Sein Blick wechselt von den Trimmfäden auf die Speedanzeige: 7,9 Knoten. „Komm, die 8 schaffen wir!“, rufe ich ihm zu. Wolfgang Kahl sitzt in seiner Cockpitecke, die Füße aufgestellt, und luvt noch drei Grad an. Die Fäden werden ruhiger und die Anzeige springt kurz auf acht Knoten. „Yes!“, rufe ich begeistert. Es ist der erste Segeltag – und was für einer!
Zwei Tage zuvor stehe ich an der Pforte der Olympia-Marina in Lavrion, die Nachmittagssonne brennt vom Himmel. „Wie, du bist schon da?“, fragt Wolfgang am Telefon, man hört sein Erstauen in der Stimme. „Der Törn startet doch erst morgen …“ Wolfgang Kahl, der auch für float schreibt, hat mich eingeladen, um mit ihm auf seiner Yavas Yavas durch den Golf von Euböa zu segeln. „Macht nix“, sagt er nach einer kurzen Pause, „ich komme gleich und hole dich ab.“ Kurz danach saust er auf seinem E-Roller heran, begrüßt mich herzlich, hängt sich meine Tasche um und wir gehen zum Schiff.

Vier Frauen erwarten mich an Bord: Birgit und ihre drei erwachsenen Töchter, die gerade ihren Törn beenden. Wolfgang quartiert mich in seiner Kajüte ein. Auf dem Bett eine kleine Gummiente und ein Willkommensbrief. Am Abend gehen wir zusammen griechisch essen. Ich genieße die Vorspeisen, den frischen Fisch und die Frauenrunde, die ausgelassen von ihrem Törn durch den Kanal von Korinth erzählt.
Dem Skipper ein Ständchen
Am nächsten Morgen singen sie ihrem Skipper ein selbstgedichtetes Ständchen, bevor sie von Bord gehen.

Wolfgang erklärt mir beim Putzen die Yacht. Die Jeanneau Sun Odyssey von 1996 ist in einem hervorragenden Zustand. Er hat viel daran gemacht, verbessert, erneuert. Viele sinnvolle Details hinzugefügt, die das Segeln und Leben an Bord leichter und angenehmer machen. Das Cockpit mit den zwei Rudern ist offen und geräumig, im Salon eine freundliche, warme Atmosphäre. Mit gefällt die Aufteilung.

Vor 17 Jahren hat Wolfgang Kahl das 45-Fuß-Schiff dem Segler und Autor Udo Hinnerkopf abgekauft. „Ich bin bei Udo schon als Gast auf diesem Schiff gewesen. Er war ein Pionier für Segelreisen in der Türkei und mein Freund und Mentor. Ich wusste um die Qualität, um die Substanz des Bootes. Deshalb habe ich es übernommen.“
Am Nachmittag kommt Petra, ehemalige IT-Beraterin bei SAP, an, spät am Abend Michael, Verwaltungsfachmann für Landschaftsbau. Die Crew ist komplett. Vier Leute segeln zwei Wochen durch den Golf von Euböa, von Lavrion nach Volos, 300 Seemeilen.


Wolfgang fragt nach unseren Wünschen. Michael, der schon zum dritten Mal kommt, ist unser „Ankerman“. Petra will Prinzessin sein und sich vor allem segeln lassen. Und ich möchte besser skippern lernen auf diesem Törn.
Unerwartet gute Bedingungen

Der Wind ist unser Freund! Mit gut sieben bis acht Knoten segeln wir unter Genua an unserem ersten Tag mit achterlichem Wind gleich 35 Seemeilen nach Norden. Das ist außergewöhnlich, denn hier weht eigentlich der Meltemi – von Norden. Für uns ist es ein großartiger Auftakt für einen Törn, der auch in den kommenden zwei Wochen immer schönen Wind bieten wird, bei wenig Welle hier im Golf.
Wolfgang sitzt gelassen am Ruder. Der erfahrene Skipper hat alles im Blick: Segel, die Umgebung und seine Crew natürlich. Seit fast dreißig Jahren segelt er mit Familie, Gästen und Freunden. Erst im Norden auf einer Comfortina, dann im Mittelmeer auf der Yavas Yavas.
Eine Seefahrt, die ist lustig
Warum nimmt er immer Leute mit, will ich wissen. „Ist eine ganz einfache Geschichte: Weil ich gerne mit Menschen zusammen bin. Ich lerne viel von meinen Gästen, wir haben Spaß zusammen. Und manchmal ärgert man sich auch übereinander, aber das gehört ja auch dazu“, weiß der 65-Jährige, der inzwischen im Ruhestand ist.

Dabei sind die Regeln auf der Yavas Yavas klar definiert. Es wird nichts eigenmächtig getan, alles läuft nach Absprache. Für alle nicht ganz einfach am Anfang. Wenn eine Ermahnung aus der Cockpitecke kommt, fühlt man sich das eine oder andere Mal ertappt: „Kerstin, guck nicht in der Gegend herum, achte auf das, was ich sage!“ Ay Captain! Du hast hier das Kommando, denke ich, nicht gewohnt, alles gesagt zu bekommen. Doch mit jedem Tag wird es leichter, wir spielen uns ein. Auch mal gut, nicht alles selbst entscheiden zu müssen, denke ich.
An Bord der Yavas Yavas muss niemand segeln können, man braucht keine Vorkenntnisse, muss keine Knoten können oder Scheine haben. Wir sagen rechts und links statt steuer- und backbord. Fröhlichkeit ist das Beste für die Atmosphäre, findet Wolfgang. Wir lachen viel und ausgelassen. Respekt vor den anderen, mit denen man unterwegs ist, ist für Wolfgang Voraussetzung, sowie der Respekt vor den Dingen, die man hier in die Hand nimmt.


Sorgfalt ist die Tugend der Matrosen
Da ist zum Beispiel die Besteckschublade, bei der gerne mal vergessen wird, den Verriegelungsknopf zu drücken. Bei einer Wende schießt die schwere Lade heraus und reißt fast aus der Verankerung. Gar nicht gut.