Anfang April 2020 gelingt es dem Kommissar, die Kieler Staatsanwaltschaft davon zu überzeugen, dass es sich bei dem von ihm gesuchten Christoph H. um einen ausgebufften Versicherungsbetrüger handeln könnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Torben M. bereits ein halbes Jahr lang recherchiert, ohne die Ankläger davon überzeugen zu können, dass hier niemand zufällig verschwunden ist.
Jetzt aber leitete die Kieler Staatsanwaltschaft endlich ein Ermittlungsverfahren ein. Die Kriminalpolizei erhielt die Erlaubnis, die Telefonate der Familie H. abzuhören: von Olena H. in Kiel und von Thea H. in Schwarmstedt, 40 Kilometer nördlich von Hannover.
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„Christoph ist doch tot!“
Wenn Thea H. telefonierte, wunderten sich die Ermittler über die Männerstimme und die vielen Geräusche, die im Hintergrund zu vernehmen waren, obwohl die Rentnerin im Gespräch beteuert hatte, allein zu sein. Komisch fanden sie auch, dass die Mutter mit „Ja, gut!“ antwortete, wenn Anrufer sie nach dem Befinden ihres Sohnes fragten. Vollends klamaukig wurde es, als sich ein Mann mit hoher Stimme sprechend vom Telefonanschluss des Schwarmstedter Hauses bei Olena H. meldete und diese ihn mit „Mama“ anredete.

Am 27. April 2020 erwirkte die Kieler Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl und einen Durchsuchungsbeschluss für Olena H. Einen Tag später sagte die Ehefrau in Kiel zunächst: „Christoph ist doch tot!“ Während der Vernehmungen „kippte sie um“, berichtet Torben M. „Sie sagte: Er ist bei seiner Mutter.“
Die Lage ist beschissen
Im Schwarmstedt durchsuchten die Ermittler eine riesige Stadtvilla, einen weitläufigen Gebäude-Komplex, der über Generationen hinweg entstanden war. Sie fanden zwar nicht den Gesuchten, dafür jedoch frisch gewaschene Männerkleidung sowie Notizbücher und Briefe, die Christoph H. im Sommer 2018 an seine Mutter geschickt hatte.

„Ich bin nicht kreditwürdig“, schrieb er seiner Mutter am 5. Juli 2018. Nicht einmal einen billigeren Internet-Tarif könne er aufgrund seiner Schufa-Einträge buchen. Seine Verteidigung wegen der angeblich veruntreuten Lotterie-Gelder könne er ebenfalls nicht bezahlen. „Die Lage ist beschissen. Legal kommen wir nicht mehr auf einen grünen Zweig“, resümierte er. „Was wir brauchen, ist ein nicht auszurechnender Plan.“
Er wähnt sich im Kampf gegen etliche Beamte in Behörden und Gerichten, die nicht in seinem Sinne urteilen oder sein Treiben für unseriös halten. Diesen mächtigen Gegner gelte es zu überlisten.
Er wolle „auf eine Art verschwinden, die echt wirkt“. Dafür müsse man kreativ sein. Eine Havarie auf der offenen Ostsee, bei Dunkelheit. Das Boot dürfe keine große Radarfläche bieten, die Unglücksstelle keinen Mobilfunk zulassen. „Im Oktober, November fahre ich an einem frühen Nachmittag auf die Ostsee. Wer im Herbst über Bord geht, den gibt das Meer kaum wieder her“, so Christoph H.
Vier bis fünf Stunden plante er für seine heimliche Rückfahrt auf dem Meer ein. Unterdessen sollte das angeblich verunglückte Boot auf das Meer hinaustreiben. „Das ist wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen“, glaubte der Sohn.

Zuvor sollen 12 bis 15 Versicherungen bei Konzernen abgeschlossen werden, die untereinander nicht verschwistert sind. Außerdem gäbe es zwei Giro-Konten in der Schweiz, von denen sollen die Versicherungsbeiträge abgebucht werden. Nur eine Lebensversicherung würde von einem deutschen Konto bedient: „So bleiben wir unter dem Radar!“
Zwei Fliegen mit einer Klappe
Dem Brief ist zu entnehmen, dass Christoph H. genau wie der Kommissar davon ausging, für zehn Jahre verschwinden zu müssen, um in den Genuss seines Plans zu kommen.