An der Spitze ist es einsam. Je aufwändiger und teurer eine Sportveranstaltung ist, desto spärlicher ist das Feld besetzt. Bei The Ocean Race treten fünf Imocas und sechs VO65 ab dem 15. Januar 2023 zum Rennen um die Welt an. Beim nächsten America’s Cup sieht es nicht kuscheliger aus. Fünf Schiffe werden starten. (Auch im Motorsport kommt die Formel 1 nicht über zehn Teams hinaus.) Anders gesagt: Man bewegt sich bei The Ocean Race in einem exklusiven Zirkel des Segel-Hochadels.
Eine Klasse bescheidener, bei der Route du Rhum, waren satte 36 Imocas dabei. Aber ein einzelner Schlag über den Atlantik mit nur einem Skipper lässt sich leichter planen als eine Weltumrundung in sieben Etappen mit Vierer-Crew (plus Bordreporter).
Die Imocas sind 2023 das erste Mal zu The Ocean Race zugelassen. Die eigentliche Ocean-Race-Einheitsklasse, die VO65, liegt mit ca. fünf Millionen Euro Baukosten im Bereich der Imocas. Aber die 20-Meter-Yachten, von denen nur neun Exemplare gebaut wurden, müssen mit einer Zehner-Crew gesegelt werden. Solch ein großes Team muss man erst mal für ein halbes Jahr zusammenbekommen. (Allerdings sind die ca. 15 Millionen, die ein Ocean-Race-Team berappen muss, ein Kleckersümmchen gegen die ca. 100 Millionen, die eine America’s-Cup-Teilnahme schlucken kann.)

Um etwas Druck aus der Klasse zu nehmen, absolvieren die VO65 nur das erste und die letzten beiden Legs (Etappen) des Ocean Race. Die 12.750 Seemeilen durch den Süd-Pazifik, das dritte und längste Leg, sparen sie sich. Die Tour ist abgespeckt, aber sie tönt vollmundig: The Ocean Race VO65 Sprint Cup.
Chimborazo der Regatten
Die Rolle der spektakulären Kampfhähne übernehmen die Imocas. Die fünf Kontrahenten von Team Holcim – PRB, Malizia – Seaexplorer, Guyot Environnement – Team Europe, Biotherm und 11th Hour Racing Team haben sich schon bei der Vendée Globe und der Route du Rhum beharkt. Mit Crew unterm Ocean-Race-Banner stoßen sie endgültig gegen die Decke des Profi-Segelns. Wenn Boris Herrmann, Skipper der Malizia – Seaexplorer, die Vendée Globe den Mount Everest der Regatten nennt, kann sich The Ocean Race zum Chimborazo der Regatten ausrufen.

Deutlich nach den großen Einhandregatten Observer Singlehanded Transatlantic Race/OSTAR (1960) und Golden Globe Race (1968) wurde das Ocean Race als Whitbread Round the World Race 1973 ausgerufen. Über acht Rennen war Whitbread & Company der Hauptsponsor, dann übernahm 2001 Volvo und benannte das Rennen in Volvo Ocean Race um. Von einer Brauerei zu einem Autohersteller – klar, dass es nicht mehr so gemütvoll weitergehen würde.
Die Strecke mit ihren Zwischenstopps wurde auf mediale Attraktivität getrimmt, die Crews genauso Blitzlichtgewittern wie echten Gewittern ausgesetzt. (In Kiel wurde gestoppt, weil die Deutschen so gerne Volvo fahren. Aber klar, der rot-weiße Weihnachtsmann wurde auch nur designt, damit mehr Coca-Cola getrunken wird. Und wühlt er einen etwa nicht auf?)
Wieder mehr Segeln als Show
In den 1980ern nahmen um die 20 Schiffe an den Austragungen teil. Diese Popularität erreichte das Rennen unter der Volvo-Ägide nie wieder. Mehr als 8 Teilnehmer ließen sich nicht gewinnen. Beim aktuellen The Ocean Race wären nur 6 Schiffe angetreten – hätte man nicht die Imoca-Klasse eingemeindet.

Die Austragung 2023 richtet erstmalig der neue Inhaber Atlant Sports Group unter dem Namen The Ocean Race aus. Er hat an den Stellschrauben gedreht: Die Etappen werden von 10 auf 7 verringert, die Hafenrennen von 12 auf 7. Und es wird wieder ein langes Südpazifik-Leg gesegelt. Außerdem muss jede Crew mindestens eine Frau einschließen. Das entspricht dem allgemeinen Trend, der auch an den aktuellen Olympia-Regularien ablesbar ist, zu Geschlechtergerechtigkeit via Quote. So nehmen seit 2017/18 wieder Frauen teil im Ocean Race, nachdem seit 2001/2 gar keine Frauen mehr am Start waren.
Beim Whitbread Race war 1989 mit der Maiden unter Skipperin Tracy Edwards erstmals eine komplette Frauen-Crew das Rennen gemeistert. 2014 gehörten zur Frauen-Crew auf der SCA Annie Lush (jetzt Guyot Environnement), Justine Mettraux (jetzt 11th Hour Racing Team) und Sam Davies (jetzt Biotherm mit Skipper Paul Meilhat).
20 Knoten Durchschnitt
Die Segler begrüßen die Erweiterung um die Imoca-Klasse. Nicolas Lunvin von der Malizia und Annie Lush von der Guyot Environnement hatten beide früher auf VO65 angeheuert. Sie fluchen noch heute über die Plackerei in der permanenten Gischtwolke an Deck. Bei den Imocas sitzt man geschützt in der Cockpit-Konservendose und observiert die Instrumente und den bunten Leinensalat. Dennoch: Das Gerüttel in den Rennkisten wird ordentlich auf die Nerven und die Gelenke gehen. Deshalb wechseln sich die Crewmitglieder von Leg zu Leg ab.

Vor dem ersten Leg von Alicante auf die Kapverden beschnupperten sich die Yachten beim Hafenrennen. Das Ergebnis zählt nur, wenn es am Schluss des Ocean Race eine Patt-Situation geben sollte. Aber als Motivationsspritze kam es dem Team der Malizia – Seaexplorer sicher sehr entgegen. Es hat das Rennen unter wankelmütigen Wind-Bedingungen gewonnen. Nach Herrmanns unerwartetem Leistungseinbruch bei der Route du Rhum und dem erzwungenen Auswechseln der Foils war solch ein Triumph nicht abzusehen. Die Moral der Truppe sollte blendend sein.
In den Tagen nach dem Start wird die Imoca-Flotte in konfrontatives Wetter geraten. Das Zeitfenster für eine Atlantiküberquerung von Ost nach West schließt sich im Spätherbst. Üblicherweise begann das Ocean Race auch dann. Diesmal ist es nach hinten verschoben – und Wind, Welle und Strömung auf dem Weg durch die Meerenge bei Gibraltar könnten sich in der ersten Hälfte der nächsten Woche unsolidarisch zeigen.

Das erste Leg geht über 1.900 Seemeilen. Vier Tage sind dafür prognostiziert. Von den Imocas wird also eine Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 20 Knoten erwartet. Durchschnitt! Wir kriegen schon bei der bloßen Vorstellung Blasen am Hintern. Aber wer Profi-Segler als die wahren Prügelknaben der Meere erleben will, sollte sich auf die VO65-Klasse konzentrieren.