Völlig unterschätzt hatte Olena H. auch eine weitere Folge des Untertauchens ihres Mannes: Er fehlte ihr körperlich, der Mann, den sie täglich geküsst und umarmt hatte. Zum neuen Jahr 2020 wünschte sich Olena H.: „Ich hoffe, dieses Jahr wird ein bisschen leichter als letztes. Ich hoffe, alles, was wir gemacht, war nicht umsonst!“

Zum Betrügen erzogen
Am 7. Mai 2020 gelang es schließlich einem Mobilen Einsatzkommando, Christoph H. in seinem Elternhaus zu finden: Auf dem Dachboden über dem früher von seinen Großeltern betriebenen Lebensmittelladen leuchtete ein Beamter mit einer Taschenlampe in Richtung eines Karton-Stapels. Im Lichtschein sah er etwas aufblitzen. Es war der Ehering, der den Gesuchten verriet. Jedem Mitglied des Trios drohen wegen versuchten schweren Betruges bis zu zehn Jahre Haft.
Seitdem sind die Angehörigen und Bekannten der Familie H. in heller Aufregung. Erfahren sie doch endlich haarklein, was sie schon immer geahnt hatten. Dass der Sohn von seiner Mutter systematisch zu einem narzisstischen Betrüger erzogen worden war. Schon dem Schüler soll sie eine Jacke so umgenäht haben, dass er dort bequem seine Spickzettel unterbringen konnte – ein Coup, mit dem sich Mutter und Sohn später brüsteten.
Sie erinnerten sich daran, wie Christoph H. als 19-jähriger Gymnasiast und Hauptdarsteller in der Inszenierung „Unsere kleine Stadt“ brilliert hatte. Die Aufführung war damals Stadtgespräch, weil es die Laien von der Theater-AG geschafft hatten, sich gegenüber den Stars vom Hannoveraner Stadttheater zu behaupten, die das Stück damals ebenfalls im Repertoire hatten.
Sein schauspielerisches Talent hatte H. später in Kalifornien genutzt, wo er mit seiner ersten Frau und seinem Sohn lebte. Anfang der 2000er-Jahre betrog er als Geldverleiher der Firma „Fast Cash“ systematisch seine Kunden. Laut einem Zivilgerichtsurteil vom Juli 2006 machte er sich des unfairen Wettbewerbs schuldig, indem er von seinen Gläubigern Wucherzinsen zurückforderte und, wenn diese sich wehrten, falsche Angaben in den Gerichtsverfahren machte. Christoph H., der obendrein Probleme wegen der Unterhaltsschulden für seinen Sohn hatte, wurde zu einem Schadenersatz von mindestens zwei Millionen Euro verurteilt. Er setzte sich daraufhin nach Deutschland ab.
Als vermeintlich Toter wollte er sich nun mit einem erneuerten US-Pass wieder zurück in die Vereinigten Staaten begeben und dort untertauchen. Auch das erfuhren die Ermittler aus den Briefen an seine Mutter: Der Gesetzesbrecher war der Meinung, dass die Verurteilung zum Schadenersatz wegen seiner unlauteren Inkasso-Geschäfte verjährt sei und er auch nicht mehr zur Zahlung des Unterhalts an seinen mittlerweile erwachsenen Sohn verpflichtet sei. „Bundesstaatlich liegt nichts gegen mich vor“, so Christoph H.

Dass sein Plan letztlich scheitern könne, war Christoph H. bewusst. So äußerte er in den Briefen an seine Mutter: „Die ganze Geschichte ist nicht ohne Risiken. Aber das ist immer noch besser, als wie hypnotisiert allein in den Händen von teuren Anwälten und unfairen Richtern zu sein.“
Muttis Rolle
Diejenige, die ihren Sohn offenbar zum Betrüger erzogen hatte, wird von der Justiz am sanftesten angefasst: Aufgrund ihres Alters ist Thea H. bis heute von der Haft verschont. Ob jemals gegen sie prozessiert wird, ist fraglich. Eile scheint der Justiz nicht geboten – schwerer Betrug verjährt erst zehn Jahre nach der Tat.

Am 15. Oktober waren die Richter des Kieler Landgerichts offensichtlich dieser Sicht der Dinge gefolgt und hatten den Haftbefehl gegen Christoph H. aufgehoben. Knapp vier Wochen befand er sich auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft beschwerte sich beim Oberlandesgericht. Deren Richter ordneten am 10. November erneut die Untersuchungshaft für Christoph H. an.
Der Angeklagte – auch das wird vor Gericht deutlich – ist zu keinem Menschen ehrlich, nicht einmal zu seiner Mutter und seiner Frau. Beiden hatte er vorgespielt, dass er in Freiburg endlich sein Zahnmedizin-Studium beendet habe und in Kiel ein praktisches Jahr als Zahnarzt absolviere. Als Olena H. am vierten Verhandlungstag erfährt, dass dies gelogen war, fließen bei ihr die Tränen.
Doch ihr Mann weiß, wie er sie beschwichtigen kann. Christoph H. sagt, er habe Angst gehabt, dass Olena H. ihn verlassen würde: „Ich bin ein schwieriger Mensch. Ich kann Frauen nicht an der Garderobe abgeben und mir eine neue suchen.“
Teil 1 lesen: Der scheintote Skipper