„Es ist eigentlich wie überall“, findet Wolfgang. „Wenn ich zu Gast bei anderen Menschen bin, respektiere ich ihr Haus, ihre Wohnung, ihr Fahrzeug. Ich gehe sorgfältig damit um. Das wünsche ich mir auch auf meinem Schiff.“ Absolut verständlich. Dies ist kein Charterschiff, es ist ein sehr gepflegtes Eignerschiff, auf dem der Kapitän während der Saison auch lebt.

Wir sind zu Gast auf der Yavas Yavas, die, obwohl sie schon viele Gäste an Bord hatte, auch nach 27 Jahren immer noch picobello aussieht, weil Wolfgang Kahl sie so gut pflegt. Also Vorsicht mit der Besteckschublade!
Jetzt du!
Am nächsten Morgen sagt Wolfgang zu mir: Heute bist du Skipperin und gibst die Kommandos. Das, was Wolfgang vorher so flüssig formulierte, wird bei mir zu Sprechspaghetti. „Zu vorsichtig, zu unklar sind deine Kommandos. Die Crew weiß nicht genau, was sie tun soll“, kommentiert er mein Segel-Argot. Ich übe also Kommandieren und beim nächsten Mal klappt es deutlich besser. „Michael, du gehst aufs Vorschiff und holst auf mein Kommando den Anker hoch und gibst mir Zeichen.“ Ay!

Ich starte den Motor und fahre aus der Bucht. Nach einigen Meilen drossele ich mit Blick auf unseren Kurs die Geschwindigkeit und stelle das Schiff in den Wind. „Nehmt bitte die Leinen aus den Säcken und macht sie klar!“, sage ich. „Klarmachen? Was heißt das?“, fragt Wolfgang. Denke immer daran, dass deine Crew deine Kommandos auch verstehen muss, rät er. „Schaut, dass keine Knoten in den Leinen sind“, schiebe ich nach. Die restlichen Kommandos klappen schon deutlich besser und bald kreuzen wir im Amwindkurs nach Norden, denn jetzt ist er wieder da, der Meltimi.

Nach Ankerbucht folgt Ortschaft. Wir legen windgeschützt an einer Kaimauer in Aliveri an, das Manöver unter Wolfgangs Anleitung funktioniert perfekt. Nach einem gut gekühlten Ankerbier bummeln wir durch den Ort, dessen Kulisse von einem Zementwerk dominiert wird, vor dem am Abend der Vollmond aufgeht. Wir machen Fotos vom Schauspiel und trinken Drinks in der Bar am Strand mit den Füßen im Wasser. Es könnte schlechter gehen, finden alle.
Schnelle Strömung
Der Golf von Euböa ist in Chalkis durch die Meerenge Euripos (griech. für schnelle Strömung) nach Norden und Süden in zwei Teile geteilt. Seit 411 v. Chr. verbindet hier eine Brücke die Insel Euböa mit dem Festland. Das Besondere dieser Meerenge ist: Es gibt Gezeiten und das Wasser ändert alle sechs Stunden seine Strömungsrichtung. Es rauscht unter der Brücke durch, nach sechs Stunden ändert es die Richtung, bleibt kurz stehen und fließt dann entgegengesetzt.
Dieses Phänomen versuchte schon Aristoteles, der in Chalkis seine letzten Lebensjahre verbrachte, in seiner Schrift Meteorologica zu ergründen. Er war der irrigen Auffassung, der Meeresboden würde sich hier bewegen. Ganz entschlüsselt ist das Naturphänomen noch immer nicht. Man geht davon aus, dass die starke Strömung mit der unterschiedlichen Höhe des Meeresspiegels an beiden Enden der Meerenge zusammenhängt.
Die Insel Euböa teilt das aus dem östlichen Mittelmeer einfließende Wasser in zwei Ströme. Während der westliche Strom direkt in das südliche Ende der Meerenge fließt, muss das an der Ostseite der Insel vorbeiströmende Wasser erst um die Insel herumfließen. Dadurch ist der Wasserstand auf der einen Seite der Meerenge höher als auf der anderen Seite.
Kirschwasser mit Facebookfreunden
Wir legen uns vor Anker vor der Brücke in Stellung und schlendern durch die Stadt. Um 23 Uhr wird sich die Brücke, die sich zu zwei Seiten in eine Art Garage schiebt, öffnen. Per Funk werden die Namen der wartenden Boote der Reihe nach aufgerufen. Wolfgang hat sich etwas Besonderes ausgedacht: Party an Bord für die Schaulustigen an der Mauer. Mit Diskokugel und laut aufgedrehtem Michael Jackson passieren wir tanzend unter Beifall die Brücke. Ein großer Spaß! Kurz nach Mitternacht gehen wir in der Bucht von Chalkis vor Anker.

Die Facebookfreunde Peter und Anne aus der Griechenlandgruppe schreiben uns an. Wir wollen uns in der nächsten Ankerbucht treffen. Die beiden haben gerade erst ihre Deckssalonyacht Sunbeam 42 übernommen. Sie haben ihr Geschäft in der Nähe von Heidelberg aufgelöst und leben nun auf ihrem Schiff. Wir laden sie zum Essen ein. Sie kommen wie die Heiligen Drei Könige mit Salat, Pudding und Kirschwasser im Dinghi zu uns herüber.
Wolfgang kocht unter Deck Spaghetti in Salbeisoße. Doch eine plötzliche Welle katapuliert die Pfanne mit der Soße hinter den Herd. Gut, dass es noch Pesto aus dem Glas gibt und nach dem Pudding Kirschwasser zum Trost. Interessiert hören wir, wie Anne und Peter ihren Ausstieg vorbereitet haben. Gleichberechtigt führen sie das Schiff, beide können alles gleichermaßen.
Fern von Flottillenseglern
Das Revier im Golf von Euböa ist wunderschön und alles andere als überlaufen. An manchen Tagen treffen wir nur auf zwei bis drei andere Segler, in den Buchten liegen selten mehr als drei bis vier Boote. Das Wasser ist glasklar, auch wenn wir beim Schnorcheln nur wenig Fische sehen.