Das „Niemandsland“ liegt am Ende einer schmalen Bucht auf einer der vielen Inseln im Golf von Fethiye. Seit sechs Wochen harrt Sebastian Kummer in der Türkei aus, ohne eigentlich dort sein zu dürfen. Aus Griechenland wurde er mit vorgehaltener Maschinenpistole von der Küstenwache vertrieben, in der Türkei darf er nicht ankommen. Alle Mittelmeeranrainer haben wegen Corona die Grenzen dicht gemacht. Göcek, eine kleine Stadt an der Südküste, das Ziel von Kummers Überführungstörn, liegt nur drei Seemeilen entfernt – und doch ist es für ihn unerreichbar.
Kummer ist ein Outlaw. Streng genommen ein illegal Eingereister, auch wenn er nie einen Fuß auf türkischen Boden gesetzt hat. Aber er liegt in türkischen Hoheitsgewässern, schutzsuchend vor Wind und Wetter. Der Deutsche mit Wohnsitz in Wien lebt zwischen den Grenzen, allein auf einem Katamaran, den er werftneu im Februar an der französischen Atlantikküste übernahm, um ihn zu einer Charterbasis in der Türkei zu überführen. Auf Mallorca verließ ihn die Crew. Seitdem ist er allein an Bord. Mit sich. Der Ungewissheit. Und einer Tiefkühltruhe gefüllt mit gefangenem Fisch.

Der Wirtschaftsprofessor aus Wien fühlt sich wie ein Pirat – und sieht mittlerweile auch so aus. Der Bart ist struppig, die schlohweißen Haare reichen bis auf seine Schultern, seine Haut ist braungebrannt und gegerbt von Salzwasser. Nur das Mürrische bekommt er nicht hin. Dafür lacht der 57-Jährige einfach zu viel.
Die schönste Quarantäne, die man sich vorstellen kann
Auf der Lagoon 46 „Blu“ ist jeder Tag wie der andere. Kummer arbeitet am Laptop, schwimmt im mittlerweile warmen Mittelmeer, treibt Sport, lebt gesund. Er hat beschlossen, die Zeit als Geschenk anzunehmen. Den Corona-Lockdown erlebt er dort, wo andere sonst Urlaub machen. Für Kummer ist es die schönste Quarantäne, die er sich vorstellen kann, während die Welt an Land immer verrückter wird. Trotzdem ist er vorsichtig. Jede Nacht schließt er sorgsam von innen ab, neben seinem Bett liegt griffbereit das Handfunkgerät, eingestellt auf den Notrufkanal 16. Kummer weiß, dass die Türkei als eines der sichersten Segelgebiete gilt, aber sicher ist sicher.
Immer wieder schöpft der Segler Hoffnung, bald in der Türkei einchecken zu können, um die Lagoon abzuliefern und einen anderen Katamaran nach Kroatien überstellen zu können. Immer wieder wird er enttäuscht. Die vielen Gespräche, die im Hintergrund laufen, scheitern immer in letzter Minute. Es ist zum Verzweifeln.
Kummer weiß, dass die Küstenwache von ihm weiß. Von türkischen Freunden erfährt er, dass er geduldet wird. Sie versorgen ihn mit Gemüse und Früchten, in kleinen Boote bringen sie Wasser und Gas. Auch die Einwohner der Insel und die Fischer sind freundlich zu dem Einsiedler auf seinem Boot, bieten Hilfe an. Kummer fehlt es an nichts. Er weiß aber auch, dass in diesen verrückten Zeiten fast täglich neue Corona-Anordnungen getroffen werden. Das, was heute gilt, kann morgen schon obsolet sein. Wenn er heute geduldet wird, muss das noch lange nicht für morgen gelten.
Auch weiß Kummer, dass er ein Präzedenzfall ist. Wenn er in der Türkei trotz Einreiseverbots einchecken darf, dann wollen das auch andere. Kummer ist mittlerweile so etwas wie ein Medienstar. Zeitungen, Magazine und Fernsehsender berichten über den gestrandeten Professor. Die Medienberichte haben geholfen, Aufmerksamkeit zu schaffen und damit Druck aufzubauen, um eine Lösung zu finden“, sagt Kummer.
Ein Anruf in der Redaktion
Ab dem 17. April, ein Ende des Lockdowns ist nicht abzusehen, bittet Kummer türkische und österreichische Freunde ihm zu helfen. Auch informiert er die deutsche Botschaft in Ankara. Nach einem Interview mit float meldet sich der in Wien lebende Türke Zaman Denli, der Kummer helfen will. Kummer ist zwar skeptisch, aber er hat beschlossen, alle Möglichkeiten zu nutzen.