Wir sind auf dem Wasser alle gut ausgerüstet. Alle, besonders die Kinder, haben geprüfte Schwimmwesten in der richtigen Größe, tragen sie an Bord und haben sie schon in einer praktischen Übung ausprobiert. Alle wissen, was zu tun ist im Notfall. Oder vielleicht doch nicht?
Die Erfahrung zeigt, dass zwar viele Familien, die auf dem Wasser unterwegs sind – sei es im Segel- oder Motorboot – glauben, gut gerüstet zu sein. Tatsächlich aber nicht ausreichend gesichert sind. Die Westen sind nicht zertifiziert, das Prüfdatum ist abgelaufen, sie sind zu groß oder zu klein – und meistens liegen sie sowieso nur im Schapp.
Letztes Jahr haben wir auf float das Thema „Familie sicher an Bord“ schon einmal behandelt. Tanja Gerlach – Journalistin, Seglerin und Mutter von sechs Kindern – beschrieb, wie gut ihre Sicherheitsvorkehrungen an Bord ihres eigenen Schiffes sind. Alle sechs Kinder tragen Rettungswesten, sobald sie an Deck sind, sind eingepickt und achten auf die Kommandos des Skippers. Es gibt auch eine Rettungsinsel an Bord. Gute Sache.

Experiment mit offenem Ausgang
Aber es blieb die Frage: Was ist, wenn wirklich etwas passiert? Jemand geht über Bord oder die gesamte Crew muss das Schiff verlassen. Funktionieren die Rettungsmittel? Und, noch wichtiger: Können alle sie bedienen? Weiß jeder, was im Notfall zu tun ist? Um das herauszufinden, haben wir Familie Gerlach eingeladen an einem Sicherheitstraining teilzunehmen. Und sie haben zugesagt.
Wir haben bei Offtec angefragt, deren Maritimes Trainings-Centrum nahe Flensburg weltweit zu den modernsten seiner Art zählt, um dort in sicherer Umgebung den Notfall auf dem Wasser zu simulieren. In der Halle in Enge-Sande trainieren unter anderem die Bundeswehr und die deutschen Seenotretter. Gemeinsam haben wir über mehrere Monate das Sicherheitstraining für unsere achtköpfige Familie vorbereitet, damit alles bedacht ist, wenn sechs Kinder im Alter von zwei bis zwölf Jahren das Training absolvieren.
Wir bekamen außerdem Unterstützung vom Deutschen Hochseesportverband HANSA e. V. (DHH), der gemeinsam mit Offtec Sicherheitstrainings für Segler und Seglerinnen anbietet. Aber noch nie zuvor hat in dieser Halle eine Familie gemeinsam den Notfall geprobt. Es war eine Premiere und ein Experiment mit offenem Ausgang.
Hier ist das float-Video zum Beitrag:
Der Ablauf
Es ist Samstagmorgen um acht. Das Familiensicherheitstraining startet mit einer theoretischen Einweisung in die Sicherheitsmittel – auf dem Trockenen bei Kaffee und Saft. Dann geht es ins Maritime Trainingszentrum, wo die Mannschaft von Offtec uns schon erwartet. Nach dem Kennenlernen der Trainingscrew und der Halle lernen wir das richtige Anlegen der Rettungswesten. Und dann kommt schon der Sprung ins kalte Wasser, das für die Kinder jetzt extra ein bisschen wärmer ist als sonst. Im Wasser warten bereits die Rettungsschwimmer, die während der gesamten Übung dicht bei den Kindern bleiben.
Die erste Übung besteht darin, im Wasser schnell zusammenzukommen und eine Gruppe zu bilden. Das ist wichtig auf dem offenen Meer, um einander nicht bei Wind und Welle zu verlieren. Ist das geschafft, muss die Gruppe sich fortbewegen – und zwar zusammen. Das geht am besten als Schlange. Gar nicht so einfach, stellen alle fest.

Und jetzt Wellengang
Nach der Mittagspause tauschen wir die Feststoffwesten gegen Automatikwesten. Alle Westen, die zum Einsatz kommen, hat uns der Hersteller Secumar für das Sicherheitstraining zur Verfügung gestellt. Der Sprung ins Wasser ist nun deutlich aufregender. Für alle ist das automatische Aufblasen der Westen noch ungewohnt, und auch die Bewegungsfreiheit mit den Automatikwesten ist geringer, weil sie mehr Auftrieb geben. Zusätzlich kommt jetzt noch Wellengang hinzu. Das macht das Gruppe-Bilden und auch das Schwimmen als Schlange deutlich schwieriger.


Als letzte Übung steht die Rettungsinsel an. Familie Gerlach hat dafür extra ihre eigene Insel mitgebracht, die hier zum ersten Mal mit Wasser in Berührung kommt. Alle schauen gespannt, wie die große Schwimminsel sich im Wasser aufbläst. Und dann kommt das Kommando, dass die Familie vorher festgelegt hatte: Alle Mann von Bord! Und wieder springen alle ins Wasser.
Nun geht es darum, schnell in die Rettungsinsel zu kommen. Das ist der schwierigste Teil, und das merkt jetzt auch unsere Familie. Als alle sicher in der Insel sitzen, simuliert die Offtec-Crew die heftigsten Bedingungen, die bei einem Notfall auf See herrschen können: Dunkelheit, Nebel und hohe Wellen. Dann kommt die Rettung aus der Luft – mit einem Rettungskorb. Das Licht geht an, und der Spuk ist vorüber. Es war ja nur eine Übung.
Das Feedback
Alle Teilnehmer sind überrascht, wie gut das Training, funktioniert hat. Die Kinder haben wunderbar mitgemacht. Die Familie hat toll zusammengearbeitet, alles lief sehr entspannt und konzentriert ab. Wir alle sind sehr zufrieden und sogar ein bisschen gerührt.
Tanja Gerlach: Ich habe gelernt, dass es am besten ist, dafür zu sorgen, dass es nie passiert. Aber wenn etwas passiert, sollte man den Notfall trainiert haben. Man sollte einen festen Ablauf besprochen haben. Wer hilft wem, und wer ist an welcher Position? Die strikte Einhaltung der Regeln ist dann überlebenswichtig.


Jan Gerlach: In all den Jahren, die ich schon segeln gehe, war ich noch nie mit einer Automatikweste im Wasser. Ich kann jedem nur dazu raten: Zu erfahren, worauf man achten muss, auf wen man sich mehr verlassen kann, auf wen man mehr achten muss. Das sieht man erst, wenn man es übt. Wir haben gemerkt, dass es mit den Automatikwesten bei Seegang prompt viel schwerer ist, als bei glatter See und plüschigen Bedingungen.
Peter Herdan, Sicherheitstrainer des DHH: Großes Lob und Anerkennung! Ihr habt das toll gemacht. Ihr habt jetzt einen kleinen Einblick bekommen in die Sicherheitsmittel. Kauft geprüfte Sicherheit und probiert sie wirklich aus. Und unterschätzt eure Kinder nicht, sie lernen sehr schnell. Zeigt es ihnen und übt. Seid auf den Notfall vorbereitet, dann dominiert nicht er euch, sondern ihr ihn.
Thorsten Daniel, Trainer Offtec: Ich dachte zuerst: Ob das wohl etwas wird? Ich habe lange nicht so viel erwartet wie das, was ich heute gesehen habe. Ich bin bass erstaunt darüber, was ihr durchgezogen habt. Von den Kindern, von den Eltern, den Großeltern, dabei sein, zu improvisieren, und das hat super funktioniert.
Olivier Christen, Secumar: Ihr seid ein Super-Beispiel dafür, dass man mit Kindern aufs Wasser gehen kann, wenn man es durchgespielt und geübt hat. Es hat großartig funktioniert. Auch das beste Sicherheitsmittel ist nie absolut sicher. Man muss aufpassen, dass der Notfall nicht eintritt. Strecktaue benutzen – und sich, aber vor allem die Kinder immer einpicken. Investiert in die Sicherheitsmittel und auch in die Ausbildung, um sie anwenden zu können.
Leo, 9 Jahre: Besonders intensiv war es, bei 2,30 Meter Welle, Sturm und Nebel in der Rettungsinsel zu sein. Richtig Angst hatte ich eigentlich nicht, aber ich hatte Respekt. Ich war ja bei meinen Eltern. Schwer fand ich die Raupe: Da bin ich nicht so gut klar gekommen und habe gemerkt, dass man das üben muss

Greta, 4 Jahre: Ich hatte keine Angst, weil ja alle waren da.
Juno, 7 Jahre: In der Rettungsinsel hat das so richtig cool geschaukelt. Am Anfang hatte ich vor den aufblasbaren Westen Angst, aber jetzt fürchte ich mich nicht mehr, mit der Weste im Wasser zu sein. Jetzt weiß ich, dass es gar nicht so schlimm ist.
Justus, 11 Jahre: Am Anfang hatte ich ein bisschen Angst, mit der Automatikweste ins Wasser zu springen, aber dann war es gar nicht schlimm. Alle erzählen, dass das richtig laut knallt. In der Rettungsinsel war mir ein bisschen übel. Dann habe ich gut geatmet, dann ging’s wieder. Und ich bin vom 10-Meter-Turm gesprungen, das war echt cool.
Selbst sicher werden
Das Sicherheitstraining mit Familie Gerlach war ein singuläre Übung von Offtec, dem DHH und float – und wird in dieser Form nicht angeboten.

Das Sicherheitstraining für Erwachsene von Offtec und dem DHH hat den gleichen Inhalt. Wir können es unseren Leserinnen und Lesern sehr empfehlen. Dazu gehört, darüber hinaus, auch ein Bord-Sicherheitstraining in Glücksburg.
Mit Kindern lässt sich das Anlegen von Rettungswesten und Schwimmen damit sehr gut im Schwimmbad üben. Und im Sommer natürlich an Bord und im Meer oder auf dem See.
Für die Rettung auf den deutschen Hochseegewässern sind die Helfer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zuständig. Mehr Informationen über die Arbeit der Deutschen Seenotretter gibt es hier.
Danke für die Unterstützung
Wir bedanken uns für die große Unterstützung bei Offtec, die uns das Trainingszentrum zur Verfügung stellten und uns mit ihrer hochprofessionellen Crew immer zur Seite standen. Wir danken dem Rettungsmittelhersteller Secumar, der uns die Rettungswesten zur Verfügung gestellt hat. Und wir danken natürlich auch dem Deutschen Hochseesportverband HANSA e. V. für die Unterstützung bei der Planung und Durchführung des Trainings.