September 2020, Golf von Cádiz, spanische Südwestküste: Ein deutsches Ehepaar bricht am Morgen mit dem Katamaran „Marianne“, einer Lagoon 42, in einer Bucht nahe der portugiesischen Hafenstadt Faro auf. Der Kurs liegt auf Gibraltar, das Ziel in Kroatien. Am Mittag bemerkt der Skipper, wie sich ein hochmotorisiertes Rib der Yacht nähert. An Bord: Männer mit Sturmhauben. Das Rib war den Seglern bereits am Morgen aufgefallen, als es das Feld der Ankerlieger inspizierte, offensichtlich auf der Suche nach leichter Beute.
Die „Marianne“ motort gegen eine zwei Meter hohe Welle an, was es den Angreifern erschwert, das Boot zu kapern. Wie der Skipper später mitteilt, habe er mehrmals mit dem Enterhaken das Rib abwehren können. Die „Marianne“ setzt einen Notruf ab, keine zehn Minuten später geht ein Hubschrauber der Küstenwache auf die Angreifer herab, die Richtung afrikanische Küste fliehen.
Zwei bewaffnete Männer stehen im Cockpit
Juli 2019, Bahia Nombre de Dios, Nordküste Panama: Die „Seatramp“, eine Bavaria 46 eines Kölner Seglerpaares ankert in einer Bucht, als der Skipper an Deck ein Geräusch hört. Zwei bewaffnete Männer stehen im Cockpit, bedrohen ihn mit einer Pistole. Weitere vier Männer kommen mit einem Motorboot zu der Yacht. Die Diebe durchwühlen das Schiff über eine Stunde lang, kassieren Bargeld, Computer, Kameras, Festplatten und Wertgegenstände ein. Dann verschwinden sie so schnell, wie sie gekommen sind.

Mai 2019, Insel Morodub, Panama: Es ist 2 Uhr nachts, als Alan Culverwell von einem Geräusch geweckt wird. Der 60-jährige Neuseeländer, der mit seiner Frau und deren beiden Kindern auf Langfahrt ist, klettert ins Cockpit. Laut Medien soll er dort auf drei vermummte Gestalten getroffen sein. Einer der Eindringlinge schießt mit einer Schrotflinte auf den Skipper, er ist sofort tot.
Aufgeschreckt durch den Lärm, stürmt die Frau an Deck und wird mit einer Machete verletzt, die Tochter bekommt einen Schlag auf den Kopf, der elfjährige Sohn bleibt unverletzt. Die Angreifer fliehen. Ihre Beute: ein Außenborder.
Segeln nicht vermiesen
„Wir wollen Ihnen das Segeln nicht vermiesen“, sagt Polizeioberkommissar Jörg Flackus vom Piraterie-Präventionszentrum (PPZ) der Bundespolizei in Neustadt, als er den ersten Online-Workshop für Weltumsegler mit einigen Beispielen von Überfällen auf Yachten beginnt. „Wir wollen Sie sensibilisieren, auf Gefahren aufmerksam machen, die nun einmal da sind, wenn Sie auf Langfahrt gehen. Und Sie bestmöglich schützen.“
Laut dem Jahresbericht 2020 der Behörde ist Piraterie ein Phänomen, das in den letzten Jahren sogar wieder zugenommen hat. Und bei den Überfällen besteht immer das Risiko, dass Menschen verletzt, entführt oder sogar getötet werden.

Um Seeräuber und Freibeuter ranken sich unendliche Mythen. Oft werden sie romantisch verklärt als maritime Robin Hoods. Mit Salzwasser gegerbte Haudegen wie Blackbeard oder Sir Francis Drake füllen Abenteuerromane. Klaus Störtebeker wurde in Hamburg sogar ein Denkmal gesetzt. Die schwarze Fahne mit dem Totenschädel, der Jolly Roger, weht als verspieltes Accessoire in vielen Masten von Seglern. Piraten sind Kult – nicht erst seit dem trotteligen Captain Jack Sparrow in „Fluch der Karibik“.

Es gibt wieder Piratenprozesse
Dass die Realität anders aussieht, ist spätestens seit dem ersten Piratenprozess seit mehreren Jahrhunderten vor einem deutschen Gericht klar. Fast zwei Jahre lief der Mammutprozess am Hamburger Landgericht. Zehn Somalier waren wegen des Überfalls auf einen deutschen Frachter angeklagt. Die Fakten waren eindeutig.
Die „Taipan“ war am 5. April 2010 vor der somalischen Küste entführt worden. Zur Hilfe geeilte niederländische Marinesoldaten konnten das Containerschiff befreien und zehn Somalier an Bord festsetzen. Es wurden schwere Waffen gefunden, eine Panzerfaust, mehrere Kalaschnikows, zwei Pistolen. Die mutmaßlichen Piraten wurden an die deutschen Behörden übergeben. Die sieben Erwachsenen wurden zu sechs bis sieben Jahren Haft verurteilt, die drei Heranwachsenden zu zwei Jahren Jugendstrafe.

Auch heute noch sind Piraten eine große Gefahr für die Schifffahrt. Zwar nicht auf Nord- oder Ostsee, doch Langfahrtsegler sollten sich mit der Problematik vertraut machen, bevor sie die Welt umrunden. Denn nicht nur Handelsschiffe und Tanker stehen auf der Kaperliste der modernen Seeräuber, die statt Säbel nicht selten eine Kalaschnikow im Anschlag haben, sondern auch Yachten und deren Besatzungen.
Privatyachten sind im Visier
Das Piraterie-Präventionszentrum der Bundespolizei gibt es seit 2010. Gegründet wurde sie als Reaktion auf die steigende Zahl von Überfällen auf Handelsschiffe, damals besonders vor Somalia. Das Gründungsjahr markiert auch den Höchststand an Piratenüberfällen. 445 Vorfälle hat man in jenem Jahr weltweit registriert.
Das PPZ dient als Ansprechpartner für alle Kapitäne und Skipper auf den Weltmeeren, ist Ratgeber, Vermittler und Beobachter aus der Ferne. Auch wenn Piraterie in den Medien nicht mehr allgegenwärtig ist, so ist die Problematik dennoch präsent.
Im Visier der Piraten sind längst nicht mehr nur Tanker und Containerschiffe großer Reedereien, sondern auch Yachten von Weltumseglern. Es geht nicht immer um Millionen, um Entführungen und Lösegeldforderungen, manchmal ist es eben nur der Außenborder, der mit zum Teil brachialer Gewalt gegenüber der Crew eingefordert wird. „Die Täter“, sagt Flackus, „sind zunehmend skrupellos.“

Nicht selten handele es sich um Jugendliche, alkoholisiert oder unter Drogen, um Menschen, oft bitterlich verarmt, die nichts zu verlieren haben. „Auch wenn Sie glauben, dass Sie nichts von Wert an Bord haben“, warnt Flackus, „dann sind Sie für die Täter immer noch reich.“ In manchen Gegenden der Welt reiche eine Niroschraube als Anreiz, um kriminell zu werden.
Die Gefährdungslage
Die Gefährdungslage, die die Bundespolizei in ihrem Weltumsegler-Seminar zeichnet, scheint dramatisch. „Die Wahrscheinlichkeit, auf Ihrer Reise eine Entführung zu erleben, ist gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendetwas passiert, ist dagegen groß!“, heißt es bei der Präsentation. Deckt die Statistik diese Einschätzung?