Erst hat man bei Seekrankheit Angst, dass man stirbt. Dann hat man Angst, dass man nicht sterben wird. Ein Blauwassersegler erklärt, wie man gut überlebt. Und es kann jede und jeden erwischen!
Es ist ganz egal, ob man als alter Salzbuckel schon seit Jahrzehnten die Sieben Meere befährt oder den ersten Törn auf hoher See wagt. Und völlig gleichgültig, ob sich die See mit chaotischen Wellen zickig gebärdet. Oder eine lange Dünung den schwimmenden Untersatz fast schon gemächlich hin- und herschaukelt. Das Übel lauert immer und überall. Hilft ein simpler Trick bei Seekrankheit?
Seitdem der Mensch die Seen und Meere mit Booten und Schiffen befährt, ist die Seekrankheit die „Geißel der Seefahrt“. Nahezu jeder, der häufig auf dem Wasser anzutreffen ist, hat sie zumindest im Ansatz schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Und viele, die nach jahrzehntelanger Seefahrt dem Volksmund nach eigentlich gegen die Seekrankheit gefeit sein sollten, fürchten sie nach wie vor.
Die Symptome der Krankheit erreichen eine erstaunliche „Bandbreite“. Vom leichten Unwohlsein oder eine durch penetrantes Gähnen offensichtliche Müdigkeit bis hin zu krampfartigem, mitunter tagelang andauerndem Brechreiz, desorientierenden Schwindelanfällen und sogar Suizidgefahr – nichts ist unmöglich! Es gilt das alte Seefahrer-Bonmot: „Zunächst hat man Angst, dass man stirbt. Dann hat man Angst, dass man nicht sterben wird und alles weiter ertragen muss!“
Übel von Histaminen
Was seit Jahrtausenden so vielen Menschen übel mitspielt, ruft verständlicherweise die Heiler, Wissenschaftler und Besserwisser der jeweiligen Generationen auf den Plan. Wodurch im Laufe der Zeit eine ansehnliche Liste mit „ganz sicher wirksamen Mitteln“ gegen die Seekrankheit entstand. Ihr gemeinsamer Nenner: Sie helfen manchen Menschen tatsächlich, haben aber keine Allgemeingültigkeit.
Einige Beispiele gefällig? In Griechenland ist es seit dem Altertum bis heute (etwa auf Fähren) üblich, Seefahrenden und Passagieren bei schwieriger Wetterlage Zitrusfrüchte zum Verzehr anzubieten; die britische Marine schwört seit Jahrhunderten auf den Einsatz von Ingwer gegen die Seekrankheit; das alte pazifische Seefahrervolk der Maoris rät seit jeher zu Mango-Verzehr an Bord und französische Seefahrer ahnen seit Langem, dass insbesondere Rotweingelage vor dem Ablegen dramatische Folgen haben können. Und alle diese Seefahrer wissen längst, dass Schlaf die Symptome der Seekrankheit am besten lindert.
Vitamin C – oder doch nicht?
Ein österreichischer Wissenschaftler ist angesichts dieser „Mittel“ auf die Idee gekommen, dass es sich bei allen Tipps (inklusive Schlaf) um sichere und höchst wirksame „Histaminkiller“ handelt. Und Histamine – ein Botenstoff des Nervensystems – werden bei Seekrankheit vermehrt im Körper produziert. Eine Tatsache, die erst kürzlich wissenschaftlich bewiesen wurde.
Entsprechend haben derzeit alle Mittel, die einen hohen Vitamin-C-Gehalt erreichen, auf Schiffen, Yachten und Booten Hochkonjunktur. In hohen Dosen eingenommen, soll und kann Vitamin C tatsächlich gegen und bei Seekrankheit helfen. Eine breit angelegte, wissenschaftliche Studie mit hohen Fallzahlen steht hierzu zwar noch aus. Doch die tägliche Praxis gibt den Histaminkillern schon mal im Voraus recht. Dazu zählen übrigens auch chemische Mittel wie Cinnarizine und Hyoszine. Dass Histaminie in bestimmten Lebensmitteln verstärkt vorkommen, wurde den meisten Anfälligen erst durch jüngere wissenschaftliche Analysen bewusst. Der Volksmund weiß es jedoch längst, wie der Rotweinverzicht französischer Seefahrer beweist.
Rudergehen hilft fast immer gegen Seekrankheit
Doch auch weitere „Verantwortliche“ für die Seekrankheit wurden im Laufe der Seefahrtsgeschichte ausgemacht. So nahm man lange Zeit an, der „Sehsinn“ könne die Seekrankheit auslösen. Denn der Blick zum unbeweglichen Horizont kann die ersten Symptome durchaus lindern. Zudem zeigte sich eine Beschäftigung wie etwa Rudergehen als mitunter wirksam gegen die ersten Anzeichen der Übelkeit. Es wird angenommen, dass die potentiell Seekranken durch den Blick auf Unbewegliches wie den Horizont auch keine Gleichgewichtsprobleme bekommen können. Auf dieser Theorie basieren übrigens die doppelglasigen „Horizont-Brillen“. In denen schwimmt ein künstlicher Horizont-Balken immer in der horizontalen Lage vor dem Auge. Wenn man nun aber bedenkt, dass auch Blinde seekrank werden können…
Dagegen ist mittlerweile erwiesen, dass taube Menschen, die etwa nach einem Unfall nichts mehr hören, niemals seekrank werden. Deren Gehirn hat also zuvor gelernt, mit einem normalen Gleichgewichtssinn zu arbeiten. Wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass dies eindeutig mit dem Verständnis unseres Gehirns in Bezug auf Informationen zu tun hat, die ihm der Gleichgewichtssinn flüstert. Melden die Vestibularorgane und Macularorgane in der Innenohrschnecke dem Gehirn, dass es Probleme mit der Lage und Lageveränderungen im Raum gibt, reagiert das Gehirn verwirrt. Also immer dann, wenn der Raum respektive das Boot um dich herum bockt, wackelt und schlingert. Außerdem senden die sogenannten Stellungsrezeptoren der Muskeln und Gelenke dem Gehirn andere Signale, als es der optische Eindruck vermittelt.
Wird dem Gehirn jedoch suggeriert, dass es ein Problem im Ohr gibt, „konzentriert“ es sich auf diesen Faktor und lässt die Problematik des schlingernden Raums außer acht.
Seit einigen Jahren experimentieren nun vereinzelte Handelsschiffer, Profi- und Blauwassersegler sowie interessierte, weil anfällige Freizeitskipper an einem System, das dem Gehirn in gewissem Sinne einen Streich spielen soll. Sie simulieren ein Problem im Ohr und somit im Gleichgewichtsbereich, indem sie ein Ohr – und tatsächlich nur ein Ohr! – verstöpseln.
Im Video oben wird dies von Langfahrtsegler Chris – kurz, knapp und klar – erklärt. Nun „kümmert“ sich das Gehirn in erster Linie um diese Informationen. Es lässt sich nicht von dem leiten, was ihm an gefühlten Informationen sonst mitgeteilt wird – etwa die Bewegung der Wellen oder ein Raum, der sich mit mir zusammen auf und ab und zur Seite bewegt.
Wissenschaftlich belastbare Statistiken oder Vergleichswerte gibt es auch zu diesem Mittel gegen Seekrankheit nicht. In Hochseeseglerkreisen wird es aber mehr und mehr genutzt oder zumindest bei beginnender Übelkeit getestet. Was wiederum darauf schließen lässt, dass es – ganz wie die meisten anderen Mittel – durchaus bei einzelnen Probanden wirken kann. Bei wem genau? Überzeugt euch selbst und probiert es aus!