Die ersten anderthalb Jahre an Bord nenne ich gerne meine Probezeit. Ankommen und runterkommen waren die beiden ersten Schritte, der dritte ist nun auch erfolgreich absolviert: das Dranbleiben! Ein paar Wochen auf einem Boot – kein Problem. Abstand vom Alltag, Urlaub auf dem Wasser. Herrlich! Aber was, wenn der Urlaub zum Alltag wird? Werde ich etwas vermissen beim Leben an Bord?

Mit Liebe aus- und aufgerüstet
Neben vielen, sehr vielen bereichernden Personen aus aller Welt habe auch ich mich besser kennengelernt – und natürlich das Boot. Ich habe es nach und nach aus- und aufgerüstet. Eine ‚alte Lady‘ braucht viel Liebe und auch ein paar kosmetische Behandlungen. Ungefähr 20.000 Euro war mir das wert. Von der Solaranlage, Davits und einem neuen Dinghi über neue Sprayhood, Bimini und Polster bis zu neuen Segeln.
Zuletzt kam die „Dilly-Dally“ in der Gegenwart an, mit neuem Kartenplotter, AIS, Funke und einem WLAN-Verstärker für ein besseres Homekino-Vergnügen über den Beamer, von dem ich auch als Segelaussteiger nicht die Finger lassen konnte. Die letzte größere Anschaffung war ein Satz neuer Rettungswesten.

Da in der Live-on-board-Community jeder jedem hilft, verlegte mein britischer Freund Paul die neue Elektrik an Bord, installierte mehrere Ventilatoren für heiße Sommernächte und noch mehr USB-Steckdosen, damit die Smartphones immer geladen sind. Wie sich herausstellte, ist gerade das für Freunde auf Besuch elementar.
Viel günstiger als gedacht
Die wichtigste Frage bei einem Totalausstieg ist natürlich die nach der Kohle. Kann ich mir das überhaupt leisten? Und was kostet das eigentlich? Geht denn Leben an Bord für eine Handvoll Lira? Die Frage ist schwer zu beantworten. Das beginnt bei der Wahl zwischen teurer Marina, günstigem Stadthafen oder der Ankerbucht zum Nulltarif. Restaurant oder selber kochen? Super- oder Wochenmarkt? Maschine oder Segel?

Meine Antwort ist: Es ist günstiger als gedacht. Die Reserven schwinden deutlich langsamer, auch weil es viele Möglichkeiten gibt, als Segelaussteiger die Bordkasse zu schonen. Der Schlüssel zum Sparen ist aber, unnötige Ausgaben zu kicken. Vor allem in der alten Heimat. Das deutsche Handy? Weg! Alle unnötigen Versicherungen? Kündigen! Private Altersvorsorge? Unbedingt behalten! Aber was ist mit der Krankenkasse?
Die größte Ersparnis habe ich Ulrike und Jan, zwei Segelaussteiger aus München, zu verdanken, die diesen Winter im Stadthafen von Kaş verbracht haben. Bislang hatte meine private Krankenversicherung jeden Monat knapp 600 Euro verschlungen. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa dem, was ich im Monat für Lebenshaltungskosten ausgebe.

Durch eine sogenannte „Anwartschaft“ kann ich als Segelaussteiger nun gegen eine kleine Gebühr die Versicherung aussetzen und jederzeit zu den alten Konditionen wieder einsteigen. Stattdessen habe ich eine mehrjährige Langzeit-Reiseversicherung abgeschlossen, wie sie auch Expats nutzen. Damit haben sich die Kosten auf 50 Euro im Monat reduziert. Bei annähernd gleicher Leistung. Selbst Besuche in Deutschland sind bis zu sechs Wochen abgedeckt.
Nicht einen Tag bereut
Meine Probezeit ist damit abgeschlossen. Das Leben an Bord habe ich nicht einen Tag bereut. Die Einschränkungen des kleines Raums empfinde ich als große Bereicherung. Reduzierung als Maximierung. Das Boot ist mittlerweile für längere Passagen gut gerüstet. Und ich bin es auch. Jetzt kann es weitergehen.
Die nächste größere Stadt von Kaş Richtung Westen ist Fethiye, ein Zentrum des türkischen Segelsports und damit auch Heimat von ein paar Bootsausrüstern. Für unseren, für Ende April geplanten Trip nach Israel brauchen wir noch die entsprechenden Gastflaggen. Also brechen wir Anfang März zum Shoppen auf. Wir, das sind Arzum, die mich zusammen mit zwei weiteren Freunden auch nach Israel begleiten wird, Cingene, ein Straßenhund, den Arzum vor vielen Jahren in ihre Obhut nahm – und ich.
Zur Shoppingtour auf eigenem Kiel
Die Bedingungen können besser nicht sein. Von den 180 Seemeilen segeln wir das meiste. Entspannte Raumschotkurse entlang endlos erscheinender Strände im Vordergrund und majestätischen, 3.000 Meter hohen Bergen im Hintergrund.
Kreuzen bei sechs Windstärken mit voller Segelfläche. Die schwere Moody langweilt das. Und selbst die Promenadenmischung fühlt sich pudelwohl an Bord. Der Hund genießt die Gassirunden in einsamen Buchten und die Shoppingtour mit den Bordfahrrädern durch das quirlige Fethiye.

Wer die Türkei von ihrer schönsten und ursprünglichsten Seite kennenlernen will, sollte hier im März segeln. Man ist nicht nur auf dem Wasser fast alleine. Auch die Stadthäfen, in denen sich im Sommer die Ausflugsboote quetschen, sind leer.
Der Plan war eh, keinen Plan zu haben
In Kalkan sind wir neben den Nussschalen der Fischer das einzige Boot. Nicht einmal der Hafenmeister taucht auf. Dafür hilft uns ein Fischer, der sein Boot an Land überholt, versorgt uns mit Strom und Wasser. Kostenlos.
Einen kleinen Wermutstropfen gab es dann doch. Kaum hatten wir die Gastflaggen für Zypern, Nordzypern und Israel gekauft, ereilte uns eine unerwartete Nachricht. Israel verbietet Deutschen und Menschen einiger anderer Nationen derzeit die Einreise – wegen des Coronavirus. Die Planungen laufen trotzdem weiter.

Wer weiß heute schon, wie sich die Lage morgen entwickelt? Auch das lernt man, wenn man auf dem Wasser lebt. Gelassenheit! Und wenn wir Israel nicht anlaufen dürfen, dann geht es eben irgendwo anders hin. Der Plan war ja eh, keinen Plan zu haben.
Jens Brambusch berichtet im Detail von seinem Leben als Segelaussteiger unter dem Stichwort Brambusch macht blau.