Alle Jahre wieder – spenden die Deutschen zum Jahresende Milliarden. Für die Hungernden der Welt, für die Kriegsgräberfürsorge, für Katastrophenopfer. Ich spende für die Seenotretter. Nicht viel, aber regelmäßig, seit mehr als zehn Jahren. Dafür habe ich meinen ganz persönlichen Grund. Jedes Jahr denke ich daran zurück, mit einer Mischung aus Unbehagen und Erleichterung.
Manchmal sticht einen eben der Hafer: Wir hatten uns für ein kurzes Törnwochenende auf der Schlei getroffen. Zwei segelbegeisterte Freunde. Das Boot dazu lieh uns ein wohlmeinender Bekannter, der selbst nicht dabei sein konnte. Unglücklich nur, dass noch jemand anderes ein Wochenende an der Schlei verbringen wollte: ein Sturmtief vom Atlantik.
Nichts ist konfliktträchtiger fürs Segeln als ein enger Zeitplan in Kombination mit schlechtem Wetter. Ein Großteil aller Havarien dürfte dadurch verursacht worden sein, dass man am Steg hätte bleiben sollen – aber wider besseres Wissen ablegte. Weil das Boot zurück in den Heimathafen muss. Weil man ja auch noch ein bisschen Spaß haben möchte. Und weil man den Freunden zeigen will, dass es geht.
Es ging – aber der Spaß hielt sich in Grenzen. Streckenweise pfiff es so heftig, dass selbst die Breiten der Schlei für die Abdrift nicht mehr ausreichten. Unter Motor erreichten wir schließlich die Ostsee – und wurden von einem Zwischenhoch verwöhnt. Was für ein Kontrast! Wer zwei Tage gegen Regenböen kämpft, hält eine kurze Phase Sonnenschein für den Himmel auf Erden.
Der nächste Tiefausläufer hätte uns in Seenot gebracht
Und wird leichtsinnig: Auf der Rückfahrt kreuzten wir unter traumhaften Bedingungen – endlich segeln! „Hier wird’s aber jetzt ziemlich flach“, sagte mein Kumpel noch mit Blick auf die Seekarte. Ich dachte: Nur noch ein einziges Sekündchen bis zur Wende … und da knirschte es schon. Aufgelaufen. Während wir noch hofften, mit dem Motor freizukommen (und das Boot damit tiefer eingruben), hatte jemand der Vorbeisegelnden bereits Alarm ausgelöst.
Von Maasholm tuckerte ein Rettungsboot der DGzRS heran. Peinlich, peinlich: Meine erste Begegnung mit den Seenotrettern hatte ich mir romantischer vorgestellt, irgendwie heldenhafter … Die lachten aber zum Glück nicht über meine Blödheit. Sondern legten einfach los. Ihre Rettung, die nur eine Pannenhilfe war, ging schnell und professionell: Leine über, vorsichtig durchsetzen, langsames Anschleppen. Nach fünf Minuten konnten wir unsere Reise fortsetzen.

Und nach weiteren 20 Minuten kam der nächste Tiefausläufer mit sieben Windstärken in Böen und hätte uns, wenn wir noch auf der Sandbank vor Maasholm gehangen hätten, vielleicht wirklich in Seenot gebracht. Für die Quasi-Bergung mussten wir zwar löhnen: Wer aus eigenem Verschulden auf Schiet läuft und einen Abschlepper braucht, zahlt anteilig 200 Euro Starthilfe. Kein Ding, wenn man bedenkt, was hätte passieren können.
Seitdem spende ich – um dem schlechten Geld, sozusagen, noch gutes hinterherzuwerfen. Und um mich selbst Jahr für Jahr mit meinem damaligen Fehler zu konfrontieren. float-Leser Ralph W. war weniger glückhaft: Seine Motoryacht hatte im Limfjord in Nordjütland aufgrund eines Navigationsfehlers heftige Grundberührung. Es kam zu starkem Wassereinbruch, nach Mayday-Rufen brachte ein SAR-Hubschrauber eine starke Pumpe. Ein alarmiertes Fischerboot schleppte ihn in den Hafen. „Seitdem spende ich regelmäßig.“
Als Neunjähriger im Eis eines Baggersees eingebrochen
Der Musiker Sebastian Tischer hatte ein noch einschneidenderes Rettungserlebnis – vor rund 55 Jahren als Neunjähriger in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Es war ein sehr kalter Winter, die Baggerseen in der Umgebung froren zu. „Mit einer Bande von Kindern sind wir da hin.“ Mitten im See schwamm der eingefrorene Bagger, auf den wollten die Abenteurer rauf. „Es hieß nur: Wer ist als erster da?“ Natürlich hatten Tischers Eltern das verboten, aber „in der Zeit haben wir viel Blödsinn gemacht“. So rannten sie übers Eis.

Tischer kann sich noch an den Moment erinnern, als unter ihm die trügerische Fläche einbrach, er versank und sich verzweifelt über Wasser zu halten versuchte. Die anderen seien weggerannt. „Ich weiß nicht, wie lange ich da drin war.“ Dann kam plötzlich jemand: Eines der Kinder war umgekehrt. „Das war der Reiner.“ Sie kannten sich nur flüchtig, als Nachbarn, aber nicht als besondere Freunde. „Er stammt aus einer sehr christlichen Familie, da stand die Pflicht über der Angst.“
Der gleichaltrige Reiner war an diesem Tag der Einzige, der umgekehrt war, um Tischer zu retten. Und er schaffte es. „Ich weiß noch, dass ich blaugefroren war“, erinnert sich der Musiker an den Heimweg. Fortan blieben sie Freunde. Später verloren sich die beiden aus den Augen. Doch als Tischers Band The Knechtsand anlässlich einer erfolgreichen Deutsch-Rock-CD vor sieben Jahren einen Teil des Erlöses spenden wollte, erinnerte er sich dieser Begebenheit. „Die Seenotretter sind wie Reiner – sie kommen, wenn alle anderen flüchten. Das ist die Idee dahinter.“
„Sie kommen, wenn alle anderen flüchten“
Tischer entschloss sich, an die Seenotretter zu spenden. Um allen Rettern stellvertretend für seine Rettung vor Jahrzehnten zu danken. Und er traf eine weitere Entscheidung: Das damalige Erlebnis noch einmal zu würdigen. Er kontaktierte „den Reiner“ von damals und lud ihn zur Scheckübergabe ein. An einem grauen Frühjahrstag unternahmen die beiden, der Gerettete von damals und sein Retter, eine Fahrt auf dem Rettungskreuzer „Hermann Helms“. „Du bist der Anlass für diesen Termin“, sagte Tischer ihm zur Begrüßung. Reiner sei „sehr stolz“ gewesen.

Spende von 20 Euro für den Kauf einer Opferanode
Wohl keine andere Organisation stützt sich so gründlich und umfassend auf freiwillige Spenden wie die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. 1865 von einer Handvoll engagierter Menschen gegründet, wuchs das private Rettungswesen dank großer Anteilnahme in wenigen Jahren zu einem engmaschigen Netz von Stationen an Nord- und Ostseeküste.
Die DGzRS unterhält heute 55 Stationen mit 60 Schiffen vom 46 Meter langen Seenotkreuzer bis zum sieben Meter langen Rettungsboot, so wie es uns damals in der Schlei erreichte. Vom manövrierunfähigen Kutter über den Ersaz für den Insel-Krankenwagen bei Geburten bis zum Pferd, das im Watt feststeckt, reicht die Bandbreite ihrer Einsätze.
Eine weitaus größere Flotte ist aber im Trockenen im Einsatz: Rund 15.000 Sammelschiffchen der DGzRS stehen in Kneipen, Geschäften, Amtsstuben und Vereinsheimen und werden alljährlich geleert, um kleine und größere Beträge abzuwerfen. Manchmal sind es nur ein paar Euro. Manche spenden 30 Euro, manche 100. Die Seenotretter haben auf ihrer Website ein Tool, das anzeigt, welche Verwendung die jeweilige Spende möglicherweise finden könnte. Für meinen Beitrag reicht es nur zu einer Rettungsweste. Aber es geht noch weniger.
So müssen die Seenotkreuzer – wie jedes Boot mit Metallrumpf – regelmäßig mit neuen Opferanoden ausgestattet werden. Diese Metallkörper ziehen Elektronen auf sich und schützen daher den Rumpf vor frühzeitiger Korrosion. Diese Opferanoden aus Zink, die wie kleine Fische aussehen, kosten ab 20 Euro. Erst kürzlich warb die DGzRS dafür, für den Kauf der maritimen „Glücksschweinchen“ zu spenden. Bei jeder Generalüberholung werden die verbrauchten – „geopferten“ – Anoden ausgetauscht. Dann werden neue benötigt: Unsichtbare Unterstützer im Wasser, die jeden Einsatz begleiten.

Fotos von Seeschiffen als Postkarte angeboten
Zu den kleinen Spenden passen die kleinen Spender: Einer wie Felix Röben aus Bremen. Der Elfjährige wohnt direkt an der Weser und beobachtet leidenschaftlich gern vorbeifahrende Schiffe. Und er fotografiert sie. Die Fotos von Frachtern und Ozeanriesen stellte der Junge in einem Schiffs-Forum vor und erhielt viel Lob. Seit vergangenen März bietet er sie als Postkartenmotiv zum Download an – und spendet von jeder verkaufen Schiffs-Karte 50 Cent an die DGzRS, berichtete die Gesellschaft kürzlich selbst in einer ausführlichen Pressemitteilung.
Ähnlich kreativ geht beispielsweise Axel Reschke aus Köln vor: Der Manager veranstaltet seit Jahren jährliche Wakeboard-Freizeiten. Anfangs ging es um ein jährliches Event für die Abteilung seines Unternehmens. Die Veranstaltung, bei der man sich von einer Schleppanlage über einen See ziehen lässt – und bei der es naturgemäß zu vielen unfreiwilligen Bade-Stunts kommt – entwickelte sich zum Schlager. Inzwischen organisiert Reschke ehrenamtlich mehrere solcher Events für einen wachsenden Freundeskreis.

Der Erlös geht ebenfalls nach Bremen. „Beim ersten Mal war das spontan: Was übrig bleibt, sagten wir uns, geht an die Seenotretter.“ Dabei blieb es. Fast 10.000 Euro sind so über die letzten zehn Jahre zusammengekommen. Und die Veranstaltungsreihe hat prompt einen Namen erhalten: Aufs Wasser für die Seenotretter. „Als Kind hat mich die Technik der Seenotretter fasziniert“, erklärt Reschke seine Spenden-Motivation. Die starken Schiffe mit ihrer auffälligen Leuchtfarben-Lackierung, die spannenden Einsatz-Geschichten.
Die Flotte muss permanent in Schuss gehalten werden
Die Summe der vielen kleinen Beträge macht das große Ganze, versichert Antke Reemts von der DGzRS. Anders als Katastrophenhilfe sind die Kosten der Seenotretter weniger volatil, sondern ständig – und ständig hoch. Denn die hoch technisierte Flotte muss auf neuestem Stand sein. „Unsere Aufwendungen fallen stetig an – das ist die Herausforderung. 55 Stationen müssen laufend unterhalten werden, damit die Seenotretter die Einsatzbereitschaft sicherstellen können. Ohne die regelmäßige Unterstützung unserer Spender wäre das nicht möglich“, sagt Nicolaus Stadeler, Geschäftsführer der Seenotretter-Organisation, zu float.
Eine besondere Zuwendung erhielt die „Gesellschaft“, wie man sie lakonisch an der Küste nennt, 2009: Damals wurde ein ganzer Nachlass in zweistelliger Millionenhöhe der DGzRS vererbt. Über die exakte Zahl muss Stillschweigen bewahrt werden. Die Summe ermöglichte unter anderem den Bau des zweitgrößten Seenotrettungskreuzers, der „Harro Koebke“. Die Summe aus vielen einzelnen Engagements: 2020 waren das rund 50 Millionen Euro. Der jährliche Bericht der Gesellschaft gibt auch transparent darüber Auskunft, wo das Geld hinging.
Oder, wie es float-Leser Volker M. auf den Punkt bringt: „Ich spende für die Seenotretter, weil von einem Euro Spende 85 Cent direkt bei den Rettungsmännern und -frauen landen und nicht zum Beispiel in schmucken Büroausstattungen.“ Sondern für nützliche Dinge ausgegeben werden. Leinen, Ölzeug, und eben die kleinen Opferanoden. Sie sind unser Geld, dass wir opfern – ein kleiner Dienst für die, die damit dann rausfahren und wirklich ihr Leben aufs Spiel setzen.