Christoph H. hat in seinem Leben oft Glück gehabt. So empfinden es jedenfalls einige seiner Angehörigen. Sogar vor dem Kieler Landgericht, wo dem 53-jährigen ewigen Studenten eine Verurteilung wegen schweren Betrugs in 14 Fällen mit einer Höchststrafe von zehn Jahren Haft drohte, blieb ihm das Schicksal gewogen.
Am Mittwoch wurde er von 13 Punkten der Anklage freigesprochen. Nur einen Fall bewertete das Gericht als versuchten Versicherungsbetrug und verhängte eine Strafe von 21 Monaten Haft auf Bewährung über den Angeklagten. Seine ebenfalls angeklagte Ehefrau Olena H., die ihm bei seinen Taten geholfen hatte, wurde zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.
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Dabei schien zu Anfang des Prozesses im Dezember 2020 die Beweislast gegen das Ehepaar eindeutig, eine Verurteilung zu mehrjährigen Haftstrafen schien sicher zu sein. Es bestand kein Zweifel daran, dass sich Christoph H. am Nachmittag des 7. Oktober 2019 mit seinem 140-PS-Motorboot „Santiano“ auf die Reise von Kiel-Schilksee nach Bagenkop in die Dänische Südsee begeben und dort nicht angekommen war. Eine 26-stündige Suchaktion war ohne Erfolg geblieben. Das Boot wurde dann am 11. Oktober 2019 nur 300 bis 400 Meter vor dem Schönberger Strand vom Technischen Hilfswerk geborgen.

Ein Gutachter hatte herausgefunden, dass der Skipper absichtlich die Schlauchschellen der Abgasleitung am Motor gelöst hatte. So konnte Seewasser ins Schiff eindringen. Auch die Dichtung des Z-Antriebs war defekt und bot dem Wasser Eintritt, genauso wie die fehlende Lenzschraube.
Der erste Fall des jungen Kommissars

Akribisch hatte der ermittelnde Kommissar Torben M. herausgefunden, dass das Sinken der „Santiano“ und das Verschwinden von Christoph H. kein tragischer Unglücksfall waren. Sondern eine lange geplante Inszenierung mit dem Ziel, mehr als vier Millionen Euro von 14 Versicherungsgesellschaften zu kassieren. Das belegen abgehörte Telefonate zwischen Christoph H. und seiner Frau Olena H., deren Chatnachrichten und die Briefe an die ebenfalls angeklagte, aber bislang noch nicht als Mittäterin verurteilte 87-jährige Mutter des Haupttäters, Thea H.
Ganz ausführlich hatte Christoph H. über diese Kommunikationswege von seinem Coup geschrieben und gesprochen. Der gescheiterte Zahnmedizin-Student, der sich in naher Zukunft vor dem Amtsgericht Walsrode und vor dem Amtsgericht Kiel wegen zweier Betrugsverfahren verantworten muss, hatte immer vom Geld seiner Eltern gelebt.
Versicherungs-Millionen für den inszenierten Tod
Er war pleite und wollte sich mit den Versicherungs-Millionen von all seinen Sorgen befreien: Die Justiz sollte ihn aufgrund seines Ablebens in Ruhe lassen. Und außerdem wollte er für seinen inszenierten Tod noch fürstlich kassieren.

Sieben Monate nach seinem Abtauchen hatte man Christoph H. auf dem Dachboden seines Elternhauses in Schwarmstedt entdeckt und verhaftet. Auch seine Frau Olena H. kam in Untersuchungshaft. Doch schon kurz vor Beginn des Prozesses deutete sich an, was sich nun mit dem Urteil des Landgerichts Kiel bestätigt: Die Richter sind der Meinung, dass in 13 von 14 Punkten der Anklage das, was Christoph H. und seine Komplizen zur Realisierung ihres betrügerischen Plans getan hatten, zwar reichlich kriminelle Energie bewies, aber nicht als versuchter schwerer Betrug zu werten ist.
Im straflosen Versuchsstadium
Die Angeklagten seien noch viel zu weit von ihrem Ziel, der Auszahlung der Versicherungsprämien, entfernt gewesen. Sie steckten noch im straflosen Versuchsstadium, wie die Juristen es bezeichnen. Familie H. hatte nämlich noch keine Sterbeurkunde beantragt. Erst wenn sie diese vorgelegt hätten, wäre eine Auszahlung möglich gewesen.
Lediglich in einem Fall, beim versuchten Betrug über 250.000 Euro von einer Unfallversicherung, sei zunächst keine Sterbeurkunde verlangt worden. Die H.s waren deshalb ab 21. Dezember 2019 der Meinung, dass sie jederzeit mit der Auszahlung dieses Geldes rechnen können – bis sie Ende Januar 2020 erfuhren, dass sie zuvor doch noch eine Sterbeurkunde vorlegen müssen.