Geschafft! Pip Hare hat ihr Backbord-Ruder in den Tiefen des Südpazifiks erfolgreich ausgetauscht. Sie schreibt dazu heute morgen: „Jeder Teil meines Körpers schmerzt. Ich habe blutige Knöchel, blaue Flecken an den Beinen und Muskeln, von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt. Aber jetzt ist das neue Ruder drin und Medallia ist wieder im Spiel!“
Die Erkenntnis des kaputten Ruders traf die streitbare Britin hart. Bei einer Routineüberprüfung bemerkte sie, dass der Backbord-Ruderschaft angerissen war. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als das Ruder zu wechseln. Sonst hätte der Schaft unter der Last in wenigen Stunden versagt.
„Natürlich bin ich völlig am Boden zerstört über diesen Ausfall und was er für mein Rennen bedeutet“, sagte sie gestern im Video, „ich muss das Rennen erst mal auf Eis legen und mich auf die Lösung dieses Problems konzentrieren, um mich und Medallia in Sicherheit zu bringen.“
Sie hatte Glück im Unglück und bemerkte den Fehler rechtzeitig. Sie konnte das gesamte Steuergestänge trennen, weitere Schäden sowohl am Schaft als auch an der Ruderanlage verhindern und die Kontrolle über das Boot mit dem Ruder auf der Steuerbordseite halten. Wenn der Schaden unbemerkt geblieben wäre und sie in den nächsten Stunden bei 30 Knoten Wind auf Steuerbord gekreuzt hätte, wäre der Ruderschaft wahrscheinlich gebrochen. Sie hat ein Ersatzruder an Bord und kann das Problem hoffentlich beheben.
Die ganze Nacht hat sie am Ruder bearbeitet und ist jetzt zurück im Rennen und hat nur einen Platz dabei verloren. Glückwunsch, Pip. Auf nach Kap Hoorn!
Stolz auf die bisherige Leistung
Diese Ruderpanne ist nur das aktuellste Beispiel, an dem sich zeigt, mit welch großen Herausforderungen die Segler auch bei dieser Vendée Globe zu kämpfen haben. Pip Hare steht obendrein vor einer grundsätzlichen Benachteiligung: Ihr Boot „Medallia“ ist satte 20 Jahre alt. Die von Pierre Roland designte und von Bernard Stamm gebaute Imoca hat bereits fünf Weltumseglungs-Regatten auf dem Buckel.

2002 und 2006 gewann es die „Around Alone“-Regatta. Eine spanische Crew segelte mit ihm das „Barcelona World Race“ und zweimal trat es zur Vendée Globe an. 2000 musste Bernard Stamm wegen Problemen mit dem Autopiloten aufgeben, beim letzten Mal kam der Schweizer Alan Roura als jüngster Finalist mit ihm auf Platz 12. Das Boot ist ein alter Hase. Dass es immer noch nicht laufmüde geworden ist, muss diesmal Pip Hare am Steuer beweisen.
Für die 46-jährige Profiseglerin ist es die erste Vendée Globe, aber sie hat eine Menge Offshore-Erfahrung gesammelt – immer mit dem Ziel vor Augen, einmal an einer Vendée Globe teilzunehmen. Sie las das erste Mal von der Regatta, als sie als Teenager mit dem Segeln begann. Seitdem wusste sie: Da bin ich dabei – irgendwann.
Geradlinig drauflos

Pip ist ausgebildete Sprachwissenschaftlerin, aber sie arbeitet seit 25 Jahren in der Segelindustrie, bei Regatten, Fahrtentouren, beim Coachen oder als Schreiberin. Als bekannte Journalistin unter anderem für Yachting World berichtet sie aus der Innenperspektive über den Segelsport. Ihre Regatta-Karriere begann in der 6.50-Miniklasse. 2011 belegte sie beim Mini Transat den 41. Platz, 2013 den 28. Platz. Sie wechselte zur Class 40 und sicherte sich beim Transat Jacques Vabre 2015 den 9. Platz.

Sie entwickelte ein Geschäftsmodell, dass es den Sponsoren erlaubte, mit Pips Kampagne ihre Firmen zu schmücken. „Determination, Innovation, Success“ stehen schließlich genauso hinter ihrem Segelprojekt wie hinter jedem ehrgeizigen Business. Die Überzeugungsarbeit fraß Zeit und Energie, aber sie verlor das Ziel nicht aus den Augen.
Bei ihren Generalproben trat sie mit dem Holländer Ysbrand Endt 2019 beim Transat Jacques Vabre an und mit Paul Larson, dem schnellsten Mann auf dem Wasser, beim RORC Fastnet Race. Sie ging als 24. und 13. durchs Ziel.
Erst im Juni 2020 stand der offizielle Partner für die Vendée Globe fest: der US-amerikanische Software-Gigant Medallia. Endlich konnte sie ein Team rekrutieren und sich selbst auf die Hauptsache konzentrieren: um die Welt segeln.

Alles bestens
Als Erstes bestellte Pip neue Segel und installierte Ausleger, um die Segel so führen zu können, wie es eigentlich nur bei einem längeren Boot möglich wäre. Das Kiel-System blieb unverändert: ein Trumm aus Blöcken, Leinen und Winchen, der nur mit größter Kraftanstrengung bedient werden kann. Die anderen Boote sind alle mit hydraulischen Kielen ausgestattet. Ein Knopfdruck genügt, um sie den Wetterbedingungen anzupassen. Aber der vermeintliche Nachteil ist geringer, als man glauben sollte. Pip hält mit Alan Roura auf La Fabrique mit, der nach Problemen mit der Hydraulik seinen Kiel in der Mittelposition arretieren musste. Das Gleiche passierte Isabelle Joschke.

Pip erzählt frei nach Schnauze. Deshalb folgt man ihren Berichten von Bord so gerne. Außerdem wird man Zeuge einer Erfolgsstory. Sie hat so gut wie keine Fehlentscheidung getroffen und im Südlichen Ozean ordentlich an Effizienz zugelegt. Bis jetzt …
Dabei hatte ihr vor dem Start gerade diese Etappe Sorgen gemacht. Ich traf Pip während der letzten Vorbereitungen in ihrem Heimatort Poole. Der Südliche Ozean ist nicht schlimmer als der Atlantik an einem harten Wintertag, beruhigte ich sie.
Patentrezepte und Probleme
Kurz vor Point Nemo bekam Pip Probleme mit ihrem Windmesser auf dem Masttop. Ohne Winddaten kann der Autopilot nicht zwischen wahrem Wind und scheinbarem Wind unterscheiden. Ihr Ersatz-Windmesser war schon im ersten Tief auf dem Atlantik verloren gegangen. Jetzt blieb ihr nur ein Gerät am Heck, das ungenaue Daten lieferte. Das kostete Pip einiges an Schlaf. Sie konnte nicht über ihre Frustration und ihre Müdigkeit hinwegtäuschen. Ohne akkuraten Autopiloten wurde es unmöglich, aus der Medallia die maximale Geschwindigkeit herauszuholen. Statt exakter Angaben musste sie sich auf Pi mal Daumen verlassen. Und nun das Ruder. Aber auch das wird sie managen, ich bin mir sicher!
Einige der begnadetsten Techniker gehören zu ihrem IMOCA-Team. Projektleiter Joff Brown ist ein Vendée-Globe-Veteran. Er hat mit Mike Golding, Conrad Humphries, mir und Alex Thomson gearbeitet. Wenn jemand eine Lösung findet, dann er.
Überraschung, da bin ich!
Beim Start und nach den Eindrücken von der Fastnet- und der Jacques-Vabre-Regatta hätte kein Realist die Medallia woanders als im hinteren Feld unter vergleichbar alten Booten gesehen. Alexia Barrier auf TSE 4myplanet dürfte ihre direkte Rivalin sein. Aber schon nach den ersten Tagen hatte Pip Alexia abgehängt und sich an den Spanier Didac Costa auf One Planet One Ocean herangearbeitet.

Im Atlantik lieferten sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Als Pip die günstigen Bedingungen in den südlichen Breiten erkannte, ließ sie die Medallia über die glatte See davonstürmen. Didac Costa blieb zurück und Pip schloss zu Arnaud Bossieres und Alan Roura mit ihren Foil-Booten auf. Wie sich wohl Alan Roura gefühlt hat, als Pip mit seinem ehemaligen Boot an seinem neuen Hightech-Renner vorbeizog?
Kap Hoorn markiert einen neuen Höhepunkt ihrer Seglerkarriere. Aber die restlichen Energien wollen gut eingeteilt werden auf den verbleibenden 7.000 Meilen. Möge sie sicher in Les Sables d’Olonne einlaufen. Wir würden ihr so gerne zujubeln.