Wenn Engel verreisen, wird das Wetter schön, heißt es. Und es könnte nicht besser sein. Die Sonne knallt vom Himmel, als die Avontuur endlich aus der Werft ausläuft. Die Gangway wurde verstaut, die Leinen, mit denen der Frachtsegler gerade noch fest vertäut war, eingeholt. Einmal legen wir noch in Elsfleth an, damit alle Zurückbleibenden Tschüss sagen können. Ein beachtlicher Teil der Stadt ist gekommen: Mit gezückten Kameras und viel Gewinke werden wir verabschiedet.

Kapitän Cornelius Bockermann, Gründer von Timbercoast, der Firma hinter der Avontuur, gibt uns noch ein paar Worte mit auf den Weg: „Ohne euch“, sagt er und guckt in die Runde, „wäre dieses Projekt nicht möglich. Ihr alle geht als Botschafter einer Idee auf die Reise.“ Fracht emissionsfrei segeln, dafür steht Timbercoast, und wir jetzt auch. Durch Windkraft Waren transportieren, so dass der Schadstoffausstoß gegen Null geht, stellt eine angesichts des Klimawandels immer mehr benötigte Alternative zum konventionellen Seetransport da.
Die gesegelte Ware ist außerdem fair gehandelt und größtenteils biologisch angebaut. Es geht um ökologische und soziale Nachhaltigkeit. „In jedem Hafen“, meint Cornelius „seid ihr die Vertreter dieses Gedankens“. Er selbst bleibt an Land, um sich um alles, was nicht auf See passiert, zu kümmern.

Für den ersten Teil der Strecke ist Jan der Kapitän, er ist extra aus Finnland angereist. In den 1990ern wollte er die Avontuur das erste Mal segeln, da gab es Timbercoast noch gar nicht. Aber es kam immer irgendwas dazwischen. Bis Frankreich wird er dabei sein. Durch seine Sonnenbrille schaut er ins Abendlicht, als wir bei Sonnenuntergang unter Motor die Weser runter tuckern. Die Segel werden erst auf dem Meer gehisst.

In neun Monaten bis in die Karibik und zurück
Über die Weser geht es in die Nordsee und durch den Ärmelkanal zum ersten Stopp in Cherbourg in der Normandie. Danach wird die Avontuur noch weitere französische und portugiesische Häfen anlaufen, bis sie im Januar 2019 von Teneriffa aus den Atlantik überqueren wird. An Bord sind bereits einige Fässer Korn, Gin und Rum, die zur Veredelung mitfahren. In Frankreich wird noch Rotwein geladen.
Ab Teneriffa wird ein großer Teil des Frachtraums von einem Oldtimer eingenommen werden, dessen Besitzer, eine sechsköpfige Familie, jahrelang die Welt bereist haben. Nun fahre sie mit der Avontuur zurück nach Hause. In der Karibik wird weitere Fracht geladen: Kaffee, Rum, Kakao und Gewürze. Dann geht es über Kanada und England zurück nach Europa. Um die neun Monate dauert die gesamte Reise.

Im Dunkeln fahren wir an Bremerhaven vorbei. Aus der Distanz hat es fast etwas Romantisches, wie das Licht der Hafenbeleuchtung auf die Kräne und Frachtschiffe fällt. Dabei sind genau diese mit Schweröl betriebenen Frachtschiffe der Grund, warum wir unterwegs sind. Neben den Containerriesen, die dort liegen, fühlt sich die Avontuur wie eine Nussschale an, die übers Wasser treibt. Dabei ist der Zweimaster mit 44 Meter Länge gar nicht so klein.
Nach dem Essen wird achtern noch geredet und gelacht. Aber die Aufregung des ersten Tages verklingt langsam. Und einer nach dem anderen macht sich auf den Weg zur Koje, bis die Nachtwache alleine ist. Wir Shipmates schlafen alle im Vorschiff, in einem Raum mit zehn Kojen, einem Tisch und einem Spind für jeden. Von Wand zu Wand sind zwei Wäscheleinen gespannt, von denen in den nächsten Tagen noch jede Menge gefährlich riechende Socken hängen werden. Die Crew und der Kapitän sind achtern zu Hause, in Kajüten unter der Galley, in der gekocht und gegessen wird. Es ist nirgendwo viel Platz, aber es reicht.
Gemischte Besatzung für ein gemeinsames Ziel
Die Crewmitglieder, die die Segelmanöver anleiten und dafür sorgen, dass wir auf Kurs bleiben, sind schon länger dabei. Sie kennen das Schiff in- und auswendig. Wir Shipmates fahren alle zum ersten Mal mit, manche mit Segelerfahrung, manche ziemlich ahnungslos. Wir machen alles, was so anfällt und wobei der Bootsmann Hilfe braucht, um das Schiff instand zu halten. Von den 15 Besatzungsmitgliedern machen wir Shipmates neun aus. Die meisten haben einfach Lust, das Projekt zu unterstützen, mal auf eine andere Art zu reisen oder möchten als Segler Erfahrung sammeln.
Da sind Sophie und Chris. Sie waren nur auf der Durchreise von der Schweiz nach Dänemark. Beide sind schon beruflich gesegelt und wollten helfen, die Avontuur in der Werft wieder fit für die Reise zu machen. Sie sind nie in Dänemark angekommen, sondern stattdessen einfach geblieben und mitgefahren.
Guillaume aus Frankreich war die letzten Jahre viel unterwegs in Europa, hat dies und das gemacht. Er wollte erst auf der Tres Hombres mitfahren, einem niederländischen Frachtsegler – und ist, weil es dort schon voll war, schließlich auf der Avontuur gelandet.
Christoph ist für die Initiative Teikei Coffee dabei, die fair gehandelten Kaffee von Timbercoast aus Mexiko nach Deutschland bringen lässt. Er will die Fahrt fotografisch dokumentieren und sehen, wie Teikeis Kaffeebohnen nach der Ernte aufs Segelschiff geladen und weitertransportiert werden. So hat jeder seinen eigenen Weg auf die Avontuur gefunden. Leute von überall her, so ist Englisch die Arbeitssprache an Bord.


Hier draußen geht einem keiner auf den Sack
Über Nacht erreichen wir die Nordsee. Als ich am nächsten Morgen aufwache, sind die Segel gehisst und das Schiff hat eine Krängung von 25 Grad. Wir kommen mit sechs bis acht Knoten flott voran. Kein Handy-Empfang mehr. „Hier draußen geht einem keiner auf den Sack“, ist der einzige Kommentar dazu. Die ersten werden seekrank, es wird ordentlich über die Reling gereihert. „Immer schön nach Lee gehen“, heißt es und wird manchmal im letzten Moment panisch gerufen.

Nur Wasser, soweit das Auge reicht. Aber wir sind nie ganz alleine auf See. Sobald ein Windpark aus dem Blickfeld verschwindet, erscheint am Horizont der nächste. Um uns herum herrscht reger Schiffsverkehr, irgendeinen Dampfer hat man immer vor der Nase. „Guck mal“, sagt Peter und zeigt auf einen besonders großen Frachter, „da kommt was ganz Hässliches.“ Jan neben ihm nickt. „Die sollte man echt nur nachts rauslassen.“ Die Krängung nimmt weiter zu. Das Wasser, mit dem ich abends meinen Tee aufgießen will, landet genau neben meiner Tasse. Das Meer rauscht, die Luft ist herrlich. Der Wind weht so stark, dass wir die Segel gerefft haben. Es herrscht allgemeine Zufriedenheit.

Peter hat die tibetische Flagge oben am Mast gehisst, um die Windrichtung anzuzeigen, und weil er Tibet gut findet. Ein übrig gebliebener Hippie. „Na hoffentlich fährt jetzt kein chinesischer Tanker vorbei“, kommt es aus irgendeiner Ecke. Peter ist mit 15 das erste Mal zur See gefahren. Er war auf Containerschiffen unterwegs, hat dann lange auf einem Bauernhof gearbeitet und 25 Jahre allein in einem Bauwagen gelebt. Er hat sich zum Tischler umschulen lassen und sein Eremitendasein genossen. Mit der Avontuur ist er vor ein paar Jahren nach all dieser Zeit das erste Mal wieder in See gestochen. Er lebt jetzt in Elsfleth, wo Timbercoast zu Hause ist.

Ein Schluck für Rasmus
Wir kommen die nächsten Tage gut voran, aber anscheinend kann der Wind nicht ewig halten. Irgendwann ist er ganz weg, und wir dümpeln über das türkisblaue Wasser dahin. Zum Kapitänsempfang unterbrechen alle ihre Arbeit und versammeln sich achtern. Es wird guter Gin getrunken und ein Schluck Wein für Rasmus eingeschenkt. Er soll für gute Winde Sorgen sorgen und Stürme vom Schiff fernhalten. Mit ihm will man es sich ja nicht verscherzen.
Jan, unser Kapitän aus Finnland, guckt etwas skeptisch. „Wer ist das?“ Die Crew erklärt ihm diese deutsche Seefahrertradition. Mit leicht zweifelnder Mine nimmt er schließlich den Becher entgegen. „An diesen Typen“, sagt er und kippt den Wein über die Reling. Und tatsächlich: Wind kommt auf und es geht weiter.
Alle also zurück an die Arbeit. Der Tag ist in drei Wachen zu zweimal vier Stunden eingeteilt, so dass jeder eine Tag- und eine Nachtwache hat. Tagsüber schrubben wir das Deck. Es gibt einen rotierenden Putzplan, der eingehalten werden muss. Und nach der letzten Mahlzeit gibt’s in der Galley eigentlich immer irgendwas zum Abwaschen und Wegpacken. Auch am Steuer wechselt man sich ab und hält Ausschau, ob nicht doch irgendwo unerwartet eine Fischerboje auftaucht, der wir ausweichen sollten. Generell wird nach allem, das wir überfahren oder das uns überfahren könnte, Ausschau gehalten.

Den Job fürs Traditionssegeln gekündigt
Für die Segelmanöver sind tagsüber meistens genug Hände an Deck. So muss niemand geweckt werden. Während der Nachtwache ist weniger los. Dann beschränken sich die Aufgaben häufig auf Rudergehen und Ausschau halten. Wenn nachts manövriert wird, passiert das meistens vor der Wachübergabe, so dass sowohl die abgebende als auch die übernehmende Wache mit anpacken kann. Der Bootsmann wird trotzdem für die meisten Manöver geweckt.
Martin hat eigentlich zu jeder Tageszeit gute Laune. Wenn er über Deck läuft, redet er vor sich hin: Hier braucht er noch einen kleinen Tampen, den kann er nachher aus dem Laderaum holen und dann hier festmachen. Dann kann er das Seil, an dem der Eimer hängt, daran aufhängen. Dann liegt das auch nicht mehr im Weg, und es stolpert keiner. Vor vier Jahren hat Martin seinen Job gekündigt. Alles, was er besaß, hat er verkauft oder verliehen. Ein paar Sachen hat er bei seinen Eltern untergestellt. Seitdem fährt er auf Traditionsseglern um die Welt. Aus dem Rucksack lässt es sich auch gut leben, findet er. Inzwischen hat er aber wieder eine feste Bleibe, da freut er sich nach dem Segeln auch drauf.
Wir stehen an Deck und schauen zu, wie uns Containerschiffe überholen. Jeder gibt seine Vermutung ab, was die wohl so transportieren. Plastikschmuck, Elektronik, Klamotten. „Verpackungen“, sagt der Franzose. Die müssen ja auch irgendwo herkommen. Da draußen gibt es bestimmt einen Container, randvoll gefüllt nur mit Happy-Meal-Tüten. „Alles, was da drin ist“, sagt Jan und zeigt auf ein Schiff, „wird bald zu Müll.“ Der landet irgendwann im Meer.
Warten auf den Wind
Seit Tagen steht der Wind falsch. Wenn er denn mal weht. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als vor der englischen Küste hin und her zu kreuzen. Wir bewegen uns zwar Richtung Süden, müssten aber eigentlich nach Westen an Strecke gewinnen, um in den Kanal hineinfahren zu können. Schon mehrmals hat der Wetterbericht Wind aus Norden angesagt und uns dann wieder enttäuscht. Als morgens die tibetische Flagge nur schlaff nach unten hängt und die Luft komplett still steht, holen wir die Segel ein und werfen den Anker.
Wir liegen so nahe vor der englischen Küste, dass wir sehen können, wie die Briten durch ihre Vorgärten laufen. Immerhin ist es warm und die Sonne scheint. Eine gute Gelegenheit, Bettzeug zum Lüften rauszuhängen, Wäsche zu waschen und mal zu duschen, ohne angelehnt an einer Wand stehen zu müssen. An Deck wird repariert, wofür bis jetzt die Zeit gefehlt hat. Nachmittags setzt endlich der versprochene Nordwind ein, und wir kommen wieder vom Fleck. Cornelius hat aus Elsfleth Nachricht geschickt: Der Wind steht so günstig, dass wir Cherbourg auslassen und weiter nach Douarnenez in der Bretagne segeln.
Ob wir anlegen können?
Kurz vor dem Hafen müssen wir erneut ankern, weil unser Liegeplatz noch belegt ist. Damit wir den Platz übernehmen können, setzen wir das Dinghi aus, um das andere Schiff beim Auslaufen zu unterstützen. „Wir bringen Frauen mit“, sagen die ersten drei grinsend, die nach zehn Tagen an Land dürfen. Sie kommen mit Kuchen und schlechten Nachrichten zurück: Es ist noch nicht klar, ob die Ladung, die erwartet wird, schon fertig ist. Und im Hafen gibt es keine Wendemöglichkeit.
Dort können wir auf jeden Fall schon mal nicht anlegen. Vielleicht ist es auch schlauer, direkt nach La Rochelle weiterzusegeln? Morgen kriegen wir Nachricht, ob wir vielleicht im Fischerhafen anlegen können. Der Kuchen schmeckt trotzdem. Spezialität der Gegend, sagt der Franzose. Butter mit viel Butter und Butter. Und massenweise Zucker. Das bringt die Laune nach all dem Warten wieder in Schwung.
Am nächsten Tag können wir im Fischerhafen anlegen. Wir gehen von Bord und jeder seiner Wege. Früher oder später treffen wir uns aber doch alle in derselben Kneipe wieder. Nach zehn Tagen trocken auf dem Schiff schmeckt uns das Bier noch besser als sonst.
Ein Kommentar
Danke Lia. Schöne Reportage. Zu Deiner Flaggengeschichte fällt mir noch ein, dass wir beim Einlaufen in La Palma eine spanische Flagge auf ein DIN A 4 Blatt ausdrucken mussten, weil keine andere Flagge an Bord war. Das war die erste Reise in 2016. Ja, und auch ich habe Peter ins Herz geschlossen und hoffe mit ihm viele Bekannte in Hamburg im Museumshafen zu treffen.