Bereits vor der Ausbildung bekam ich von der Agentur für Arbeit gesagt, dass mir auch keine Umschulung finanziert werden könnte. Eine Ausbildung sei „weniger wert“ als ein Studium. Ich würde damit die Karriereleiter wieder hinuntersteigen.

Der Mangel an HandwerkerInnen in Deutschland ist groß. Das wundert nicht, wenn solche Behördendenke vielen Personen den Zugang zu einer Ausbildung erschwert. Wohngeld ist eine weitere Möglichkeit der Finanzierung, doch auch mit Wohngeldzuschuss bleibt nach Abzug der Miete nicht genug Geld für Lebensmittel, Versicherungen und Fahrtkosten übrig. So bleibt am Ende nur der Bezug von ALG II. Das ist zwar im Normalfall nicht für Auszubildende gedacht, springt in Sonderfällen wie meinem aber ein.
Frauen im Bootsbau
Bereits während meiner Ausbildungsplatzsuche war klar zu erkennen, dass Frauen im Bootsbau definitiv noch eine Minderheit darstellen – wie in den meisten anderen Handwerken auch. Den Statistiken vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) zufolge machen Frauen seit 2011 nur knapp 11,8 Prozent der Bootsbau-Auszubildenden aus, auch wenn die Tendenz leicht steigend ist. Laut Landesberufsschule Lübeck, welche immerhin für 14 von 16 Bundesländern zuständig ist, liegt sie mittlerweile bei fast 15 Prozent.

Der Anteil von Frauen im Bootsbau-Meisterkurs ist mit knapp fünf Prozent noch niedriger. Grund hierfür könnte sein, dass die Selbständigkeit im Handwerk für Frauen erschwert ist. So stellt beispielsweise eine Schwangerschaft nicht selten eine Existenzbedrohung dar.
Vor kurzem startete Tischlermeisterin Johanna Röh eine Petition für die Reform des Mutterschutzes. Sie schreibt: „Als angestellte Tischlermeisterin hätte ich direkt zu Beginn der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot bekommen, da die gesundheitlichen Gefahren in meinem Beruf für mich und das Baby zu gravierend sind. Als Selbständige muss ich es mir leisten können, nicht zu arbeiten, da es keinerlei Absicherung für mich gibt.“
Röh fordert in ihrer Petition unter anderem voll bezahlten gesetzlichen Mutterschutz und das Einrichten von Notfalltöpfen, um die Betriebe von selbständigen Schwangeren vor Insolvenz zu schützen. Ihre Erkenntnis: „Die meisten Schwangeren in meiner Situation geben ihren Betrieb auf oder stehen hochschwanger auf der Leiter, an den Maschinen und im Bankraum.“
Sexismus im Arbeitsalltag
Auf die Frage nach ihren Erfahrungen als nicht-männliche Personen im Bootsbau berichten meine Mitschülerinnen von diversen Erlebnissen: Sexismus im Arbeitsalltag kennen fast alle, ausgehend von Kunden, aber nicht selten auch von KollegInnen. Angefangen bei unangebrachten Kommentaren zu Kleidung und Aussehen über ungerechte Aufgabenverteilung auf Grund des Geschlechts bis zu physischer Belästigung – die Erfahrungen sind vielfältig und vor allem zahlreich.
Ich erinnere mich an mein Praktikum in einem alteingesessenen Familienbetrieb in einem Dorf an der Nordsee. Damals wurde ich dort mit dem Satz „Da ist ja die schöne Frau, auf die wir gewartet haben!“ empfangen. Das war einer der harmloseren Sprüche in den nächsten zwei Wochen.

Ich habe das Glück, in einem Betrieb mit einem jungen Team weitestgehend von solchen Erfahrungen verschont zu bleiben. Natürlich treffe auch ich immer wieder auf Kunden, die meinen, mir meine Arbeit erklären zu müssen. Nur weil ich eine Frau bin. Doch wenn man sich jederzeit der Unterstützung und des Rückhaltes durch die KollegInnen sicher sein kann, ist es leichter, damit umzugehen.
Bootsbau-Ausbildung – die Fakten
Regelausbildungszeit: 3,5 Jahre
Ausrichtung: Neu-, Aus- und Umbau oder Yachttechnik
Ausbildungsform: dual
Ausbildungsbeginn: August/September (Ausnahmen möglich)
Mindestbruttolohn (monatlich) im ersten Lehrjahr: 550 € (ab 2022: 585 €)
Berufsschule: Blockunterricht in Lübeck-Travemünde oder Brake
Schulische Voraussetzung: Hauptschulabschluss
Werkstoffe: Holz, Metall, Kunststoff
Weitere Informationen zur Bootsbauer-Ausbildung