Hartnäckiger Seenebel verschleiert die Startzone der Vendée Globe vor Les Sables d’Olonne am Sonntagmittag zuerst. Als der Nebel sich eineinhalb Stunden später gelichtet hat und die Sonne durchkommt, geht die Flotte aus sechs Skipperinnen und 26 Skippern im schönsten Herbstlicht bei perfekten zehn bis zwölf Knoten und leichter Welle an die Startlinie. Um 14.20 Uhr Ortszeit starten die Einhandsegler zu ihrer Weltumseglung über 24.296 Seemeilen.
Louis Burton (Burreau Vallé 2) geht zu früh über die Startlinie und muss für fünf Stunden stoppen, bevor er das Rennen wieder aufnehmen darf. Ansonsten verläuft der Start eher defensiv. Angesichts der etwa 70 bis 80 Tage, die das Rennen dauern wird, kommt es jetzt nicht auf Minuten an. „Einen Frühstart willst Du auf keinen Fall, weil die Strafe wirklich hart ist“, sagt Boris Herrmann vor dem Start.
Die Favoriten machen gleich Tempo
Die neuen IMOCA-Top-Foiler machen gleich mächtig Tempo und beschleunigten auf der ruhigen See auf 20 Knoten und mehr. Das neueste und am wenigsten erprobte Boot der erst 2020 zu Wasser gelassenen Achter-Flotte gibt gleich das Tempo vor. Nico Troussell (Corum L’Épargne) segelt mit vorweg Richtung Westen. Es ist eine komplexe Wettersituation, die die Skipper diese Woche erwartet, so die Wetteranalyse von Sebastian Wache für float.
Der Favorit Jérémie Beyou (Charal) sitzt Troussell schnell im Nacken und übernimmt wenig später auch die Führung. Gut im Rennen liegt zu diesem frühen Zeitpunkt auch die Britin Samantha „Sam“ Davies (Initiatives Cœur).

Während Beyou zunehmend schneller und bald mit 26 Knoten unterwegs ist, formiert sich das Verfolgerfeld hinter ihm – mit Co-Favoriten wie Charlie Dalin (Apivia) und Alex Thomson (Hugo Boss). Thomson zählt mit seiner futuristischen neuen Yacht zu den Top-Favoriten. Boris Herrmann (Seaexplorer) liegt zum Start auf der gewünschten Position unter den ersten zehn Seglern.
Große Gefühle zum Abschied
Eröffnet wurde der Starttag von emotionalen Szenen auf dem berühmten Ponton. Der Abschied fiel wegen der Lockdown-bedingt fehlenden Fans ungewöhnlich still aus. Statt im Applaus und Jubel von zehntausenden zu baden, machten sich die Teams beim „Dock Walk“ ihrer Skipper gegenseitig Mut. Sie klatschten füreinander und sorgten für viele kleine bewegende Szenen.
Mehr als einer der Solosegler hat beim letzten kurzen Interview auf dem Steg Tränen in den Augen, während die Menschen in den umliegenden Wohnhäusern immerhin mit unzähligen Plakaten, Bannern und lautem Hupen ihrer Bewunderung für die Weltumsegler Ausdruck verleihen.

Den „Dock Walk“ eröffnet Armel Tripon ohne seine übliche Morgenmeditation beinahe wie ein Zen-Mönch. So zielgerichtet wie er läuft, beantwortet er auch die Fragen im Abschiedsinterview. Triton hatte sich dafür entschieden, seine Familie und Freunde nicht mit auf den Ponton zu nehmen.
Er bekommt aber lautstarken Beifall von den bereits auf den anderen Booten arbeitenden Technik-Teams. „Komplexe Wettersituation. Ich habe gut geschlafen, aber ich hatte heute morgen keine Zeit für meine Meditation“, sagt Tripon mit funkelnden Augen.
Clement Giraud verabschiedet sich unter Tränen mitten im Interview, Damien Seguin wollte seine Lebensgefährtin in endlos erscheinender Umarmung gar nicht mehr loslassen. Boris Herrmann und der Schweizer Alan Roura lassen beide ihre wenige Monate alten Töchter bei ihren Frauen zurück und werden sie voraussichtlich erst im Januar wiedersehen.

Boris Herrmann, der erste deutsche Teilnehmer beim Vendée Globe überhaupt, sagt vorm Start: „Ich bin froh, dass es losgeht. Und ich bin bereit. Ich bin sehr glücklich darüber, dass das Rennen angesichts der Umstände überhaupt starten kann.“ Und wie geht es ihm selbst? „Ich bin nicht allzu aufgeregt. Das wird später kommen. Aber ich habe sehr, sehr gut geschlafen.“
Charal-Skipper Jérémie Beyou spricht aus Erfahrung: „Es ist meine vierte Teilnahme, aber das Gefühl ist das gleiche wie beim ersten Mal. Es ist nicht einfach, wirklich nicht. Aber es ist cool, mit meinem Team hier zu sein, das ich so gut kenne. Und mit meinem Boot, das gut vorbereitet ist. Es ist ganz besonders.“
Die Britin Samantha Davies erscheint mit ihrem Lebensgefährten Romain Attanasio (Pure Best Western) auf dem Ponton. Gemeinsam treten sie als erstes Paar bei der härtesten Einhandregatta der Welt gegen-, oder besser, miteinander an.
Die 46-jährige Initiatives-Cœur-Skipperin sagt: „Ich bin aufgeregt und glücklich, mit diesem großartigen Boot und meinem großartigen Team hier zu sein. Jetzt kann ich hoffentlich da draußen so gut segeln, wie mein Team das Boot für das Rennen vorbereitet hat. Darauf freue ich mich sehr.“

Ihre 51-jährige Landsfrau Miranda Merron lässt es entspannt angehen: „Warum sollte ich Sorgen haben? Dafür ist es jetzt zu spät. Noch kann ich kaum glauben, dass ich gleich in ein Rennen um die Welt starte. Ich werde sicher am Start aufgeregter sein. Ich hasse Starts, denn ich mache mir immer Sorgen wegen der anderen Boote.“
Würdig ist der Auftritt des japanischen Skippers Kojiro Shiraishi. Er schreitet in traditioneller japanischer Tracht mit Langstab (Bō) über den Ponton Hier verabschiedet er sich lächelnd von den Menschen am Steg und von seinem Team.

Die britische Skippering Pip Hare (Medallia) sagt vor der Kamera „Ich bin wirklich sehr, sehr glücklich, auch wenn es nicht so aussieht.“ und kämpft mit den Tränen. „Ich kann einfach nicht glauben, dass dieser Tag gekommen ist. Es ist gigantisch.“
Sie gehört zu den Rookies, die zum ersten Mal dabei sind. „Einerseits habe ich keine Vorstellung davon, was auf mich zukommt. Andererseits kann ich mir jede Minute ausmalen, möchte einfach nur noch da rausgehen und herausfinden, wie es wirklich ist.“
Alex Thomson kommt geschäftig-dynamisch über den Ponton. Sehr fit, schlank und fokussiert ging er an Bord seiner Hugo Boss. „Es ist ein wunderbarer Morgen“, sagt Thomson. „Es wird ein interessanter und guter Start für die Kameras werden.“ Und damit behält er Recht.
Alex Thomson hat das kommende Wetter im Blick: „Es ist schade, dass wir keine Passatwinde bekommen. Es werden harte fünf, sechs Tage für alle Skipper werden. Und ein kompliziertes Routing. Es wird die Männer von den Jungs trennen.“ Wie er die sechs Ladies im Rennen einschätzt, sagt er nicht.

Der Brite Thomson will es endlich wissen. Zweimal hat er aufgeben müssen, einmal das Ziel als Dritter und zuletzt als Zweiter erreicht. Auf die Frage, ob das aktuelle das Rennen seines Lebens sei, antwotet der 46-Jährige aus Gosport: „Jede Vendée Globe ist das Rennen deines Lebens.“ Und es hat gerade erst begonnen.
Hier geht’s zum Race-Tracker von Boris Herrmann.
Ein Kommentar
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