angesprochen wurden: „Ihr sucht ein Boot? Kommt doch mit uns!“ Wir mussten nicht lange überlegen. Karls freundliche Art, die nette Crew, die kleine Bootskatze Tara und das gemütliche alte Segelboot hatten es uns gleich angetan.
Genau zwei Monate nach unserer Abfahrt in Gibraltar verlassen wir auf der „Tara“ den Hafen in Mindelo, Kap Verde: Kurs 270 Grad. Die anfängliche Euphorie wurde schnell von der Realität abgelöst. Langeweile machte sich breit, und die fehlende Privatsphäre führte zu der einen oder anderen Auseinandersetzung. Bei den gemeinsamen Abendessen, den Spieleabenden und den lebhaften Diskussionen vergaßen wir aber unsere Reibereien auch schnell wieder.
Am Morgen des einundzwanzigsten Tages auf See zeichneten sich am Horizont dann die Konturen der Insel ab: Tobago. Der Duft tropischer Blüten und feuchter, moosiger Wälder drang in unsere Nasen. Wir hatten endlich die andere Seite des Atlantiks erreicht!
Es war nicht immer einfach
Zum Mittag soll’s heute Pasta geben. Während ich das leicht modrig riechende Wasser für die Nudeln aus unserem Süßwassertank in den Topf pumpe, das letzte Stück Käse für die Soße aus unserem Vorrat hole und ihn vom pelzig blau-grünen Schimmel befreie, muss ich unweigerlich an den Lagerfeuerklassiker „Wir lagen vor Madagaskar“ denken: „Der Langhein war der Erste, er soff von dem faulen Nass. Die Pest gab ihm das Letzte und wir ihm ein Seemannsgrab.” Unsere Klamotten fühlen sich an wie die in den Abenteuern von Scott und Amundsen beschrieben: salzig steif, schmutzig und verschwitzt.

Ich übernehme meine erste Nachtwache. Für alle ist diese Zeit des Tages das Highlight, die einzige Zeit, die du an Bord für dich ganz alleine hast. Die Nacht ist magisch. Das Boot schwebt wie auf einer Lichtwolke durch die Dunkelheit. Das Meeresleuchten tritt auf, wenn bestimmte Mikroorganismen bei Berührung oder Bewegung kurze Lichtsignale aussenden. Manchmal blitzen sogar ganze Lichtbälle hinter dem Boot auf, bis sie eine Sekunde später für immer in der Dunkelheit des Ozeans verschwinden.
Der Wind frischt auf, Regen prasselt herab. „Wir sollten die Fock einholen“, rufe ich Nicole zu, die jetzt die Wache übernimmt. Inzwischen drückt der Wind das Boot so stark zur Seite, dass es kaum möglich ist, noch aufrecht zu stehen. Nicole zieht an der Leine, um das Segel zu reffen – aber sie hat sich irgendwo verklemmt. Ich wecke den Rest der Crew. Mit vereinten Kräften versuchen wir, die klemmende Leine zu befreien. Das Süll berührt inzwischen die Wasserlinie.