Willy Krüß, der Leuchtturmwärter von Helgoland, blickt angestrengt nach Norden. Draußen ist es stockfinster. Der Wind heult gespenstisch um den 35 Meter hohen Betonturm, ein Überbleibsel des Krieges. Der Regen prasselt ohrenbetäubend laut gegen die Fenster. Da draußen vor der Insel, da war doch ein Licht?
Es ist einer der stärksten Stürme, die er bisher erlebt hat: Auf den Nordseeinseln werden an jenem 23. Februar 1967 Windgeschwindigkeiten von 149,4 km/h gemessen – das ist weit jenseits der Beaufort-Skala. Würde sie diese Gewalt abbilden, sie hieße Windstärke 14 oder 15. Krüß lässt von einem Kollegen das Fenster öffnen, um bessere Sicht zu haben.
Der Mann muss mit aller Kraft gegenhalten, so heftig drückt der Wind es zu. Im Fernglas glaubt der Leuchtturmwärter durch Regenschlieren eine weiße und eine grüne Positionslaterne und einen Suchscheinwerfer zu erkennen. Ein Blinken nur. Dann ist alles wieder dunkel.

War das die „Adolph Bermpohl“? Als Hinnerk Pick tags darauf aus dem Südhafen ausläuft, plagen ihn düstere Gedanken. Er steuert den Inselversorger „Atlantis“ und weiß, dass der Seenotkreuzer längst im Hafen sein wollte. Seit mehr als zwölf Stunden ist das Schiff überfällig.
Aber sie ist doch das modernste Schiff der Gesellschaft, und die Crew ist sehr erfahren – Hinnerk Pick kennt alle vier von der Bermpohl, er hat oft genug mit ihnen zusammengesessen und geklönt. Wir haben mit ihm gesprochen, 55 Jahre nach den verhängnisvollen Ereignissen.
„Wir hatten damals ja schon einen kleinen Fernseher im Salon – die Jungs kamen abends oft rüber, wenn wir eingelaufen waren.“ Es waren ja nur 30 Meter von der Kaje gegenüber. Jeder auf der Insel kennt die Jungs. Paul Denker, der Vormann, und sein Stellvertreter Hans-Jürgen Kratschke sind auf Helgoland aufgewachsen. Es ist klar, dass etwas passiert sein muss.
Hubschrauber und Schiffe sind unterwegs, durchstreifen das Umfeld der Insel. Während Pick durch die noch immer raue See steuert, macht er am Horizont ein Schiff aus.
An Deck rührt sich nichts
„Halt’ drauf zu“, sagt der Kapitän zu ihm. Es ist die Bermpohl, aber wie sieht sie aus: Funkmast abgeknickt, Scheiben teilweise eingeschlagen, Aufbauten verbeult. Sie schießen mit der Signalpistole über das Schiff. „Da rührte sich nix“, erinnert sich Pick im Gespräch mit float. Die See ist noch zu wild, um längsseits zu gehen oder gar das Deck der Adolph Bermpohl zu entern. Pick meldet den Fund, dann fährt er weiter in seinen Heimathafen Cuxhaven.

„Später dann, als sie die Adolph Bermpohl nach Cuxhaven geschleppt haben, und als sie da lag, war ich nicht in der Lage, auf das Schiff zu gehen.“ Pick trägt sich auch einige Zeit mit dem Gedanken, die Seefahrt ganz sein zu lassen. Zu heftig ist die Nachricht vom Tod der Seenotretter.
Doch nicht nur sie hat die Nordsee verschlungen: Auch drei holländische Fischer, die sie retten wollten, sind in dieser Nacht ertrunken. Hinnerk Pick entscheidet sich später anders – im Gegenteil: Er wird selbst Seenotretter, erst mit 75 zieht er sich vom aktiven Dienst zurück.
Als der Mann 24 Stunden vor dem Auffinden des Seenotkreuzers von Cuxhaven ablegt, ist noch alles wie früher. Übers Wetter spricht man nicht. Trotz seiner 26 Jahre ist Pick bereits ein erfahrener Seemann. Gelernt hat er ab 16 auf dem Segelschulschiff „Deutschland“, später ist er bei der HAPAG auf großer Fahrt. Der Törn im Februar beginnt als ganz gewöhnliche Helgoland-Passage.

Vor Elbe 2 brist es auf
„Erst beim Feuerschiff Elbe 2, nach etwa ein Drittel der Strecke, briste das so enorm auf.“ Der Orkan brachte den Fahrplan der Atlantis gehörig durcheinander. „Wir mussten gegenan – was sonst zweieinhalb Stunden waren, brauchte mehr als sechs Stunden.“ Pick staunt noch heute über das Wetter damals. „Ich hab’ ja vieles erlebt, aber das war krass.“ Insgesamt gehen an diesem Tag sechs Schiffe verloren, mindestens 44 Seeleute kommen um.

Vor Helgoland wird die Reise der Atlantis zur Achterbahnfahrt. „Das Wasser war knallrot aufgewühlt“, erinnert sich Pick. Rund um die Insel verläuft der Festlandssockel mit viel felsigem Grund, wie die Insel selbst aus rotem Sandstein. Sie haben nur einen Versuch, in den Hafen zu kommen. Mit einer gewaltigen Welle lassen sie sich vor die Einfahrt treiben, dann gibt der Kapitän volle Kraft. Geschafft! An Bord der Atlantis sind zwei „Ablöser“, die auf dem Seenotkreuzer die Schicht übernehmen sollen. Aber der ist nicht da …
Denn die Bermpohl hat kurz darauf im Seegebiet nördlich von Helgoland den holländischen Fischkutter „Burgemeester van Kampen“ erreicht, der SOS wegen Wassereinbruch meldete. Mit Glück kann seine Besatzung vom Tochterboot des Rettungskreuzers abgeholt werden. Zurück an Bord des Mutterschiffs geht es nicht. Die drei Holländer bleiben bei Kratschke im Tochterboot. Das hat nur ein winziges Steuerhaus, die Geretteten müssen auf Deck ausharren. „Paul hat früher mal gesagt, er werde nie das Boot reinziehen bei einem solchen Wetter“, erinnert sich Hinnerk Pick noch heute.
Rückfahrt mit zwei Booten
Die Crew der Bermpohl entscheidet also, mit zwei Booten den Rückmarsch anzutreten. Und sie entscheiden sich, die Nordeinfahrt nach Helgoland zu nehmen. Die kennen alle Seeleute hier als sehr gefährlich.