Auf dem offenem Meer leuchten die Sterne so hell, wie ich es selten zuvor erlebt habe. Es ist Neumond, und lediglich ein in der Ferne blinkender Leuchtturm sorgt für etwas Lichtverschmutzung in der nächtlichen Dunkelheit. Ich halte auf der Brigg „Roald Amundsen“ Wache, zusammen mit 14 anderen Frauen, während der Rest der Besatzung schläft. In den vier Stunden unserer Schicht tragen wir die Verantwortung für den 50 Meter langen Zweimaster.
Plötzlich ziehen am Horizont Wolken auf. Der Himmel flackert. Es blitzt, aber ohne Donner. „Das ist Wetterleuchten“, erklärt Kapitänin Kapitänin Cornelia Rothkegel. Wenn sich Gewitterzellen entladen, entstehen Fallwinde, die sich sternförmig über die Ostsee ausbreiten. Durch die Winddreher müssen wir ständig die Segel neu ausrichten, um auf Kurs zu bleiben.
Dafür ziehe ich mit meinem ganzen Körpergewicht an der Schot. Meine Handflächen fühlen sich mit jedem Mal wunder an. In den kurzen Pausen bis zur nächsten Böe sind alle ganz still und bestaunen den Nachthimmel. Ich sehe drei Sternschnuppen, aber immer, wenn ich mir etwas wünschen will, heißt es wieder: „An die Brassen!“
Um Mitternacht ist Schichtwechsel, ich bin so müde, als hätte ich die Nacht durchgemacht. Erschöpft klettere ich in meine Koje und schlafe sofort ein. Zweimal wache ich auf: vom Wellengang, der so stark ist, dass ich mir den Kopf an der Bettkante stoße. Und von Lisas Stimme: „Guten Morgen, Jessi, es ist halb acht, deine Schicht beginnt gleich.“
Ein Leben nach dem Rhythmus der See und dem Dreischichtsystem an Bord: Vier Tage lang segele ich so mit 47 anderen Frauen auf der Ostsee von Rostock nach Sassnitz. Bei diesem Törn des Vereins LebenLernen auf Segelschiffen e.V. sind keine Männer mit an Bord, auch wenn das Schiff sonst meist mit einer gemischten Crew in See sticht.
Bunt gemischt, erfahren oder Rookie
Conni, die Berufskapitänin, die 2003 als Trainee auf der „Roald Amundsen“ ihre Leidenschaft zum Segeln entdeckt hat, sagt: „Ich bekomme nach so einem Frauentörn immer die Rückmeldung, dass die Frauen sich besonders viel getraut haben.“ Sie würden eben oft anders an Aufgaben herangehen. „Frage ich in einer gemischten Runde, wer etwas übernimmt, melden sich Männer meist direkt, fragen dann erst, was die Aufgabe genau beinhaltet, und machen erst einmal. Frauen hingegen überlegen erst, ob sie der Aufgabe gewachsen sind, und denken, sie müssten alles bereits können, bevor sie es übernehmen.“
Wir sind eine bunt gemischte Truppe aus Deutschland, der Schweiz, Schweden und Norwegen. Alle Altersgruppen sind vertreten, von 14 Jahren bis Ende 60. Manche sind schon erfahrener, andere, so wie ich, segeln das allererste Mal. Auffällig viele meiner Mitseglerinnen arbeiten in klassischen Büro-Jobs als Architektin, Anwältin, Übersetzerin, Pädagogin. An Bord spielt das keine Rolle, hier sind wir alle Matrosinnen, die von der Stammcrew angeleitet werden. „Toppsgasten“ heißen die Frauen, die einer Wachgruppe vorstehen, für meine ist Sandra zuständig.
Bevor wir in See stechen, erklärt uns Sandra im Schnelldurchlauf, was wir wissen müssen. Da wären also die zwei hohen Masten und der Klüverbaum. Gecheckt. Jetzt wird es kompliziert, denn um die Segel in Bewegung zu setzen, muss man alle 130 Leinen richtig zuordnen können.
Ich finde die seemännischen Bezeichnungen verwirrend. „Seht ihr die Toppnanten?“, fragt Sandra, während wir ihr wie Schafe über Deck nachlaufen. „Ähm, wohin sollen wir gucken?“, flüstert Liz. „Habe ich mich auch gefragt“, antworten Marie und ich im Chor.
Zuhören und einfach machen
Schon jetzt merke ich, dass dieses Abenteuer wie ein Brennglas auf meine Schwachpunkte wirken wird: Ich bin ungeduldig und kann schlecht akzeptieren, etwas nicht sofort zu verstehen. Dabei muss ich das gar nicht bis ins Detail, auf diesem Törn werden keine Vorkenntnisse erwartet.
Wichtig ist vor allem Neugierde, man muss nur zuhören und dann einfach machen. „Entspannt euch!“, hören wir daher immer wieder von den erfahreneren Seglerinnen.