Dieses Mal haben es die Schleuser nicht geschafft. Das alte Jahr neigt sich dem Ende, als die Küstenwache am 28. Dezember in tiefschwarzer Nacht vor der Küste Süditaliens in schwerem Wetter eine Segelyacht aufbringt. Die „South Breeze“ ist eine Beneteau Oceanis 43, Baujahr 2009. Das Boot ist in Delaware zugelassen, so steht es in großen Buchstaben am Heck unter der „Stars and Stripes“. Im Mast weht die italienische Gastflagge. An Deck befinden sich Oleg D. und Roman N., zwei ukrainische Segler. Auch wenn auf den ersten Blick alles in Ordnung scheint, ist das Misstrauen geweckt.
Die Küste um die Stadt Santa Maria de Leuca ist in den vergangenen Monaten zu einem Hotspot russischer und ukrainischer Schleuserbanden geworden, die Flüchtlinge von Griechenland und der Türkei nach Italien bringen. Zwar ist insgesamt die Anzahl der Flüchtlinge, die über den Seeweg nach Italien kommen, im vergangenen Jahr deutlich gesunken ist. Laut italienischem Innenministerium waren es bis zum 24. Dezember „nur“ 11.439 Flüchtlinge, im Vorjahr immerhin noch doppelt so viele und 2017 sogar mehr als zehnmal so viele. Aber der Weg über die Adria boomt, seit die Balkanroute auf dem Land kaum noch passierbar ist.
Schleuser nutzen immer öfter Segelyachten
Auch wenn sich immer noch, trotz eisiger Temperaturen und starker Winde, überfüllte Schlauchboote auf den Weg über das Meer machen – das letzte, gestartet in Albanien, erreichte Italien am 4. Januar mit 33 Kurden an Bord. Die Schleuser benutzen immer öfter unauffällige Segelyachten. Meist gestohlen, aus Häfen oder von Charterbasen.

Erst Mitte Dezember hatte float über die neue Flüchtlingsroute berichtet, nachdem im griechischen Lefkas eine Bavaria 50 gestohlen und wenig später mit über 50 Migranten an Bord vor Italien aufgefunden wurde. Die Flüchtlinge konnten gerettet werden, die Bavaria nicht. Sie zerschellte an den Klippen. Die Schleuser hatten sich rechtzeitig von einem anderen Boot abholen lassen. Von ihnen fehlt jede Spur.
In dieser kalten Winternacht kurz vor dem Jahreswechsel ist es anders. Unter Deck entdecken die Beamten 54 Flüchtlinge. Sie beschlagnahmen das Boot, eskortieren es nach Santa Maria de Leuca. Die beiden Ukrainer werden verhaftet. Es dauert einige Tage, dann glauben die Behörden, die Yacht identifiziert zu haben. Sie vermuten, bei der „South Breeze“ handelt es sich um das gestohlene Charterschiff „Promise“ aus Griechenland.

Am 2. Januar, um 19 Uhr, geht die Nachricht beim Marine Claims Service (MCS) in Hamburg ein. Das Unternehmen betreibt unter anderem die Webseite stolenboats.info, fahndet im Auftrag von Versicherungen weltweit nach gestohlenen Booten, stellt Gutachter und Bergungsexperten. „Es scheint, als beginnt das neue Jahr so, wie das alte aufgehört sagt“, sagt ein Ermittler des Unternehmens.
Erst gechartert, dann gestohlen
Wie float berichtete, war die „Promise“ Mitte November von den beiden Russen Aleksei K. und Evgeni K. in Athen gechartert worden. Zwei Tage vor der vereinbarten Rückgabe meldeten sich die beiden per Mail bei der Charterbasis in der Alimos Marina. Sie hätte einen Motorschaden, die Maschine lasse sich nicht mehr starten. Sie lägen auf der Insel Andros, im Hafen von Batsi.
Um ihren Rückflug nicht zu verpassen, hätten sie die Yacht verlassen. Gesendet wurde die Mail um 16:10 Uhr. Was die Russen nicht bedacht hatten: Eine Webcam im Hafen zeigte, wie die „Promise“ um 13:28 Uhr den Hafen unter Motor verlassen hatte. Seitdem wurde sie nicht mehr gesehen.

Der MCS-Ermittler, der ungenannt bleiben möchte, geht zunächst davon aus, dass das Boot direkt nach dem Diebstahl umbenannt wurde, um es möglichst unauffällig für den Menschenschmuggel zu nutzen. „Ich vermute, dass die Yacht bereits mehrfach zum Flüchtlingstransport verwendet wurde“, sagt er. Deshalb hätten sich die Schmuggler, anders als bei der gestohlenen Bavaria Anfang Dezember, auch nicht abgesetzt.