Dann zieht die Besatzung des Tankers die Wilson Street an ihre Seite. Erst jetzt bemerken die Segler den enormen Schwell. Ihr Boot ratscht und schabt bei jeder Bewegung vier Meter an der Bordwand entlang. Das GFK zerreibt sich an dem roten Stahl. Corrie hört ein Krachen und Knacken, als wenn die Bordwand der Wilson Street bricht.
Eine Leiter in die Sicherheit

Und dann plötzlich schrammt das Segelboot an der Seite des Tankers entlang Richtung Heck, wo Corrie die riesige Schraube sieht, die das Wasser zum Kochen bringt. „Oh Gott, wir werden zu Hackfleisch verarbeitet“, schießt es ihm durch den Kopf. Doch dann endlich hat die Tanker-Crew die Yacht gesichert. Kurz vor dem Heck des Tankers verharrt die Yacht, eine Strickleiter fällt herab. Oben, an der Reling des Tankers, stehen gut ein Dutzend Filipinos in Overalls und mit Helmen und deuten den Seglern an, über die Leiter an Bord zu klettern. Eine Sicherheitsleine gibt es nicht.
Jennifer hat in Windeseile die wichtigsten Dokumente, Ausweise und Bootspapiere in zwei wasserdichten Rucksäcken verstaut, dazu ihren Verlobungsring, ein Handy, Geld – sowie ein Kleid und Fotos von ihren Kindern. In einen großen Müllsack hat sie zudem zwei Segeljacken gestopft. Und zwei Kaffeetassen. Warum, das weiß sie bis heute nicht. „Ich habe einfach alles eingepackt, was ich greifen konnte“, sagt sie. Als sie an Deck erscheint und Corrie eine der wasserfesten Taschen reicht, stürmt auch der noch einmal unter Deck. „Ich wollte eben auch etwas mitnehmen“, lacht Corrie. „Aber ich wusste nicht was. Also habe ich den Handkompass genommen, der in der Navigationsecke hing.“
Der schwierigste Teil der Rettung steht noch bevor. Die beiden Segler müssen irgendwie auf die Leiter kommen. Nur wie? Die Yacht geht auf und ab, donnert gegen den Tanker, dann ist sie mal wieder drei Meter entfernt. Die beiden wissen: Sie müssen auf die Leiter springen, wenn das Boot auf einem Wellenkamm ist, sonst könnte die tanzende Wilson Street sie an der Stahlwand zerdrücken. Jennifers erster Versuch scheitert. Sie rutscht an der nassen Leiter ab, prellt sich den Fuß. Kurz glaubt sie, sie hätte sich die Zehen gebrochen. Ihre Sohlen sind immer noch glitschig von dem Diesel.

Der zweite Versuch klappt. Stufe für Stufe zieht sie sich empor. Corrie hechtet ihr hinterher, schützt Jennifers Beine mit seinen Armen, mit denen er die Leiter umklammert. Den Müllsack mit ihren Jacken und dem Kompass lassen sie im Cockpit. Keine Chance, ihn mit auf die Leiter zu nehmen. Auf halbem Weg hat Corrie eine Bitte. In ruhigem Ton sagt er zu Jennifer. „Könntest du etwas schneller klettern, bitte! Es ist nicht sehr gemütlich hier.“ Jennifer amüsiert sich heute: „Er hat wirklich ganz nett gefragt und bitte gesagt!“
Über 80 Knoten in Böen
Als die beiden die Reling erreicht haben, werden sie von der Crew an Deck gehievt. Sofort klettern zwei Crewmitglieder hinab, lösen die Bergungsleinen an Bord. „Sollen wir noch etwas mitbringen“, fragen sie höflich. Jennifer deutet auf den Müllbeutel im Cockpit. Dann werden die Schiffbrüchigen auf die Brücke gebeten, wo sich Jennifer als erstes für ihren Gestank entschuldigt. Die „Wilson Street“ treibt aus dem Windschatten des Tankers und wird vom Orkan mitgerissen.

Erst jetzt realisieren die beiden, in welcher Gefahr sie geschwebt haben. Sie sehen den Wetterbericht und die Windanzeige, die mittlerweile über 80 Knoten in den Böen anzeigt: weit mehr als Windstärke zwölf. Trotzdem fragen sie sich, ob sie das Boot, ihr Zuhause, zu früh aufgegeben haben. Der Kapitän des Tankers verneint. Nur mit sehr viel Glück hätten sie den Orkan überleben können. Es ist zwölf Uhr mittags, noch vor drei Stunden saßen sie gut gelaunt beim Frühstück unter Deck.
Der Kapitän stellt den beiden die Eignerkabine zur Verfügung, lässt ihnen trockene Bekleidung bringen. Jennifer und Corrie tragen jetzt Shirts mit dem Namen des Tankers, die einzigen unbenutzten Hosen, die an Bord sind, gehören dem stattlichen Koch. Corrie und Jennifer versinken in den schwarzweiß karierten Beinkleidern. Es ist alles, was sie haben. Sie fühlen sich wie Clowns.
Zurück nach Istanbul
Nach einer warmen Dusche sollen die beiden wieder auf der Brücke erscheinen. Der General Manager der maltesischen Reederei will Kontakt zu ihnen aufnehmen. Die Team Osprey kämpft sich derweil durch den Orkan. Die Wellen überspülen das Deck, die Gischt spritzt bis zur Brücke. In den Gängen ist es kaum möglich, sich auf den Beinen zu halten. Selbst der Stahlkoloss ähnelt einer Schiffsschaukel auf dem Rummel. Der Tanker schafft in dem Sturm gerade mal 4,7 Knoten Fahrt. Normal sind 15.