Die Überfahrt von Griechenland nach Italien hat uns zermürbt. Nach knapp 200 Seemeilen und etlichen Stunden im Gewitter sind wir gegen fünf Uhr morgens endlich in die Kojen gefallen, da zuckten um uns herum immer noch Blitze vom Himmel.
Um neun Uhr waren wir wieder wach. Nicht gerührt wegen der überstandenen Passage, aber vom Schwell vor der offenen Küste geschüttelt. Auch nach dem ersten Kaffee haben wir immer noch nicht realisiert, was genau wir da erlebt haben.
Die 44 Stunden, beinahe ohne Schlaf, mitten durch gigantische Gewitterzellen auf offener See, immer in Angst und Anspannung, haben uns verändert. Die Unbedarftheit, mit der wir gestartet sind, ist verflogen. Unsicherheit erobert Raum an Bord. Haben wir etwas übersehen? Haben wir eklatante Fehler bei der Planung gemacht? Wir schauen uns die historischen Wetterdaten der beiden vergangenen Nächte an – und sind perplex.
Die Gewitterzellen sind spontan entstanden. Binnen von Minuten. Natürlich waren die Cape-Werte, die ein Indikator für die Labilität der Wetterlage und die Intensität möglicher Gewitter sind, hoch. Doch mit diesen Ausmaßen haben wir nicht gerechnet. Erst jetzt erkennen wir die Dimension des Unwetters, das uns überrascht hat. Auch wenn Wetterexperten sagen, Unwetter könnten niemanden mehr überraschen, weil die Prognosen so gut wären, hatten wir keine Ahnung, auf was wir da zusteuerten.
Skylla und Charybdis
Wir studieren die Nachrichten. Die Unwetter haben in Süditalien auch an Land gewütet. Besonders dort, wohin wir eigentlich hatten übersetzen wollen. Wieder mal haben wir also Glück, dass wir rechtzeitig den Kurs geändert haben.
Bleiben wollen wir in Roccella Ionica aber trotzdem nicht. In zwei Tagen ist das Wetterfenster günstig, um die Straße von Messina zu passieren. Freunde von uns hatten die Tage zuvor den Plan verworfen, da der Nordwind bis zu neun Knoten Strom in dem Schlund produziert hat.
Und die Straße von Messina gilt immer noch als eine der gefährlichsten Passagen im Mittelmeer. Strudel und Soge entstehen spontan. In der Antike fanden hier viele Seeleute den Tod. Der Mythos von Skylla und Charybdis war geboren, zwei Seeungeheuern, die am nördlichen Ausgang der Straße hausten.
Noch heute gibt es die Redewendung „zwischen Skylla und Charybdis“, die für eine Zwickmühle steht, bei der man vor der ausweglosen Wahl zwischen zwei Übeln steht oder zwischen zwei unumgehbaren Gefahren entscheiden muss.

Auf dem Weg an die Südspitze des Stiefels sehen wir aus der Ferne zwischen Strandurlaubern auch einige Yachten, die ein Unwetter ans Ufer geworfen haben muss. Wie lange sie da schon liegen, können wir nicht ausmachen, aber an der einen Yacht flattert noch das Vorsegel im Wind. Da ist es wieder, dieses flaue Gefühl im Magen.
Unter Genua nach Messina
Am Nachmittag fällt der Anker im seichten Wasser vor Bova Marina, einer langgezogenen Bucht an der Südspitze Kalabriens. Einige Yachten liegen hier schon Anker. Wir suchen die Nähe zu der mit dem höchsten Mast. Eine Folge unserer Gewitter-Paranoia.
In der untergehenden Sonne erhebt sich aus dem Dunst über Sizilien der Aetna – ein majestätischer Anblick. Abends kommt noch ein Bootsnachbar auf ein Bier zu uns herübergeschwommen, ein Deutscher, der Einhand mit seiner Bavaria 34 unterwegs ist. Das beherrschende Thema: das Wetter, das verrückt zu spielen scheint.

Am nächsten Tag lichten wir erst gegen Mittag den Anker. Rund 30 Meilen sind es bis zum Schlund der Straße von Messina, an deren Ausgang wir in Scilla vor Anker gehen wollen. Jenem Ort, wo der Sage nach das Ungeheuer Skylla gehaust haben soll.
Auf der amtlichen Webseite (correntidellostretto.it) oder der entsprechenden App haben wir gesehen, dass gegen 19 Uhr die Strömung am stärksten aus Süden geht, wenn auch nur mit 2,4 Knoten. Aber zuvor hätten wir an diesem Tag knapp sechs Knoten auf die Nase.
Hinzu kommt ein mäßiger Südwind, der am Ausgang der Straße auf bis zu 25 Knoten ansteigt. Perfekt für uns. Nur mit Genua segeln wir Messina entgegen. Und sind deutlich schneller als geplant.
Wimmelbild vor Stromboli
Bereits gegen 17 Uhr erreichen wir die kritischen Stellen der Meerenge, aber der starke Südwind schiebt uns mit sieben Knoten Geschwindigkeit entlang des Verkehrstrennungsgebietes, das von vielen Frachtern und Tankern befahren wird. Hier und da braust das Wasser dämonisch auf, ehe es sich wieder beruhigt. Wir genießen die Passage.

In Scilla verbringen wir zwei Nächte vor Anker, ehe wir auf die Liparischen Inseln übersetzen. Die Liparischen oder auch Äolischen Inseln sind ein vulkanisches Archipel, deren bekannteste Insel wohl Stromboli mit seinem aktiven Vulkan ist.
Ich kenne die Inselgruppe von einem früheren Charterurlaub und auch auf einem Überführungstörn von Frankreich in die Türkei im vergangenen Jahr haben wir hier Halt gemacht. Die Inseln sind wunderschön, außer es ist Hauptsaison.
Der August ist der italienische Urlaubsmonat und die Inseln gleichen einem Wimmelbild. Zwischen unzähligen Segel- und Motoryachten düsen Tagesausflügler auf kleinen und mittelgroßen Ribs PS-protzend von Bucht zu Bucht, lassen das Meer kochen, werfen Wellen und sorgen für einen niemals aufhörenden Schwell. Hinzu kommen Dutzende Fähren, die die Inseln untereinander oder mit dem Festland verbinden.
Windig und wackelig
Wir haben uns für eine kleine Bucht an der Südseite von Lipari entschieden, die mit ihren aus dem Wasser ragenden Klippen ein wenig an Thailand erinnert. Sie ist nicht perfekt geschützt, aber wir finden Platz. Gegenüber, auf Vulcano, wuchern die Yachten bereits aus den Buchten wie ein Krebsgeschwür hervor.
Selbst in Tiefen von 30 bis 40 Meter werfen entnervte Segler ihren Anker. Ich wage zu bezweifeln, dass sie wirklich 100 Meter Kette oder mehr legen können.

Die Nacht ist windig und wackelig. Kaum ein Auge kriegen wir zu. Sollte sich unser Anker lösen, würden wir wahrscheinlich Bekanntschaft mit den Felsen machen. Oder mit einem der anderen Boote, die teils mitten in der Nacht dicht neben uns das Eisen fallen lassen. Wir haben zwei Ankeralarme aktiviert und den Radius eng gesteckt.
Immer wieder werden wir von dem Piepen geweckt. Aber unser Anker sitzt. Wir haben lediglich unseren Radius überschritten. An Schlaf ist ohnehin kaum zu denken. Bordhund Cingene leidet immer noch an Hustenanfällen, die wir mit Extrarationen an Joghurt zu lindern versuchen.
Uns stecken immer noch die beiden schlaflosen Nächte der Überfahrt in den Knochen, dazu nun die nächste schlaflose Nacht. Wir sind müde, unendlich müde. Das schlägt auf die Stimmung. Marinas wollten wir eigentlich weitestgehend meiden, schlicht weil sie unser Budget sprengen. Aber für die kommende Nacht wollen wir in den sauren Apfel beißen.
Angstfrei für 160 Euro
Also fahren wir nach Lipari, wo sich mehrere Marinas befinden, die aber nicht mehr sind als jeweils ein ungeschützter Steg. Wir klappern alle ab. Und sammeln eine Absage nach der anderen. Kein Platz für uns. Zumindest nicht für diesen Tag. Aber am kommenden könnten wir für eine Nacht Glück haben.
Aber was heißt schon Glück. Für den Liegeplatz im August ruft die Marina 160 Euro auf. Für ein Boot mit 42 Fuß. Dazu ungeschützt. Wir buchen trotzdem. Die vermeintliche Ruhe scheint uns jeden Euro wert.

Die Aussicht auf eine Nacht in einem Hafen, ohne Angst vor Gewitter, ohne Ankeralarm und ohne Sorgen vor drehenden Winden beflügelt uns regelrecht. Aber zuvor müssen wir noch einmal vor Anker gehen.