Paralysiert liegt der Hecht auf dem grünen Wannenboden des Stahlkahns. Vielleicht 75 Zentimeter wird er messen. Seine Kiemen klappen rhythmisch alle Augenblicke nach außen. Die archaischen Rückenflossen und das spitze Maul schimmern drachengrün. Unverkennbar, ein Raubfisch. Es ist das größte Exemplar, das Thomas Röse und Bodo Steffen, beide Müritzfischer, heute aus dem dunklen Wasser ziehen. Mehrmals pro Woche sind die beiden Fischer in einem sieben Meter langen Boot auf ihrer Reusentour unterwegs. Ihr Arbeitsplatz ist der Kölpinsee, einer der größten in der Müritz-Region.
Mit dem Kescher am langen Stiel sammelt Fischer Röse die anderen Fänge ein, die auf dem Boden des Kahns zappeln. Ein paar Barsche, Plötzen und zwölf Aale. Sie kommen in einen der beiden Fischtanks, die sich in den Rumpf des Bootes absenken. Zuletzt ist der Hecht an der Reihe. Röse stemmt ihn sich vor den Latz seiner Gummifischerhose. Die Muskeln des Hechts kontrahieren unter der Schuppenhaut. „Der ist vielleicht um die 15 Jahre alt“, sagt Röse gleichmütig. Dann schmeißt er das Monster über Bord, als sei nichts gewesen.
Röse schaut mit freundlichen Augen über den siebtgrößten See Mecklenburgs. Hier draußen sei es am schönsten. Die Reusentour der zwei Männer beginnt stets im Morgengrauen. Nur bei Eis und Sturm bleiben die Müritzfischer im Hafen der Marina Eldenburg. Eine dicke Wolkendecke hat sich vor die Sonne geschoben. Ein kalter Windstoß geht über den See und lässt den Oberlippenflaum des 25-jährigen Röse flattern.
Kollege Steffen setzt seine ungemütlichste Miene an die Morgenluft. Als Steuermann steht er am Heck. Bis zur Rente sind es für ihn kaum noch fünf Jahre. Eine Hand hat er am Griff des Außenbordmotors, die andere ist tief in sein Ölzeug verkramt. Das Reden überlässt er den Anderen. So ist die feine Mecklenburger Art.

Jede Reuse hat ihre Geschichte
Es geht auf den nächsten Fangplatz zu. Die 36 Reusen des Kölpinsees stehen in Rufweite des Ufers. Wie die Ziffern einer Uhr reihen sie sich um den See. Vier bis sechs Stunden dauert eine Tour, je nachdem, wie die Wellen gehen. Kommt der Wind längs über den See, steigen die Wogen unter dem Kahn schon mal auf 1,50 Meter, erzählt der junge Röse.
Der Motor schaltet in den Leerlauf. „Jetzt kommt Rosengarten.“ Röse zeigt auf eine 50 Meter lange Reihe von Holzpfosten, die aus dem Wasser ragt. Dazwischen spannt sich das Leitnetz unter der Wasseroberfläche und lenkt die Fische in die Falle des Reusenkörpers. Jeder Reusenplatz hat seinen Namen. „Vielleicht gab es hier einmal Seerosen.“ Der junge Fischer zuckt die Achseln. Manche Reusen stehen schon länger als einhundert Jahre an der gleichen Stelle. Jede habe ihre Geschichte. Aber nicht immer sei die noch bekannt.
Röse und Steffen ziehen das Boot zu zwei Pfosten am Reusenende heran. Mit viel Kraft wird eine Pfahlspitze aus dem sandigen Seegrund herausgezogen. Sie hält den Reusenkörper am Boden in drei Metern Tiefe. Mit beiden Händen greifen die Männer beherzt ins Wasser und trecken das Netz wie einen schwer bepackten Lastkorb auf das Boot. In den Maschen glitzert es grün, golden, silbern und schwarz. Wieder füllt sich der Boden des Kahns mit Fischen. Die kleinen werden an den Flossen gepackt und ins Wasser befördert. Die armdicken Aale, und diesmal auch ein großer Karpfen, landen im Fischkasten an Bord.
Während Steffen den Pfahl zurück in den Boden rammt, spült Röse den Fischschleim von Deck. „Als nächstes ist Dieter dran“, sagt Röse gut gelaunt und zeigt über den See ans andere Ufer. Dann wickelt er sein Pausenbrot aus einem Stück Alufolie. „Frühstück?“, ruft der Junge dem Alten zu. Kollege Steffen wickelt ein Hustenbonbon aus dem Papier und setzt Kurs auf „Dieter“. Halb Zehn. Die Hälfte der Reusen ist geschafft, und die Sonne zeigt sich das erste Mal. Der Steuermann scheint zufrieden. Geredet wird trotzdem nicht.
