Es ist Donnerstag, der 29. Juni 2023. Die Bühne ist bereitet, alle Zweifel sind beseitigt: Ein ereignisreicher Tag geht in Genua ins Finale. Am Morgen hatte die Jury getagt, hat das erwartete Urteil zur Entscheidung des Ocean Race gefällt und 11th Hour Racing für die Abschlussetappe vier Punkte am grünen Tisch zugesprochen.
Gegen 17 Uhr erreicht das 11th Hour Racing Team den Hafen der italienischen Metropole, am Heck immer noch schwer gezeichnet. An Backbord prangt ein großer weißer Flicken über dem eigenen Schriftzug. Doch der Schreck, der das Team genau zwei Wochen zuvor ergriffen hat, ist vergessen, als die gesamte Mannschaft mit Segel- und Landcrew, mit Management und der großen Gönnerin das Podium betritt.
Um 18:10 Uhr greift Charlie Enright nach der Trophäe, präsentiert sie seiner Mannschaft und stemmt dann gemeinsam mit Milliardärin Wendy Schmidt, der Gründerin des 11th-Hour-Projektes, den silbernen Zylinder in die Höhe.

Kurz darauf liegt sich der 38-jährige Enright mit Teammanger Mark Towill in den Armen. Die beiden US-Amerikaner sind am Ziel: Im dritten Anlauf gelingt ihnen der Triumph bei der härtesten Mannschaftsregatta, bei der Hatz in sieben Etappen um die Welt.
Gekrönter Traum
Es ist die Krönung einer konsequenten Kampagne. Die Krönung für ein Team, das etwas stotternd in das Rennen startete, sich immer weiter entwickelte und sich mit einer beeindruckenden Serie an Etappensiegen an die Spitze setzte. Es ist die Erfüllung eines Traums, der zwei Wochen zuvor im Crash von Den Haag zu platzen drohte und dann im Jury-Office durch die Anerkennung der Wiedergutmachung doch noch Realität wurde.
Die 14. Auflage des The Ocean Race brachte mit dem Startschuss in Alicante/Spanien am 15. Januar zwar nur fünf Teams auf ihren foilenden Imocas an die Linie, doch die sieben Etappen geizten nicht mit Spektakel: Orkan-Böen vor Gibraltar, Segelverluste im Atlantik, Rumpf-Bruch im Südpolarmeer, stundenlanger Reparatureinsatz in 28 Meter Höhe, Mastbrüche, Comebacks, Weltrekorde.
Es gab menschliche und sportliche Tiefpunkte mit dem Me-Too-Vorwurf gegenüber und dem Rennausstieg von Kevin Escoffier sowie der folgenschweren Kollision, als das Guyot environnement – Team Europe das 11th Hour Racing Team und sich selbst aus dem Rennen crashte.

Doch im Gegensatz zu der Vorgängerausgabe blieb das Rennen ohne große Verletzungen oder gar Todesfälle, und so sorgte das The Ocean Race fünfeinhalb Monate für Faszination der Segelwelt und feierte am 1. Juli mit dem Inport-Race von Genua seinen Abschluss.
Ende gut, alles gut
Es war eine gelöste Stimmung unter den fünf Teams, als sie sich am 1. Juli zum Dock-Out des abschließenden Inport-Race auf dem Steg trafen. Holcim-PRB, das unter Skipper Benjamin Schwartz zwei Tage zuvor noch intensiv gegen eine Wiedergutmachung für 11th Hour Racing gestritten hatte, hatte den Sieg der US-Amerikaner akzeptiert.
Guyot environnement – Team Europe fühlte sich wieder wohl im Kreis der anderen Mannschaften, bekam sogar noch einmal seine Auslauf-Hymne eingespielt, obwohl die Yacht zum Abschluss fehlte. Malizia-Skipper Boris Herrmann und Robert Stanjek, Co-Skipper vom Team Guyot, posierten für ein gemeinsames Foto.
Es passte ins Bild der Harmonie, dass sich schließlich im Inport-Race noch einmal die geschundene Yacht von 11th Hour Racing den Sieg sicherte. Das US-Team bewies damit sein starkes Potenzial auf der Regattabahn und die hohe Qualität des gesamten Teams, dem es gelungen war, das kapitale Leck nur mit Bordmitteln in Den Haag zu reparieren und nach Genua zu segeln.
So lautet am Ende des The Ocean Race 2023 das Ranking:
1. 11th Hour Racing (Charlie Enright, USA), 37 Punkte
2. Team Holcim-PRB (Benjamin Schwartz, Schweiz), 34 Punkte
3. Team Malizia (Boris Herrmann, Deutschland), 32 Punkte
4. Biotherm (Paul Meilhat, Frankreich), 23 Punkte
5. Guyot environnement – Team Europe (Benjamin Dutreux, Europa) 2 Punkte
Die lame duck fliegt!
Neben dem puren Ergebnis bleiben die unglaublichen Geschichten dieses Rennens hängen – auch oder gerade aus deutscher Sicht. Es ist die Story der Malizia-Yacht, die zum Start in Alicante von Skeptikern als Hochsee-Bus verspottet wurde.

Nach dem müden Auftritt zur Route du Rhum erwarteten viele in den Leichtwind-Passagen eine lame duck. Doch nach dem kurzfristigen Foil-Wechsel vor der ersten Etappe zeigte Malizia auch in schwacher Brise Potenzial, schaffte gar in der Schlussetappe im Flautenpoker vor Genua den zweiten Etappensieg bei diesem Weltrennen. Der erste dagegen in Itajaí/Brasilien war erwartet worden.