Der Schweiß läuft in Strömen. In Grenada, dem kleinen Karibikstaat mit den bunten Häuschen, brennt die Sonne mittags mit über 30 Grad vom Himmel, die Luft ist feucht wie ein ausgewrungener Schwamm. Nicht die besten Bedingungen für ein Bootsrefit. Die neue Solaranlage hat Brian Trautman schon installiert, die Batterien ausgetauscht, das Unterwasserschiff abgeschliffen. Harte Arbeit. Aber Brian lacht. Endlich ist er wieder zu Hause. Auf seiner SV Delos, einer Amel Super Maramu.
Im April hatten er und seine schwedische Freundin Karin zusammen mit Brady, seinem jüngeren Bruder, und dessen Freundin Alex die Yacht aus dem Wasser gehoben. Nach knapp neun Jahren auf Weltreise. Viel ist in der Zwischenzeit passiert. Die Delos-Crew segelte mit einer anderen Yacht ins ewige Eis. Und Brian heiratete seine Karin, die vor sieben Jahren in Neuseeland für ein Wochenende an Bord kam – und nie wieder ging.

Immer gen Südwesten, um die Erde, ohne Plan und die Pleite mehrmals im Nacken. Zigtausende Segler, Träumer und Sofa-Abenteurer zieht es freitags vor ihre Computer, immer dann, wenn Brian und seine Freunde eine neue Episode von ihrem Törn um die Welt auf Youtube veröffentlichen. 189 Folgen gibt es bereits. Die Mitglieder der Delos-Crew sind mittlerweile so etwas wie maritime Soapstars – aber ohne Drama, Streit und Drehbuch. Bis zu fünf Millionen Mal werden die halbstündigen Videos geklickt.
Svdelos.com ist damit eines der erfolgreichsten Segel-Videoblogs der Welt. Die Faszination der Filmepisoden liegt in dem Spiel mit der Sehnsucht. Seit jeher ist es ein Traum der Menschen, die Welt zu erkunden, fremde Kulturen zu entdecken, Abenteuer zu bestehen. Doch nur die wenigsten haben den Mut, aufzubrechen. Umso mehr wollen aber am Traum anderer teilhaben.
Vom Krawatten- zum Kreuzknoten
Brian wurde nicht als Seemann geboren. Der einzige Knoten, den er beherrschte, war der Krawattenknoten. Der heute 42-Jährige war ein Allerweltstyp im dunklen Anzug, glatt rasiert und gescheitelt. Sein Leben verstrich im Takt von 50 zu zehn: 50 Minuten Meeting, zehn Minuten Vorbereitung auf das nächste. Dann alles von vorn.


An dem Tag, als Brian beschloss, sein Leben zu ändern, starrte er auf ein Organigramm. Es hing im Büro seines Chefs im Microsoft Technology Center in Seattle. Es war die Führungsstruktur des Konzerns. Sein Boss zeigte auf eine Position weit oben: „Da soll mein Name stehen.“ Das sei sein Traum. „Ich fand das traurig“, sagt Brian im Interview. „Wie kann der Lebenstraum darin bestehen, ein Name auf einem Organigramm zu sein?“
Brian beginnt damals, Bücher über Weltumsegler zu lesen. Das Fernweh hat ihn gepackt. Dann kommt die Finanzkrise. Segeln hat er mittlerweile gelernt, jetzt sucht er ein Boot und findet die SV Delos. Eine Super Maramu der französischen Werft Amel, 16 Meter lang. Doch selbst gebraucht kostet das Schiff noch 400 000 Dollar. Brian verkauft sein Haus. Es reicht nicht. Also nimmt er eine Hypothek auf das Schiff auf, damit noch Geld für zwei Jahre in der Reisekasse ist. So lange soll die Auszeit dauern.

Im September 2009 sticht er mit seiner damaligen Freundin in See. Von Seattle geht es nach Mexiko. Dort kommt sein jüngerer Bruder Brady an Bord, ein Student. Eigentlich will er Brian nur bei der Passage nach Tahiti helfen. Aber er wird für immer bleiben. Im Oktober 2010 erreichen sie Neuseeland. „Die ersten Monate waren seltsam“, sagt Brian. „Von 100 auf null, damit bin ich nicht klargekommen. Ich habe mich schuldig gefühlt, nichts zu tun.“ Seine Freundin kann mit dem neuen Leben gar nicht umgehen. Sie verlässt das Schiff.

Land in Sicht mit einer kleinen schwarzen Zahl
Die Trautman-Brüder bleiben aber nicht lange allein. Brian lernt die Schwedin Karin kennen, Brady eine Neuseeländerin, die vier Jahre mit die Welt besegelt. Von Auckland geht es mit den neuen Freundinnen nach Australien. „Da war ich das erste Mal pleite“, sagt Brian. Auch wenn jeder von ihnen mit nur 500 Dollar im Monat auskommt, fressen die Hypothek für das Schiff und die Instandhaltungskosten die Ersparnisse auf. Die Crew arbeitet in Restaurants, heuert als Personal auf Megayachten an. Nach einem Jahr haben sie genügend Geld, um weiterzusegeln. Sie kommen aber nur bis auf die Philippinen, dann sind sie wieder pleite. Der Traum scheint geplatzt.
Als Brian seine Finanzen checkt, entdeckt er allerdings neben vielen großen roten Zahlen auch eine kleine schwarze. Youtube hat eine Handvoll Dollar überwiesen. Wofür? Sie hatten für Freunde ein paar Videos hochgeladen, schlecht gefilmt und amateurhaft geschnitten. Trotzdem wurden die Filme hunderte Male angeklickt. Wildfremde Leute spornen die Crew an, weiterzumachen. „Das war der Beginn unseres Lifestyle-Business“, sagt Brian. Die Idee: „Wenn wir mit ein paar hundert Klicks bereits ein paar Dollar verdienen, warum versuchen wir dann nicht, ein paar tausend Klicks zu bekommen?“, sagt er. „Als wir ein paar tausend Klicks hatten, wollten wir mehrere Zehntausend.“ Doch dazu brauchen die Videos eine bessere Qualität.
Sie entdecken die Crowdfunding-Plattform Patreon. Brian schreibt: „Wir lieben segeln. Wir lieben reisen. Und wir lieben es, davon Videos zu produzieren. Mit eurer Unterstützung wollen wir eine bessere Videoausrüstung kaufen und bessere Filme machen.“ Die Idee schlägt ein. Einer der ersten Unterstützer will gleich 250 Dollar pro Film zahlen. Brian glaubt an einen Fehler. Er schreibt den Mann an. Aber es ist kein Versehen. Die Delos-Crew mache genau das, wovon er immer geträumt habe, schreibt der zurück. Jetzt sei er krank und werde das Bett nie wieder verlassen können. Die Videos machten ihm so viel Freude, dass er das Projekt unterstützen wolle. „Da stockt einem der Atem“, sagt Brian.
Mit der Professionalität der Filme wächst die Anzahl der Unterstützer. Dafür läuft fast immer eine Kamera an Bord. Die Videos leben von atemberaubenden Bildern auf, unter und über dem Wasser, von Landausflügen, von der Neugier auf alles Fremde. Aber auch Themen wie die Verschmutzung der Ozeane oder die Überfischung werden behandelt.

Helden des Alltags
Hauptsächlich geht es jedoch um das Bordleben. Mal müssen Stürme auf hoher See abgewettert werden, mal nagt Seekrankheit an den Nerven. Zweimal wurde die Delos überfallen. Dabei werden aber keine Heldengeschichten geschrieben, Brian und seine Freunde gerieren sich weder als Draufgänger noch Hasardeure. Vielmehr kämpft die Crew mit den Tücken des Alltags. Mit verstopften Toiletten, einer defekten Steueranlage oder mit Behörden. Vor allem aber genießen sie ihr Leben an den schönsten Orten der Welt. Das Konzept geht auf.
1.928 Patrone zahlen derzeit 14.400 Dollar – pro Film. Drei Episoden erscheinen im Schnitt pro Monat. „Wir sind so dankbar, dass unsere Unterstützer unser Abenteuer ermöglichen.“ Der Urlaub wurde aber zum Job. „An manchen Tagen arbeiten wir zwölf Stunden“, sagt Brian. An anderen gar nicht, dann genießen sie das Leben ohne Kameras. Drei bis vier Stunden seien es im Durchschnitt, die jedes Crewmitglied täglich der Arbeit widmet: filmen, schneiden, Blogs schreiben, die Social-Media-Kanäle bedienen.

Der Buy us a beer-Button
Brian lacht. „Wir lieben Bier.“ In den USA sei es ganz normal, ein Bier auszugeben, wenn man in der Kneipe einem Typen zuhört, der etwas Spannendes erzählt. Nichts anderes machten sie mit ihren Videos. Also hatten sie die Idee, einen Button auf ihrer Website zu platzieren. „Buy us a beer“ steht da. Wer ihn anklickt, kann ein paar Dollar für Bier überweisen. Jedes Video endet mit der Crew, wie sie an einem einsamen Strand im Sonnenuntergang ein Bier trinkt, und dem Aufruf, doch mal eins auszugeben. Tausende folgten ihm bereits.

Jetzt schuften sie in der Karibik an der Fortsetzung ihres Abenteuers, schleifen, streichen, polieren. „Zurück in einen Bürojob? Niemals!“, sagt Brian. Es werde eine Delos 2.0 geben, verrät er. Der Bau eines Expeditionsschiffes schwebt ihnen vor, mit dem sie in alle Teile der Welt segeln können. 60 bis 70 Fuß groß. Aber im Spätsommer stechen sie noch einmal mit der alten Yacht in See. Das Ziel ist Japan. „Wir werden den längsten möglichen Weg nehmen“, sagt Trautman. „Wir haben ja Zeit.“ Warum Japan? „Da wollten wir beim letzten Mal schon hin. Aber da waren wir gerade pleite.“
Hier ist Folge 192 von Bord der „SV Delos“:
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