Während Deutschland im zweiten Vierteljahr 2020 einen größeren Rückgang bei der Wirtschaftsleistung denn je verkraften musste, geht es der Boots- und Wassersportbranche teilweise besser als in Zeiten vor der Corona-Pandemie. Verkehrte Welt? Sicher nicht.
Zumindest, was den Verkauf von Booten, Kanus, SUP-Boards und das Boots-Chartergeschäft im Inland betrifft, ist die hiesige Bootswirtschaft mit Volldampf auf Kurs. Gleichzeitig fahren internationale Werften die Krisenprogramme hoch, schließen Standorte und entlassen.
Das Geld für den Bootskauf ist da
„Das Geld für den Konsum ist da, und es wird im Inland ausgegeben“, formulieren es Bootshändler gegenüber float. Denn außergewöhnliche Fernreisen ins Ausland und Kreuzfahrten fallen in diesem Jahr komplett aus. „Auch bei denen, die viel Geld zur Verfügung haben, liegt der Fokus auf Stay Home“, beschreibt ein Händler die augenblickliche Stimmung.
Das zeigt sich auch im Großhandel, wie Bernd Wegner, Prokurist des Hamburger Ausrüsters Lindemann, bestätigt. „Unsere Werft- und Servicekunden berichten, dass – überspitzt ausgedrückt – alles, was schwimmen kann, instandgesetzt wird“, sagt er. „Das Konsumentenverhalten geht ganz klar in Richtung Urlaub auf dem Wasser in sicherer Umgebung.“
Ein Grund für die Besinnung auf heimische Reviere: Auf dem Boot lassen sich die in Deutschland geltenden Hygienevorschriften und Covid-19-Abstandsregeln besonders einfach einhalten.
„Die Lage ist sehr gut“
Bootshändler mit vielen Marken wie das Berliner Bootscenter Keser sind rundum zufrieden: „Die Lage ist sehr gut.“ Nachdem der erste Corona-Schock sich gelegt hat, so Geschäftsführer Mike Keser, gebe es seit Ostern eine regelrechte Sonderkonjunktur für den Händler der Marken Beneteau, Quicksilver, Parker, Ranieri und anderen. Der herbe Umsatzeinbruch, wie ihn beispielsweise die Beneteau-Gruppe für das zweite Quartal 2020 anführt, ist in der deutschen Boots- und Zubehörbranche nicht zu spüren.


Christoph Steinkuhl, Geschäftsführer des Hamburger Filialisten und Online-Händlers A. W. Niemeyer, bestätigt diesen Trend: „Wir haben gut zweistellig zugelegt“, sagt er im Gespräch mit float. Ein Grund für den Umsatzschub war auch die kurz vorm Lockdown erstmals veranstaltete Hausmesse „Hamburg Boat Show“ mit rund 40 Unterausstellern.
Als klassischem Ausrüster war es A. W. Niemeyer gelungen, als „systemrelevanter Betrieb“ das Filialgeschäft auch während des Lockdowns weitgehend offen zu halten. Online lief es ohnehin bestens. Sein aktuelle Herausforderung: „Wir würden gerne mehr Boote verkaufen.“ Bei dem Hamburger Unternehmen sind GFK- und Schlauchboote zurzeit so gut wie ausverkauft.
Alles, was schwimmen kann, wird gekauft
„Es scheint, dass viele Leute in Boote und Wohnmobile flüchten“, beobachtet Claus-Ehlert Meyer, Geschäftsführer des Deutschen Boots- und Schiffbauer-Verbands DBSV. „Gebrauchtboote sind gefragt. Zubehör läuft gut, und einfache Schwimmwesten sind kaum lieferbar.“
Auch der Neubootmarkt profitiert bei allen Budgetgrößen und Arten von Wasserfahrzeugen. Viele Angebote für die laufende Saison sind beinahe oder komplett ausverkauft. Das reicht vom Paddelboard aus dem Online-Shop über Sportboote bis zu Fahrtenyachten im sechsstelligen Euro-Bereich.


Karsten Stahlhut, neuer Geschäftsführer des Bundesverbands Wassersport-Wirtschaft BVWW, stimmt zu: „Alles, was irgendwie schwimmen kann, wird aktuell verkauft – egal ob gebraucht oder neu“, sagt er. Besonders sticht die Bootsklasse der Motorboote zwischen 7,50 und zwölf Metern Länge hervor, so Stahlhut. „Die Händler berichten von leeren Ausstellungshallen, weil bereits jetzt alles verkauft wurde.“ Auch an den Servicewerften ist die Krise im Wesentlichen vorbei gegangen, erklärt DBSV-Chef Meyer im Gespräch mit float.

Die Lieferketten haben gehalten
Lücken im Sortiment gab natürlich schon, so AWN-Chef Steinkuhl. Seine Erkenntnis: „Je lokaler der Lieferant, desto besser war die Lieferfähigkeit.“ Rettungswestenproduzent Secumar und der Pflegemittelanbieter Yachticon, beide in der Region Hamburg ansässig, belieferten AWN direkt und ohne Unterbrechung.
„Ohne funktionierende Großhandels-Unternehmen wie Lindemann wären etliche Lieferketten zusammengebrochen“, ist Lindemann-Prokurist Wegner überzeugt. Engpässe durch Betriebs-Stilllegungen in Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien konnte man „weitestgehend vermeiden“. Eins steht fest: Durch Corona hat sich das Konsumenten- und Kaufverhalten verändert. Wohin sind die Kunden gegangen?