Endlich wieder festen Boden unter den Füßen! Nach sechs Monaten auf See hat die High Seas High School Kiel erreicht. Die Brigg Roald Amundsen schließt heute mit 27 Schülern aus ganz Deutschland einen halbjährigen Transatlantik-Törn glücklich ab – allen Corona-Widrigkeiten zum Trotz!
Die weltweite COVID19-Isolierung hat auch diesem Projekt zuletzt einige Hindernisse in Form geschlossener Häfen und Einreiseverbote vor den Bug gelegt – doch dank eines emsigen Organisationsteams an Land ging alles gut aus. „Das Telefon ist heiß gelaufen“, fasst Christoph, HSHS-Organisator, die Hektik der vergangenen Tage zusammen.
Seit 30 Jahren Schule auf See
Bei ihm laufen alle Strippen zusammen: Anfragen von Eltern, wo die jungen Kadetten gerade kreuzen, Koordination mit den Behörden, Verknüpfung zwischen Schiff und den Stationen an Land. Seit fast 30 Jahren bietet die HSHS diese ungewöhnlichen Schul-Exkursionen – die erste ihrer Art.
Inzwischen gibt es zwei weitere deutsche Schulsegler, doch das Original wurde 1990 auf der Nordseeinsel Spiekeroog geboren: im Hermann-Lietz-Internat. Segeln lernen die Schüler dort seit den 1920er-Jahren. „Es entspricht dem pädagogischen Konzept der Schule: direkt an den Dingen zu lernen, die man erlebt“, sagt Christoph.
Perfekt wird das Lernkonzept, wenn man ablegen, Segel setzen und in die Welt hinausfahren kann: das segelnde Klassenzimmer. Mittelamerika war schon in den 1990er-Jahren eins der Ziele. So erleben die Schüler das Problem des Dreieckshandels, der zu Sklaverei, Armut und wirtschaftlichen Abhängigkeiten führte, die bis heute andauern, durch eigene Anschauung.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz
Unterrichtsthemen sind Nachhaltigkeit, Umweltschutz, fairer Handel – und nebenbei die Kooperation und Koexistenz in einer Gruppe und vergleichsweise schwierigen Bedingungen: Enge an Bord, Heimweh, Seegang, regelmäßige Arbeit auf Deck und in der Kombüse, das sind für alle ganz neue Herausforderungen. „Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern zu zeigen: In euch steckt mehr, als ihr denkt.“
Dazu übernimmt die Klasse im Laufe der Reise schließlich sogar selbst das Kommando an Bord: Wenn der Bug wieder gen Osten gerichtet wird, besetzt eine Schüler-Crew das Steuer, die Maschine und den Ausguck. Um den Posten des Kapitäns drängelt sich übrigens keiner…
Verträumte Teenager, die nur sich und ihr Handy im Kopf haben, werden innerhalb weniger Tage zu verantwortungsbewussten Seeleuten. Wirklich? „Die Gemeinschaft wächst mit der Zeit immer stärker zusammen,“ sagt Christoph, der selbst schon mehrmals mitgesegelt ist.
Um Konflikte an Bord zu vermeiden, werden viele Vorgespräche geführt: Auf jeden Platz kommen zwei Bewerber, es kann also ausgesiebt werden. Kommt es zu fortgesetzten Problemen während der Reise, hilft die Schülerversammlung und eine Eintragung ins Bordbuch.
Häusliche Ordnung wird gerügt
„Dieses Mal hatten wir nur Beschwerden über die häusliche Ordnung in den Kammern“, sagt Christoph. Und wer sich an Bord profiliert auf Kosten anderer, muss das Schiff verlassen. Auch auf dieser Reise mussten zwei Besatzungsmitglieder vorzeitig von Bord gehen, die Gründe sind nicht öffentlich.
Und was das Handy angeht: Auch hier wandelt sich die Einstellung während der Reise. Schon allein deswegen, weil die Schüler an Bord ihre Geräte abgeben müssen und auch an Land erst nach einigen Tagen ausgehändigt werden. „Wir wollen, dass die Jugendlichen die Nutzung der Handys kritisch hinterfragen lernen.“
Teilbarkeit von Erlebnissen
Jeder kennt diese Situation: Man befindet sich auf Reisen an einem exotischen Ort, und alle starren auf ihr Smartphone. Oder man denkt nur darüber nach, wo man das nächste Selfie zum Teilen produzieren kann. Christoph: „Ein Erlebnis wird bewertet auf seine Teilbarkeit – während der Reise wächst die Distanz, das Bedürfnis zur Kommunikation mit dem Freundeskreis daheim lässt nach.“
Die eigentliche Aufgabe der Gemeinschaft: Alle mitnehmen und bereitstehen, wenn ein Problem auftritt – seien es Heimweh oder Konflikte. Dazu trägt der Personalschlüssel bei: Auf maximal 30 Schüler kommen vier Lehrer und ein Dutzend erwachsene Besatzungsmitglieder. Und die zwangsläufig menschliche Nähe auf 50 Metern Schiff. Christoph: „Seien Sie sicher: In dieser Bordgemeinschaft bleibt nichts geheim.“
Und wie ergeht es den Pädagogen an Bord? Wir sprachen dazu die 29-jährige Spanisch- und Geschichtslehrerin Luisa direkt von Bord der High Seas High School.